So war New York

31.05.2012
Maeve Brennen schrieb von 1954 bis 1981 als Reporterin für das renommierte Magazin "New Yorker". Sie war mit dessen Chefredakteur verheiratet, 1993 starb sie verarmt und vergessen. Wer heute ihre Kolumnen liest, spaziert mit ihren Augen durch die Stadt, lauscht den einfachen Leuten und nimmt teil an einer vergangenen Zeit.
Die 1917 geborene Maeve Brennan, die 1993 verarmt und vergessen in New York starb, war 1934 mit ihrer Familie nach Amerika gekommen. Sie war begabt, besonders hübsch und besonders ehrgeizig. Sie wurde Journalistin, schrieb für Harper’s Bazaar über Mode und begann mit Anfang 30 ihre Karriere beim renommierten Magazin The New Yorker. Sie war dort eine viel beschäftigte Reporterin, heiratete den Chefredakteur, führte eine Weile lang ein wohlhabendes Leben im Vorort (worüber sie – aus der Perspektive der Dienstmädchen - später einrucksvolle Geschichten schrieb) und verfasste von 1954 bis 1981 Kolumnen über die Stadt, die sie liebte, in der sie sich auskannte, die sich ihr als Stoff und Zentrum darbot: New York.

Der Titel, unter dem die 47 Prosastücke, die sie selber 1969 für ein Buch zusammenstellte, im New Yorker erschienen, lautete "The Talk of the Town". Eingeleitet wurden diese Kolumnen stets von einer Wendung, in der die Verfasserin als "langatmige Freundin" annonciert wurde. In ihrem Vorwort schreibt Maeve Brennan: "Wenn ich dieses Buch jetzt durchlese, ist es als würde ich Fotos ansehen: Die langatmige Lady zeigt die Schnappschüsse, die sie bei einer langen, langsamen Reise nicht durch, sondern in New York, der beschwerlichsten, rücksichtslosesten, ehrgeizigsten, konfusesten, komischsten, traurigsten, kältesten und menschlichsten aller Städte, aufgenommen hat."

Es sind – wie in all ihren Geschichten und Romanen – nie großartige Ereignisse oder pointenreiche Begebenheiten, von denen die Autorin berichtet. Auf einem Spaziergang begegnet ihr ein Paar mittleren Alters. Sie beschreibt minutiös seine Augen, seine Haare, ihre Lippen, ihr Kleid, lauscht einen Augenblick ihrer Unterhaltung vor einem Küchenmöbelladen und verlässt die beiden wieder. Sie schaut aus ihrem Hotelzimmer auf das Penthouse gegenüber oder nimmt uns mit auf eine Zugfahrt, die zur peinlich-absurden Angelegenheit wird. Als die Fahrstuhlbeleuchtung im Hotel ausfällt, beobachtet sie eine Mitbewohnerin, die sich darüber beschwert, und an der Art, wie der Portier sie behandelt, kann man die ganze traurige Existenz der Frau ablesen, die sich nur ein Zimmer ohne Bad leisten kann.

Eine Kolumne trägt den Titel "Vergebliche Annäherungsversuche" und endet mit einer expliziten Lehre: "Wenn jeder in dieser Stadt zur Raison gebracht und in die richtige Richtung geschickt würde, wäre New York schon bald ein sehr ruhiger Ort." Diese Einsicht gilt heute sicher immer noch, ansonsten hatte sich natürlich schon damals andauernd alles "verändert und nochmals verändert": die Läden und Hotels, die Restaurants und Wohnviertel. Mit Maeve Brennens Kolumnen nimmt man noch einmal teil am New York vergangener Zeiten, schaut mit ihrem genauen Blick auf Menschen und Kellner, auf böse Hunde und geliebte Buchläden. Das Reisebuch einer großartigen Schriftstellerin, die nur vor die Tür treten musste, um all die kleinen Abenteuer zu sehen und zu erleben, für die die Touristen bis heute nach New York kommen.

Besprochen von Manuela Reichart

Maeve Brennan: New York, New York
Aus dem amerikanischen Englisch von Hans-Christian Oeser
Steidl Verlag, Göttingen 2012
287 Seiten, 18 Euro