Sog einer Bedrohung

12.10.2006
Anfang der achtziger Jahre hat Gert Loschütz ein Hörspiel geschrieben über einen Mann, der sich dem Sog einer Bedrohung ausliefert. Vorgeblich recherchiert er den Zusammenhang zwischen einem Waldstück und Selbstmorden, die sich dort häuften, tatsächlich aber erliegt er selber der märchenhaften Magie des dunklen Forstes. Jetzt hat Loschütz aus dem Hörspiel einen Roman gemacht, den er - ein knappes Jahr nur nach dem großen Erfolg seines Buches "Dunkle Gesellschaft"- vorlegt.
"Hüte dich vor den Dunklen, den Starren" hatte der Großvater im letzten Roman seinem Enkel geraten. Und wieder gerät hier einer in eine dunkle Gesellschaft, die allerdings höchst banal daherkommt. Handfeste Menschen in ihrer ganzen, dramatischen Lächerlichkeit.

Einst war Matthias Loose Kulturredakteur - doch als ein neuer Chef ihm verbietet, in der Kneipe zu arbeiten und Anwesenheitspflicht in der Redaktion anordnet, kündigt er. Er will ohnehin seit langem schon selber Bücher schreiben. Weil er so viele Ideen hat, Mappen voller Material – und nun hat er endlich Zeit. Was gefährlich werden kann, wie man weiß. Und wie Loose nun merkt. Kein Essay will sich zeigen. So ordnet er seine Zettel, schreibt zwei Sätze zu einem Thema und flüchtet zum nächsten. Er geht nicht mehr aus, mauert sich ein, hat beschlossen, sich "von keinem mehr auch nur eine halbe Stunde wegnehmen zu lassen." Auch nicht von seiner tüchtigen Frau, die das Leben nimmt, wie es ist und übrigens auch seinen Job in der Zeitung übernommen hat. Während er wartet. Auf die Erlösung. Den Satz, der die Blockade aufheben wird.

Man ahnt die sich heranschleichende Depression. Da kommt ganz unvermutet die Einladung vom Direktor eines Botanischen Instituts, an der Jahrestagung seiner Gesellschaft teilzunehmen. Maurer heißt der Mann, und Loose hatte ihm einst zu Ruhm und Ansehen verholfen, indem er seine hölzernen Abhandlungen in leicht lesbare Feuilletons umschrieb.

Loose nimmt die Einladung an. Denn das Hotel, in dem man tagen wird, liegt gleich neben dem Selbstmord-Wald, über den er gelesen hat. "Von überall her kommen die Leute, um hier zu sterben", hatte der Bürgermeister der Zeitung gesagt. Das interessiert Loose. Vielleicht, weil er glaubt, endlich eine Geschichte zu haben, die er schreiben könnte. Vielleicht treibt ihn auch ein morbides Sehnen.
Und so fährt er zu den Botanikern und Biologen, und es beginnt eine Reise ins Ungewisse.

Loschütz hat ein abgründiges Buch geschrieben -düster, witzig, drängend. Man grinst und fröstelt beim Lesen über lüsterne Liebschaften, bleierne Ängste, erbarmungslose Opportunisten und glanzlos derbe Medien -Aufsteiger wie Maurer, ein Wiesler und Wichtigschwätzer, der redet "während er an einem Petersilienstengel kaute, den er aus dem Maul eines Spanferkels gezupft hatte". Loschütz ist ein Hinseher, dem es gelingt, seine Figuren mit wenigen Sätzen in Menschen zu verwandeln, von denen man sicher ist, sie schon einmal getroffen zu haben. Auch Loose ist man gewiss schon begegnet - und hat den Sog in ihm nicht erkannt. Der ihn forttreibt von den Menschen und hinein in die Dunkelheit des Waldes und seiner Seele. Hellwach und traumwandlerisch verfolgt er das Ziel der Enträtselung - und gerät immer tiefer ins Dickicht der Verwirrung.

Als die Botaniker abreisen, bleibt er. In einem kleineren Zimmer – und als ihm das Geld ausgeht schließlich als Hausdiener, in grauer Uniform. Loose, der Looser, der Verlierer, der nichts mehr zu verlieren hat. Gäste gibt es nur noch selten. Bedrückend die Stimmung in diesem abgelegenen Hotel, in dem das Zimmermädchen aus der Irrenanstalt kommt und vom Besitzer beschlafen wird; in dem graue, vorgefertigte Essensportionen eingeschweißt in der Tiefkühltruhe darauf warten, für gelegentliche Gäste aufgewärmt zu werden; in dem Loose angeblich recherchiert und manisch notiert, was er hört und denkt.

Loschütz führt uns behutsam und mit großer erzählerischer Erfahrung an einen delikaten Ort der Wahrnehmung, siedelnd zwischen Wirklichkeit und Wahn – wo man, von beiden bedrängt und bedroht, den Schrecken erwartet.

Rezensiert von Gabriele von Arnim

Gert Loschütz:
Die Bedrohung,

Frankfurter Verlagsanstalt 2006,
192 S., 19,90 Euro.