So schön wie die Götter selbst

Von Gregor Ziolkowski · 03.11.2008
Von der griechischen Klassik bis zur spätantiken römischen Kunst - Dresden und Madrid zeigen in einer gemeinsamen Ausstellung Spitzenwerke der Antike. Erstmals seit 300 Jahren werden die Hauptwerke beider Sammlungen wieder zusammengeführt und öffentlich gezeigt. Im Prado, dem spanischen Nationalmuseum, sind 46 Werke des Dresdner Albertinums sowie 20 Antiken aus dem Prado zu sehen. Im Frühjahr wandert die Schau dann nach Dresden.
"Der gute Geschmack, welcher sich mehr und mehr durch die Welt ausbreitet, hat sich angefangen zuerst unter dem griechischen Himmel zu bilden."

Mit diesem Satz beginnen Johann Joachim Winckelmanns "Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke". Der Autor vergisst nicht, jenem Monarchen eine Würdigung zu erweisen, der 1728 mit dem Ankauf antiker Skulpturen aus den römischen Sammlungen Chigi und Albani so viel zur Ausbreitung des guten Geschmacks getan hat.

"Und man muss gestehen [so Winckelmann], dass die Regierung des großen August der eigentliche glückliche Zeitpunkt ist, in welchem die Künste, als eine fremde Kolonie, in Sachsen eingeführt worden."

Dass beinahe zur gleichen Zeit die Einkäufer des spanischen Königs Philipp V. in Rom unterwegs waren und ebenfalls fündig wurden, begründet die Nachbarschaft der antiken Skulpturensammlungen des Museo del Prado und des Dresdner Albertinums. Wenn sich diese Sammlungen nun in Madrid, später in Dresden begegnen, so ist das ein herausragender Moment, sich den aus Marmor gefertigten römischen Kopien griechischer Originale oder den Originalen selbst zu nähern. Stephan Schröder, Konservator der antiken und Renaissance-Skulpturen im Museo del Prado und Kurator der Ausstellung, weist auf Grundsätzliches hin.

"Das waren damals meistens Bronzestatuen, die eben schon durch das Material enorm teuer waren und auch viel Aufsehen erregten. Es gab immer einen zeitgeschichtlichen Anlass, wie man heutzutage auch be-stimmte Monumente aus politischen und historischen Gründen aufstellt, ja, oder auch abreißt. Aber hinzu kommt, was für uns heutzutage auch sehr wichtig ist und was man oft vergisst, dass es schön sein musste. Für die Griechen - also, wenn eine Statue nicht schön war, dann hatte sie keinen Wert."

Eine Skulptur der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter aus Madrid und die Athena Lemnia aus Dresden, die "die Schöne" genannt wurde - beide aus dem 5. Jahrhundert vor Christus - stehen sich da gegenüber, und die ganze Erhabenheit des Göttlichen strahlt aus diesen Porträts. Schönheit, das sind hier die ebenmäßigen Ge-sichtszüge, die vollendeten Proportionen der Körper, die höchste Präzision in den Falten der Gewänder - die ganze Würde höherer Wesen eben.

Die Tristesse der Sterblichen wird in dieser Ausstellung beim Wort genommen: Grabreliefs illustrieren die Melancholie derer, die da auf der ungöttlichen irdischen Ebene wissen, dass ihr Dasein endlich ist.

"Die einzigen, die sich etwas retten konnten aus dieser ausweglosen Situation, in der wir selbst heute ja immer noch sind - es hat ja keine Verbesserung gegeben in diesen vielen tausend Jahren -, das waren die Athleten, die in den großen internationalen Wettkämpfen, in Olympia und Korinth und so weiter, Preise errungen hatten. Ihnen wurden Statuen gesetzt, die wurden sofort berühmt in der ganzen griechischen Welt. Ihnen wurden Statuen gesetzt, die kostbar waren und die sie vor allem so schön zeigten wie die Götter selbst.

Da sind viele Beispiele hier, der Diadumenos, der sich eine Binde um den Kopf bindet in der Statue vom Prado und im Kopf hier aus Dresden. Und der "Dresdner Knabe" ist auch so ein Athlet. Und diese Athleten bekamen nicht nur Preise, sondern, wenn sie zurückkehrten in ihre Heimatorte, wurden sie sogar kultisch verehrt. Manche bekamen schon zu Lebzeiten einen Kult, das waren Heroen."

Zum Teil kultisch inspirierte Festivitäten werden zum Gegenstand der Skulptur in der hellenistischen Epoche. Die Maße schrumpfen, die Dimensionen der Bezüge auch: Nicht primär das Göttliche ist der Referenzpunkt der Darstellungen, sondern das Sinnliche, das Menschliche, der Festrausch, der natürlich auch eine Art der Gotterfahrung wie im Fall des Dionysos-Kultes sein konnte.

Ein antiker privater Kunstmarkt, der sich allmählich herausbildete und in den Zentren nach Schmuck für Privathäuser der Begüterten rief, erklärt die Entwicklung. Und vielleicht auch den Umstand, dass man sich nicht nur an den Darstellungen von Modellathleten erfreuen wollte, sondern ebenso an den Reizen des weiblichen Kör-pers, göttlich behaucht, versteht sich.

"Das ist die Aphrodite von Knidos, und Plinius berichtet, dass die Bewohner von Kos, einer Insel in der Nähe von Knidos, bei Praxiteles eine Aphrodite bestellt hatten. Und Praxiteles hat, so um 350 vor Christus, zwei Statuen gemacht. Eine bekleidete Aphrodite, was damals üblich war, und eine nackte Aphrodite. Und die Leute von Kos haben die bekleidete genommen, die sie bestellt hatten, und Knidos hat die nackte genommen. Und die wurde sofort so berühmt, dass eine Art Tourismus einsetzte: Also man fuhr nach Knidos, um diese Aphrodite anzugucken. Und damit ist die erste weibliche Aktdarstellung in großem Format als Skulptur erschaffen worden."

Bis zur Spätantike, bis ins 4. Jahrhundert unserer Zeit, reicht die Ausstellung. Römische Kaiserporträts beschließen den Rundgang durch die antiken Skulpturen, und auch hier bestehen die Lesarten aus mehreren Schichten: Registriert der detailverliebte Blick Nuancen wie die zunehmende Bedeutung der Gestaltung der Augen, wird der kunsthistorisch Interessierte die Symboliken um Frisuren und Bekleidungen in diesen Porträts zu ergründen wissen.

Einige der Darstellungen aus dieser Zeit belegen, dass es zeitweilig offenbar keine Konflikte zwischen dem gerade legalisierten Christentum und den alten griechisch-römischen Mythen gab. Und auch das liest man als Gruß aus einer vergangenen Welt.