So klug wie kleine Kinder

    Von Tina Plasil · 08.05.2013
    Verspielt, neugierig und hochintelligent - die aus Indonesien stammenden Goffinkakadus verfügen über ganz besondere Fähigkeiten: Sie benutzen nicht nur Werkzeug, sondern sie stellen es auch her.
    In dem kleinen niederösterreichischen Dorf Neidling befindet sich das Goffin-Lab - eine Forschungsstelle, in der das Verhalten von Goffinkakadus untersucht wird. Nähert man sich der Voliere, sitzen die 14 Vögel am Gitter und schreien.

    "Das sind Kontaktlaute", erklärt Alice Auersperg vom Department für Kognitionsforschung an der Universität Wien.
    Im Vorraum zur Voliere werden die nötigen Vorkehrungen getroffen: Die Schuhsohlen werden mit Lysoform eingesprüht, die Hände desinfiziert, Schmuck wird abgelegt und eine Jacke übergezogen. Wie ausgeprägt der Spieltrieb der Kakadus ist, zeigt sich schon beim Betreten der Voliere.
    "Die Tiere sind sehr neophil, das bedeutet, sie fühlen sich hingezogen zu neuen Dingen. Und man ist als neue Person in dieser Voliere ein Schneemann. Man ist bedeckt von den Kakadus und sie fangen an, den ganzen Körper zu explorieren. Also ganz toll sind zum Beispiel Knöpfe, Brillen, Ohrringe - darf man gar nicht tragen - das ist gefährlich - Gürtelschnallen, ganz interessant. Sie holen einem auch Sachen aus den Hosentaschen raus, sie machen einem die Schnürsenkel auf."


    Die Kakadus landen auf den Schultern, den Armen, dem Kopf, knabbern an den Schuhen, beißen sanft in die Finger und zupfen an den Schnüren der Kapuze. Mit völlig zerzaustem Haar verlassen wir die Voliere.

    Goffinkakadus stammen von einer Inselgruppe in Indonesien, sind circa 30 cm groß und haben weißes Gefieder. Sie hantieren mit Gegenständen: Das macht sie für die Kognitionsforschung interessant. Eine Studentin beobachtete einen Kakadu namens Figaro, wie er mit einem kleinen Stein spielte.
    "Irgendwann hat er dieses Steinchen durch das Volierengitter gesteckt und das Steinchen ist ihm aus dem Schnabel gefallen und ist auf dem Balken, an dem das Gitter befestigt ist, liegen geblieben, außerhalb von der Voliere. Er hat dann öfters mal versucht, mit seinem Fuß an dieses Steinchen heranzukommen, hat ihn durch gesteckt, das hat aber nicht gereicht. Was er dann gemacht hat, ist, dass er wieder weggegangen ist und er ist mit einem kleinen Stöckchen zurückgekommen und hat dieses Stöckchen durchs Gitter gesteckt und angefangen, dieses Steinchen zu versuchen, an sich heran zu rechen."
    Nach dieser Beobachtung wurde Figaros Werkzeuggebrauch getestet. Man legte ihm eine Nuss hinter das Gitter – ein Stöckchen war nicht in der Nähe.
    "Er hat sich an einem Balken einen langen Splitter rausgebissen ganz vorsichtig, mit vielen verschiedenen Bewegungen vom Schnabel, hat diesen Splitter an dem Balken genau auf die richtige Länge gekürzt, um an diese Nuss heranzukommen und hat dieses selber gebaute Werkzeug benutzt."
    Schon Werkzeuggebrauch ist im Tierreich relativ selten. Sich obendrein ein eigenes Werkzeug zu bauen, gilt als hoch innovativ und intelligent. Neben solchen Zufallsbeobachtungen werden im Goffin-Lab diverse Experimente gemacht. Die Kakadus müssen versteckte Gegenstände finden und komplizierte Verschlüsse öffnen. Können die Kakadus auf ein Futter verzichten, wenn sie dafür später ein besseres bekommen? Diese Frage hat Alice Auersperg untersucht:
    "Jetzt sind die meisten Tierarten relativ impulsiv. also sie würden nicht auf etwas Besseres warten können, wenn sie dafür etwas, was ein bisschen schlechter ist, sofort haben können."
    Kakadus mögen Cashew-Nüsse lieber als Pekannüsse. Der Versuchsaufbau: Auf jeder Hand wird ein Futterstück gezeigt. Dann wird die eine Hand offen zurückgezogen, das Futterstück auf der anderen Hand wird dem getesteten Kakadu zum Fressen angeboten.

    "Wenn die Hand, aus der sie den ersten Gegenstand genommen haben, wieder geöffnet wird, dann müssen sie diesen ersten Gegenstand wieder zurücklegen, der darf nicht angeknabbert sein, und dann bekommen sie die andere Hand und können sich den anderen Gegenstand nehmen."


    Befindet sich in der ersten Hand die begehrtere Cashewnuss, so frisst sie ein Kakadu sofort auf und wartet nicht auf die weniger begehrte Pekannuss. Ist in der ersten Hand jedoch eine Pekannuss und in der zweiten Hand die Cashewnuss, so kann ein Kakadu seinen Impuls, die Pekannuss sofort zu verspeisen, kontrollieren.
    "Also sie können das bis zu 80 Sekunden lang im Schnabel halten, direkt an ihren Geschmacksorganen, direkt an ihrer Zunge, ohne das zu essen. Und jetzt müssen Sie sich mal vorstellen, Sie geben einem dreijährigen Kind einen Keks in den Mund und sagen ihm, wenn er es schafft, das 80 Sekunden nicht zu essen, dann kriegt es ein Stück Schokolade. Glauben Sie, das funktioniert? Wahrscheinlich eher nicht."
    In der Kognitionsforschung gilt die Fähigkeit, auf eine verspätete Belohnung warten zu können, als höchst anspruchsvolle kognitive Leistung. Man muss sich selbst beherrschen, und außerdem einschätzen, ob der Nutzen durch das bessere Futter höher ist, als der Verlust durch die Wartezeit. Dazu muss man beurteilen, ob das Gegenüber vertrauenswürdig ist.

    "Es bedeutet schon, dass man eine relativ hohe kognitive Leistung haben muss, um die Situation einschätzen zu können, dass dieser begehrte Gegenstand wahrscheinlich nicht verschwindet, wenn man auf ihn wartet."

    Diese Verhaltensweisen werden als erste Anzeichen wirtschaftlicher Entscheidungskompetenz gewertet – was man früher nur bei Affen beobachtet hat.