So funktionierte die NS-Filmpropaganda

Von Bernd Sobolla · 22.09.2010
"Hitlerjunge Quex", "Kolberg" oder "Jud Süß" gelten als Vorbehaltsfilme - sie dürfen nur mit begleitendem Vortrag öffentlich vorgeführt werden. Horst Walther vom Institut für Kino und Filmkultur" ist deutschlandweit in Kinos unterwegs, um Veit Harlans "Jud Süß" mit einem interessierten Publikum zu analysieren.
Horst Walther: "Goebbels wollte einen Unterhaltungsfilm. Er wollte nicht so einen Film wie "Der ewige Jude". Das ist so ein Film, wo man ein Rattengesicht überblendet in ein menschliches Gesicht. Und sagt: So sind diese Juden, um das sozusagen zu schildern. Dieser Film, "Der ewige Jude", der ist in Deutschland nicht beliebt gewesen, da sind kaum Leute reingegangen. Goebbels hat gesagt: Mh, was wir brauchen ist ein Unterhaltungsfilm, was wir brauchen ist ein spannender Film, was wir brauchen ist ein Film, wo die Leute gerne reingehen!"

Horst Walther vom Institut für Kino und Filmkultur steht vor rund 80 Schülern und einigen Erwachsenen im ausverkauften "Mon Ami" Kino von Weimar und hält seine Einführungsrede. In etwa 15 Minuten erläutert er die drei Dinge, die für ihn die Besonderheit des Films ausmachen: Sein Unterhaltungswert, sein hohes technisches Niveau und das Schauspielerensemble. Denn mit Heinrich George, Werner Krauß, Kristina Söderbaum und Ferdinand Marian war "Jud Süß" exzellent besetzt.

Walther beschreibt aber auch vor welchem Hintergrund der Film 1940 gedreht wurde. Nämlich nach der Einführung der Nürnberger Rassengesetze, der Reichspogromnacht, der Enteignung der Juden, dem Beginn der Deportation und des Krieges. "Jud Süß" beginnt im Jahr 1733: In Württemberg übernimmt zu dieser Zeit Herzog Karl Alexander die Regentschaft und schickt in seiner Geldnot einen Boten zum Juden Joseph Süß Oppenheimer, der einen Schrank voll edlem Schmuck hat.

Filmauschnitt: "Märchenhaft, wirklich märchenhaft. Aber zu groß für uns. / Zu groß für eine Herzogin? / Fabelhaft, wunderbar. Also ich wage ja gar nicht zu fragen, was es kostet. / 50.000. / Aber ich sage doch, mein Herzog hat nicht so viel Geld. / Gut. 10. / Und die restlichen 40? / Mh, man kommt ins Geschäft."

Süß avanciert zum Berater und Finanzsenator des Herzogs, presst durch Steuern der darbenden Bevölkerung das wenige Geld aus der Tasche. Und treibt durch Intrigen einen Keil zwischen Herzog und Volk. Bis sich das Volk erhebt.

Filmauschnitt: "Fort! Fort! Fort! So pflegen Revolutionen anzufangen. / Wenn hier eine Pistole losgeht, entsteht eine Panik. / Die Schlossgarde ist 1.000 Mann stark. Es gibt ein fürchterliches Blutbad, wenn sich Euer Durchlaucht nicht bei Zeiten besinnen. Man muss dem Volk eine Macht entgegen stellen, gegen die es nicht wagt aufzustehen."

Nach dem Film analysiert Horst Walther, wie die Charaktere angelegt sind: Hier die aufrechten Schwaben, der Landschaftskonsultent Sturm, sein Schwiegersohn in spe und seine Tochter, auf die es der Jude Süß abgesehen hat. Jener, schlau und skrupellos, nutzt die Schwächen der anderen gnadenlos aus. Auch die des Herzogs, der ein prassender Lebemann ist.
Horst Walther: "Und der Ferdinand Marian, in meinen Augen, spielt das auch gut. Der den Jud Süß hier spielt. Auf der einen Seite so, ja, dieses Schmierige: 'Wollen sie nicht ein bisschen Geld haben?' Nicht wahr. Und auf der anderen Seite: 'Zack, zack jetzt wird er da aufgehängt der Schmied, Hans Bogner.' Also diese ganzen Facetten, das kommt sehr gut rüber."

Und schließlich mutiert Oppenheimer zum Vergewaltiger.

Filmauschnitt: "Herr. / Ach, beten. Bete nur zu deinem Gott! Bete! Aber nicht nur ihr Christen habt einen Gott. Wir Juden haben auch einen. Das ist der Gott der Rache. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Bedanken sie sich bei ihrem Vater. / Lassen sie mich los. / Ich soll machen, dass der Hochverräter nicht. / Rühren sie mich nicht an!"

Nicht nur deshalb baut sich auch heute für die Zuschauer ein überzeugendes Feindbild auf.

Ein junger Mann sagt: "Und wenn sich das jetzt ein 11- oder 12-Jähriger anguckt, denke ich, funktioniert das immer noch." Eine ältere Frau meint: "Beeindruckend in dem Sinne, wie modern eigentlich der Film gemacht war damals, für die damalige Zeit. Das hat mich schon überrascht." "Und gerade mit dem Ende konnte man, denke ich, die Massen auch begeistern. Der Jude wird hingerichtet vor einer Riesenmasse jubelnder Menschen. Das Gute hat gesiegt. So nach dem Motto", sagt ein weiterer junger Zuschauer.

In der Filmanalyse geht es aber auch um scheinbare Kleinigkeiten: Als in der Eröffnungsszene der Herzog vom Volk euphorisch auf der Straße begrüßt wird, fällt einer Frau die Bluse herunter, und sie steht mit entblößtem Oberkörper da – 1940 wohlgemerkt. Man wusste, die Zuschauer in den Bann zu ziehen. Dann wurde der harmonischen Hausmusik der Familie Sturm der schlechte Gesang der Juden gegenübergestellt. Und schließlich die Schlussszene, die Hinrichtung von Süß Oppenheim.

Filmauschnitt: "Trommeln. Ich bin nichts gewesen, als ein treuer Diener von meinem Souverän. Was kann ich dafür, wenn euer Herzog ein Verräter gewesen ist? Ich will ja alles wieder gut machen. "

Die Hinrichtung im Schneefall steht für einen eisigen Punkt in der deutschen Geschichte, vielleicht aber auch für einen Moment der scheinbaren Reinigung. Horst Walther ist ein klarer Analytiker und energischer Schnellsprecher, der die Zuhörer auch dank seines Schauspieltalents in den Bann zieht. Einig waren sich letztlich fast alle, dass "Jud Süß" auch künftig ein Film bleiben sollte, den man nur im Rahmen eines Filmseminars zeigen sollte.

Horst Walther: "Stellen Sie sich mal vor, wenn sie den freigeben den Film, dann läuft er dann bei RTL. Wie soll das dann aussehen: 'Gucken Sie sich den schlimmsten Anti-Juden-Film aller Zeiten an!' Unterbrochen von Waschmittelreklame. Na hören sie mal! Ich finde, das kann man nicht machen. Nach unserer Geschichte, kann so etwas nicht machen."
Mehr zum Thema