Solaranlagen auf dem Dach

Wie die Bundesregierung die Energiewende behindert

07:41 Minuten
Mehrfamilienhäuser mit Solardächern in Bottrop, Nordrhein-Westfalen.
In Deutschland könnten viel mehr klimafreundliche Solaranlagen auf Mehrfamilienhäusern sein. Gesetze behindern aber massiv den Ausbau. © picture alliance / dpa / Rupert Oberhäuser
Von Ralf Hutter · 06.07.2021
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Strom aus Solarenergie ist preisgünstig und klimafreundlich. Allein auf Gebäuden könnten soviel Fotovoltaik-Anlagen installiert werden, um den Strombedarf für die Energiewende zu decken. Doch ausgerechnet die Bundesregierung bremst beim Ausbau.
"Wir stehen hier auf einer Wohnanlage der Wohnungsgenossenschaft Neukölln im Dreiländereck von Treptow, Kreuzberg und Neukölln auf einem Gebäuderiegel mit insgesamt vier Aufgängen."
Der Gebäuderiegel ist rechtwinklig, und ungefähr im Knick stehe ich mit Christoph Rinke vom Vorstand der Genossenschaft Bürgerenergie Berlin, BEB. Das Flachdach trägt eine Fotovoltaikanlage, die von der BEB betrieben wird. Es handelt sich um eine Mieterstromanlage, das heißt, auf den Strom fallen weniger Steuern an, wenn er an die Haushalte desselben Hauses verkauft wird.
Der Tarif ist billig. Doch sofort fällt ins Auge: Ein Viertel des Daches ist bei der Errichtung der Anlage 2019 freigeblieben. Das habe zum einen damit zu tun, erklärt Rinke, dass von einer Mieterstromanlage nicht beliebig viele Haushalte beliefert werden dürfen.
"Und die zweite Grenze ist, dass die Größe der Anlage auf 100 Kilowatt begrenzt ist bezüglich der Förderung, die Mieterstrom bekommt."

Die Anlage hat nun knapp unter 100 Kilowatt, obwohl 130 möglich gewesen wären. Noch schlimmer ist die Lage auf den Nachbardächern: Sie sind ganz leer.
"Die Wohnanlage umfasst auch zwei Gebäuderiegel mehr, die wir jetzt nicht in die Versorgung des Mieterstroms mit aufnehmen konnten."
Das liege an den gesetzlichen Vorschriften, sagt Rinke. Die BEB hätte in jedem dieser Häuser ein neues großes Stromkabel zum allgemeinen Stromnetz errichten müssen, und das hätte der Solarstromertrag nicht gegenfinanziert. Eine Mieterstromanlage produziert oft mehr Strom, als verbraucht wird.
Den überschüssigen Strom speist die Genossenschaft ins allgemeine Stromnetz ein. Er wird aber so schlecht bezahlt, dass die Einnahmen nicht die Kosten decken. Die Anlage wird deshalb so geplant, dass möglichst viel des erzeugten Stroms auch im Haus verbraucht wird, möglichst wenig Überschuss produziert wird. So werden viele Dächer nicht voll ausgenutzt. Ohnehin ist eine Mieterstromanlage nicht leicht zu finanzieren.

Zahlreiche Hindernisse trotz einer europäischen Richtlinie

Der Staat erzwingt eine hausinterne Abrechnung der verschiedenen Strommengen vom Dach und aus dem Netz, und dafür sind Messgeräte im Keller nötig, die rund 7000 Euro kosten, erklärt Rinke. All diese Hindernisse für die gemeinschaftliche lokale Nutzung von Solarstrom widersprächen einer Richtlinie der Europäischen Union.
"Wir haben mit der Vorgabe der EU, die ja schon seit zweieinhalb Jahren darauf wartet, auch in deutsches Recht überführt zu werden, eigentlich eine Möglichkeit, auch die Nutzung von solarer Energie vom Dach deutlich unkomplizierter zu ermöglichen. Bisher sträubt sich aber die Bundesregierung, dies umzusetzen."
Auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur bestreitet das Bundeswirtschaftsministerium das. Die EU-Richtlinie sei mit der diesjährigen Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) umgesetzt worden, teilt die Pressestelle mit. Zitat: "Weiterer Umsetzungsbedarf besteht aus Sicht der Bundesregierung nicht." Das bundesweite Bündnis Bürgerenergie hingegen hat ein juristisches Gutachten anfertigen lassen, das zum gegenteiligen Schluss kommt.

Behindert die Bundesregierung den Erfolg von Mieterstrom?

Wenn das zutrifft, drohen der Regierung EU-Sanktionen, denn die Richtlinie musste bis Ende Juni umgesetzt werden. Christoph Rinke sieht die Einschränkungen beim Mieterstrom trotz einiger Erleichterungen im neuen EEG immer noch als viel zu groß an. Für Berlin sei das ein besonderes Problem, denn hier gilt das Ziel, dass 2050 ein Viertel des Strombedarfs der ganzen Stadt mit Dachfotovoltaik erzeugt werden soll.
"Und da brauchen wir so etwas wie Mieterstrom, weil es eigentlich das zentrale Vermarktungskonzept ist für diese Energiemengen auf Mehrfamilienhäusern."
Das Fördergeld der Bundesregierung für Mieterstrom wird kaum nachgefragt. Die Gründe für diesen Misserfolg sind seit Langem bekannt, werden aber nicht wirklich angegangen. Christoph Rinkes Fazit ist: Mieterstrom wird von der Regierung durch technische Vorgaben sehr unattraktiv gemacht und deshalb nur von Akteuren umgesetzt, die damit kein Geld verdienen wollen, wie etwa der Berliner Stromgenossenschaft.

Das Potenzial der Solarenergie wird nicht ausgeschöpft

Die Berliner Stadtwerke teilen die Motivation der Genossenschaft, aber auch die Probleme. Mit ihrem Technischen Leiter Alexander Schitkowsky begehe ich das Flachdach eines Wohnhauses an der Grenze der Stadtteile Kreuzberg und Mitte. Wir blicken auf die Solaranlage auf der Schule nebenan, die von den Stadtwerken betrieben wird.
Auch deren Dach ist nicht voll belegt. Da geht es nicht um Mieterstrom, sondern darum, dass es sich nicht lohnen würde, eine größere Anlage zu bauen und mehr Strom ins Netz einzuspeisen. Lohnen würde es sich, wenn der überschüssige Strom direkt ans Nachbarhaus verkauft würde, aber das ist nicht erlaubt. Schitkowsky fasst das Problem hinter dem unvollständig belegten Schuldach in einem Wort zusammen:
"Regulatorien. Technisch hätte es absolut Sinn gemacht, das voll zu belegen. Stichwort Quartiere zusammenfassen. Warum sollte der Strom, der da erzeugt werden kann, als Überschuss nicht auch genutzt werden? Regulatorien, anderes Grundstück, da ist die Grenze. Es ist nahezu ausgeschlossen, hier was zu stricken, dass die davon profitieren, dass wir da eine größere Anlage bauen."

Der gesamte Bedarf an Ökostrom könnte gedeckt werden

Auch hier wäre die erwähnte EU-Richtlinie eine Hilfe, denn sie sieht Quartierslösungen vor. In Deutschland hingegen führen verschiedene gesetzliche Vorgaben dazu, dass Solaranlagen kleiner als möglich gebaut werden, sogar auf staatlichen Gebäuden. Dabei hat gerade eine Großstadt einen riesigen Bedarf nach Fotovoltaik. Erst 110 Megawatt seien in Berlin installiert, sagt Alexander Schitkowksy.
"Die aktuellen Erhebungen zeigen: So rund ein Prozent des Berliner Strombedarfes wird im Moment aus Fotovoltaikstrom gedeckt."
Dabei könnte rein rechnerisch der gesamte Bedarf an Ökostrom, der durch die Energiewende nötig wird, also einschließlich Wärmeerzeugung und Verkehr, durch Gebäudefotovoltaik abgedeckt werden. Das sagt zumindest Professor Andreas Bett, Co-Präsident des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg.
"Wir haben genügend Dach- und Fassadenfläche, um letztendlich genügend Energie bereitzustellen für Gesamtdeutschland."

Hoffnung liegt auf neuen Regelungen

Die Berliner Stadtwerke bauen für diverse Auftraggeber mit diversen Geschäftsmodellen Solaranlagen und planen in dem Bereich ein großes Wachstum. Das große Potenzial der Gewerbedächer kommt dabei allerdings kaum zum Tragen, berichtet Alexander Schitkowsky. Er nennt als einen Grund dafür den Unwillen vieler Gewerbetreibender, ihre Dächer für 20 Jahre zu verplanen. Aber auch die städtischen Gebäude haben viel Nachholbedarf.
"Im Moment liegt unser Fokus ganz klar auf den öffentlichen Liegenschaften. Weil hier die Anforderung besteht: Wenn wir schon über eine Solarpflicht reden, dann sollte aus der öffentlichen Hand auch eine gewisse Vorbildwirkung entfalten."
Eine Solaranlagenpflicht für Neubauten hatte die Bundesregierung kürzlich ins Gespräch gebracht, doch passiert ist nicht viel. In Berlin hingegen gilt sie ab 2023, in anderen Bundesländern und Kommunen ist sie schon Realität. Alexander Schitkowksy erhofft sich davon neue Impulse für den Ausbau der Solarenergie.
"Ich bin ja ein Verfechter der grünen Energie, und ich selbst muss mich manchmal zurückhalten, um nicht so einen gewissen Verfolgungswahn zu entwickeln. Ich hatte das Gefühl, dass in den letzten Jahren so viel komplizierter geregelt wurde, weil es galt, zu vermeiden und nicht den Ausbau zu befördern."
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