Solarenergie-Experte: "Monopol-Macht muss geknackt werden"

Moderation: Dieter Kassel |
Der Präsident der europäischen Vereinigung für erneuerbare Energien EUROSOLAR, Hermann Scheer, hat die Ankündigung der EU-Kommission zur Zerschlagung großer Energieversorgungsunternehmen begrüßt. Die Europa-Politiker zögen damit die Konsequenz aus der Scheinliberalisierung des Energiemarktes, sagte der SPD-Politiker.
Dieter Kassel: Herr Scheer, hat da langsam doch ein Stimmungswechsel stattgefunden auch in Deutschland zugunsten der Atomkraft?

Hermann Scheer: Also wenn einzelne Leute, auch wenn sie viel Einfluss haben und über viel Geld verfügen, eine Kampagne betreiben seit zwei, drei Jahren und sich lautstark in den Medien melden, und einzelne politische Akteure, die das, was sie jetzt sagen, auch früher schon gesagt haben, mal wieder laut geben, hat sich noch kein Stimmungswandel vollzogen. Was wir erleben, ist nichts anderes, als dass die Atomenergiebetreiber weitermachen wollen. Das kann niemand überraschen, denn sie haben das immer gesagt. Was wir erleben, ist, dass die internationalen Energieinstitutionen, die seit Jahrzehnten unverändert auf Atomenergie fixiert sind, auch ideologisch und nicht zuletzt ideologisch fixiert sind, dasselbe sagen, was sie immer gesagt haben, und dass sie seit zweieinhalb Jahren eine relativ gut organisierte Kampagne international betreiben für die Renaissance der Atomenergie.

Kassel: Aber sind nicht doch die Fronten ein wenig uneindeutiger? Jetzt nehmen wir mal die EU-Kommission und das, was da gestern verkündet wurde, da titelt heute die TAZ auf ihrer ersten Seite, "EU-Kommission ruft zur Revolution auf", weil es ja gleichzeitig auch darum geht, die Macht der großen Energiekonzerne zu reduzieren, die Netze zu trennen von den Energieproduzenten. Das dürfe ja wahrscheinlich was sein, Herr Scheer, da ist Ihnen Herr Barroso sofort sympathisch, und da sagt er im gleichen Satz, er will aber eventuell auch mehr Atomkraft.

Scheer: Ja, das eine ist eine ordnungspolitische Frage, und das andere ist eine Frage der, sagen wir mal, des Weltbildes, bezogen auf die Energiebereitstellung, vielleicht auch des Problembewusstseins. Die EU-Kommission, wenn es um die Frage der Energieträger geht, war ja nie ein besonderer Freund erneuerbarer Energien. Was in Europa auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren entstanden ist, ist in Deutschland im Wesentlichen entstanden und in Spanien. In den übrigen Teilen Europas hinkt man deutlich hinterher, und die EU-Kommission hat es nie geschafft, hier einen klaren Schwerpunkt zu setzen, im Gegenteil, sie hat immer wieder Beschlüsse des Europaparlaments, deutlich mehr Priorität auf erneuerbare Energien zu setzen, systematisch ignoriert. Also insofern kann man jetzt nicht sagen, da hat sich jemand gewandelt vom großen Vorreiter der erneuerbaren Energien nun zu einem Befürworter der Atomenergie. Das trifft für die EU-Kommission nicht zu. In der EU gibt es immer noch die Euratom-Behörde, das heißt, eine riesige Behörde, mit besonderen Privilegien und Haushaltsmitteln ausgestattet für die Förderung der Atomenergie. Es gibt nichts Vergleichbares für die erneuerbare Energie, und diese Euratom-Behörde wird von der EU-Kommission natürlich mit Zähnen und Klauen verteidigt. Das ist nicht überraschend. Die Frage ist viel wichtiger, ist die Begründung, die dafür gegeben wird, richtig.

Kassel: Aber immerhin, ich will trotzdem nochmal hinaus auf diese Eindeutigkeit der Position. Wenn wir uns an die achtziger Jahre, vielleicht gerade noch die frühen Neunziger erinnern, an die Antiatomkraftbewegung in Deutschland und auch anderswo, da, finde ich, waren Freund und Feind doch extrem eindeutig, und auch die Argumente eindeutig. Wenn jetzt jemand wie Barroso auf der einen Seite, und das muss doch nicht im Sinne sein, Herr Scheer, die Macht der großen Industrieenergiekonzerne reduzieren will.

Scheer: Das ist die ordnungspolitische Frage.

Kassel: Ja, aber dann leuchten Ihre Augen und das macht doch alles sehr viel schwieriger, oder nicht?

Scheer: Nein, das macht es nicht unbedingt schwieriger. Die ordnungspolitische Frage bezieht sich darauf, haben wir überhaupt, nachdem die EU-Kommission einen Energiemarkt liberalisiert hat, den Strommarkt liberalisiert hat, jedenfalls war das der Wille einer Richtlinie von 1997, haben wir überhaupt das bekommen. Die Antwort ist "Nein". Wir haben es in weiten Teilen nicht bekommen, weil die Monopol-Macht eher stärker geworden ist, und sie ist stärker geworden auch aus Gründen einer allzu starken Rücksichtnahme wiederum der EU-Kommission, die ja damals den Vorschlag eingebracht hat, auf die Energiekonzerne, also eigentlich das durchaus alte Lied, und jetzt merkt man aber endlich, dass die Liberalisierung nicht funktioniert, wenn Netzbetrieb, die großen Übertragungsnetze in derselben Eigentümerschaft stehen wie die Großkonzerne, wie die Großkraftwerke, so dass die mit den Mitteln des Netzes Konkurrenten, neue Mitspieler, neue Träger, neue Kraftwerksbetreiber auch mit neuen Energien in der Krafwärmekopplung usw. abhalten können, überhaupt richtig ans Netz zu kommen, und wenn es ihnen gesetzlich auferlegt wird, dann verzögern sie es, da gibt es Gerichtsverfahren, die dauern Jahre, und da ist jeder neue Investor schnell kaputt. So, und das ist die Situation. Hier zieht nun endlich die EU-Kommission die Konsequenz aus einem Scheinliberalisierungsansatz, damit die Liberalisierung tatsächlich funktionieren kann, das heißt, es muss dann wirklich diese Monopolmacht geknackt werden.

Kassel: Herr Scheer, nun reden wir aber ein bisschen über diese Atomdiskussion in Deutschland auch. Ich habe da das Gefühl, dass ein bisschen die Argumente vielleicht nicht origineller sind, aber sich verschoben haben. Selbst bei den Gegnern höre ich jetzt seltener die Frage, erinnert ihr euch noch an Tschernobyl, erinnert ihr euch noch, letzteres tut keiner mehr, an Harrisburgh in den USA, erinnert ihr euch an kleinere Unfälle in japanischen Atomkraftwerken, kleiner ist auch nicht harmlos bei Kernkraft, sondern es wird ganz anders diskutiert. Gibt es denn die alte Atomkraftbewegung aus den achtziger Jahren gar nicht mehr?

Scheer: Nee, die gibt es teilweise noch. Sie kann ja gar nicht mehr in derselben Weise bestehen, weil das ist nun über 20 Jahre her. Eine Bewegung besteht aus vielen, was weiß ich, Aktivisten, die das mit großer Passion machen, und so was entsteht immer aus konkretem Widerstandsanlass, und wenn man meint, der Grund dafür ist hinfällig geworden, und das denken viele, nachdem die Beschlüsse zum Atomenergieausstieg in der rot-grünen Koalition gefällt worden waren, dann erlahmt das natürlich, dann sagen die Leute, okay, das war es jetzt, und so was wieder zu entfachen, geschieht in der Regel erst, wenn es einen neuen Anlass gibt.

Kassel: Gibt es denn den jetzt mit Äußerungen von zum Beispiel Wirtschaftsminister Glos, oder ist das alles ein Sturm im Wasserglas?

Scheer: Na ja, der Anlass ist noch nicht die Rede selbst, aber gesetzt den Fall, es gäbe einen politischen Beschluss, es gäbe eine neue Gesetzgebung, die die Atomenergieoption wieder öffnet in Deutschland, statt sie, so wie im Gesetz jetzt vorgesehen, zu schließen Stück für Stück, ich glaube, dann wäre der Anlass da, ich glaube, dann ginge es wieder los, und auch zurecht, denn bei den Atomenergiefragen muss man immer, das ist das, was mir ein bisschen fehlt in den Debatten der letzten Tage, die Atomenergie wird viel zu sehr nur unter dem Blickwinkel betrachtet, was heißt das jetzt wirtschaftlich, und es sei doch so schön billig und was auch immer. Hier geht es eigentlich um ethische Grundsatzfragen, denn meine Position ist, selbst wenn Atomenergie kostenlos wäre, ist sie nicht akzeptabel. Etwas, was für 100.000 Jahre, das ist der Zeitraum 50 Mal länger als der seit Christi Geburt, künftigen Generationen hochgefährlichen Atommüll hinterlässt, das ist vermessen, das geht nicht. Da ist jedes Augenmaß für das, was man verantworten kann, verloren gegangen.

Kassel: Alle sagen ja, selbst die Atomkraftbefürworter, langfristig braucht man natürlich die erneuerbaren Energien, und die sind die eigentliche Lösung. Darüber haben Sie sogar schon mehrere Bücher geschrieben, aber nun werden Sie sicherlich mir Recht geben, wenn ich behaupte, es gibt zumindest zeitweilig gerade ein Tief für die erneuerbaren Energien, und das hat was zu tun mit neuen Landesregierungen in Deutschland, das hat was zu tun auch mit der Bundesregierung. Ist das ein Zwischentief oder ist das eine größere Krise?

Scheer: Ja, man muss immer aufpassen, was wirklich ist. Es gibt Medienkampagnen, es ziehen auf einmal bestimmte Teile der Medien, häufig gut organisiert, und sie erwecken den Eindruck, als hätte es einen Meinungsumschwung in der Bevölkerung gegeben. In der Bevölkerung hat es keinen Meinungsumschwung gegeben. Wir haben ja die merkwürdige Situation zunehmend, was für eine Demokratie sehr, sehr brisant ist, dass sich die Meinungsbilder der selbst ernannten Eliten von den Meinungsbildern des Durchschnitts der Bevölkerung immer weiter entfernen, was ja auch zur Legitimationskrise des ganzen politischen Institutionensystems, übrigens auch den Medien geführt hat. Das heißt, was gerade wieder "in" ist, was angesurft worden ist, das ist noch lange nicht Bevölkerungsmeinung. Deswegen kommen ja häufig auf so total überraschende Wahlergebnisse wie bei der letzten Bundestagswahl zustande, weil viele gar nicht mehr wahrnehmen in ihrem autistischen Blick nur auf sich selbst und ihren kleinen Umkreis, wo dann, was weiß ich, ein paar politische Akteure, Minister, Parteiführer, führende Journalisten, Leitartikler und Verbandsvertreter meinen, sie seien die Gesellschaft. Das ist es aber Gott sei Dank nicht. Also es gibt, sagen wir mal, in der wahrgenommenen Öffentlichkeit im Moment einen, was weiß ich, einen kleinen Themenwechsel, aber in der Bevölkerung, wie gesagt, nicht.

Kassel: Herrmann Scheer, ich danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch und stelle jetzt einfach mal fest, Rückkehr der Atomenergie nur in ganz wenigen autistischen Salons. Danke Ihnen!