So tickte die RAF

Von Christian Gampert · 13.06.2013
Die Rote Armee Fraktion ist reif fürs Museum: Das Haus der Geschichte in Stuttgart zeigt eine historische Ausstellung rund um die Terroristengruppe. Schriftliche Zeugnisse klären zwar über die Psyche der Täter auf, erklären aber nicht die Genese ihrer Gewalt.
Früher, schrieb Wolf Wondratschek, früher begann der Tag mit einer Schusswunde. Die Stuttgarter Ausstellung beginnt zwar mit ein paar netten APO-Bildern von Rudi und Gretchen Dutschke aus dem "Stern" von 1968, das ist das Vorspiel. Aber die gesamte Ausstellungs-Architektur des ersten Teils ist dann ein großer, in blutiges Rot getauchter, nach hinten sich verengender Schusskanal. Vorn sieht man auf Monitoren die Tagesschau-Berichte zu den RAF-Attentaten, Journalismus, der heute merkwürdig altbacken und gedämpft wirkt, ganz im Gegensatz zur aufgeheizten Stimmung von 1977. Dann, an der linken Wand, Flugschriften, Bekennerschreiben, Material aus dem Innenleben der RAF; auf der rechten Seite, etwas weniger gut bestückt, die Perspektive der Opfer.

Kann man die RAF ins Museum bringen? Soll man das überhaupt tun? Offenbar sind die Nachgeborenen vom Geschehen so weit entfernt, dass die RAF schon historisch ist – trotz RAF-Pop auf T-Shirts und im Netz. Die Stuttgarter Ausstellung ist seriös gearbeitet, sie bietet vor allem schriftliche Exponate, will sich aber das Aufstellen sogenannter Realien nicht versagen. Eine historisch-politische Ausstellung müsse auch dreidimensionale Objekte zeigen, sagen die Kuratoren. Warum man dann im Ankündigungs-Text aber – etwas großsprecherisch - mit dem sogenannten "Täter-Motorrad" des Buback-Mords von 1977 hausieren geht, ist eine andere Frage. Das ziemlich banale, von einem Nachbesitzer farblich umgespritzte Motorrad steht bescheiden ganz am Ende der Ausstellung. Kurator Rainer Schimpf findet es trotzdem wichtig:

"Das Motorrad erzählt eine Geschichte, die nicht zu Ende gekommen ist. Der Sohn von Siegfried Buback sucht die Wahrheit, und dieses Motorrad ist ein stummer Zeuge. Das Motorrad hätte vielleicht etwas erzählen können, hätte man damals eine DNA-Analyse gemacht …"

Viel wichtiger aber sind die schriftlichen Zeugnisse, die etwas von der Psyche der Täter vermitteln und von der Dogmatik jener Tage. Die wahrscheinlich von Ulrike Meinhof verfaßte Abhandlung "Dem Volke dienen", die Anschluß an die südamerikanischen Befreiungsbewegungen suchte, ist vom Duktus auch nicht viel anders als viele Mensa-Flugblätter der 1970ger-Jahre. Und manche Briefe und Schülerzeitungen machen deutlich, wie leicht es war, damals in den Terror hineinzurutschen.

Schimpf: "Das ist eine wichtige Frage, wie ist die Gewalt entstanden. Was gibt es für Wege dahin. Da müssen wir biographische Details anschauen: Wie entscheidet sich sowas?"

Zum Beispiel Christian Klar. Er war in Lörrach Mitglied einer Schülerinitiative, die für mehr Mitbestimmung am Gymnasium kämpfte. Interessanterweise war der Direktor der Schule sein eigener Vater. Später engagierte sich Klar für die im Gefängnis sitzenden RAF-Leute und wurde so radikalisiert. Liest man Briefe aus dem Gefängnis, etwa von dem sozial äußerst engagierten Johannes Thimme, dann stellt sich durchaus die Frage: Hat der gegenüber alten Nazis sehr nachsichtige Staat durch seine Härte – bei Demonstrationen und in der Haft – nicht auch junge Leute in den Terror getrieben?

Im Gegensatz dazu waren die Haftbedingungen der Top-Terroristen selber, in Stammheim, nahezu luxuriös: gemeinsamer Umschluß, Fernsehen und, man glaubt es nicht, 2300 Bücher auf dem Stockwerk. Und die noch in Freiheit befindlichen RAF-Leute, dies ist ein überraschendes Ergebnis der Ausstellung, führten akribisch Buch über ihre Tätigkeit, sagt Kurator Rainer Schimpf.

Schimpf: "Es gibt in dem Depot in Heusenstamm eine Art Archiv, in dem eine Vielzahl von Kopien, Fotos und auch Waffen gefunden wurden. Wir können diese Stücke zeigen, und damit hat man natürlich eine eigenartige Nähe zu den Tätern."

Baden-Württemberg war ein Zentrum des bundesdeutschen Terrors, und das hat möglicherweise auch mit dem schwäbischen Pfarrhaus und der landeseigenen Gründlichkeit zu tun. Deshalb findet die Schau in Stuttgart statt. Sie vermittelt etwas von dem Wahn jener Zeit, die Welt mit Gewalt retten zu wollen; die Versuche des Staats, mit Überwachen und Strafen, mit Berufsverbot und Gefängnis auch die nicht gewalttätige Linke mundtot zu machen, kommen in der Ausstellung leider zu kurz.
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