Polen

Politik zerstört Freundschaften

Mitglieder der polnischen Gewerkschaft OPZZ protestieren in Warschau gegen Lohndumping.
Die polnische Gewerkschaft OPZZ ging bereits 2015 auf die Straßen gegen Lohndumping. © picture alliance / dpa / Pawel Supernak
Von Beata Bielecka · 13.06.2016
Die neue polnische Regierung schüre Hass und bringe die Menschen gegeneinander auf. An sich selbst beobachtet die Journalistin Beata Bielecka, dass eine Freundschaft darüber zu Bruch gehe. Dem will sie sich widersetzen.
Nie hätte ich gedacht, dass die Freundschaft zu Ewa zerstört werden könnte. Wir haben gemeinsam die Geburtstage unserer Kinder gefeiert, fuhren mit unseren Familien in den Urlaub und haben uns die größten Geheimnisse anvertraut.
Bis ich im letzten Herbst bemerkte, wie eine Art Unaufrichtigkeit zwischen Ewa und mir aufkam. Zwischen uns stellte sich der Stimmungsumschwung in Polen, der die konservative Opposition, die Partei "Recht und Gerechtigkeit", erst den Präsidenten, dann die ganze Regierung stellen ließ. Um uns 20 Jahre Freundschaft zu erhalten, vermeiden wir es seitdem miteinander über Politik zu sprechen.
Mich reizt es bis zur Weißglut, wie die neue parlamentarische Mehrheit im Sejm ihren Machtwechsel in Szene setzt. Sie tut es, indem sie Gegner als Menschen zweiter Klasse beschimpft oder ihnen einen Maulkorb verpasst.

Ein Machtwechsel, der zur Weißglut reizt

So wandelte sie den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk in einen staatskonformen Sender um und werkelt an der Unabhängigkeit der Justiz, am Status des Verfassungstribunals. Vor allem aber erhebt sie einen gezielt geförderten Mythos ihrer Partei zur nationalen Politik.
Es sei kein Unfall, sondern ein Anschlag gewesen, der 2010 über Smolensk das Flugzeug abstürzen ließ, das den damaligen Präsidenten Lech Kaczynski und einen großen Teil der polnischen Elite zu einer Gedenkfeier ins russische Katyn bringen sollte. Schon früh bezweifelte "Recht und Gerechtigkeit" das Untersuchungsergebnis der Luftfahrtexperten und unterstellte der liberalen Vorgängerregierung einen Komplott.
Als auch Ewa anfing, diese Sicht des Unglücks zu übernehmen, begriff ich, dass polnische Politik im Moment nur noch emotional aufgeladen und undurchsichtig ausgetragen wird. Ein Sprichwort empfiehlt: "Nimm lieber warmes statt kochendes Wasser". Und so bevorzuge ich in der Debatte das warme, sprich Unaufgeregtheit und Transparenz.

Ein Polen, das vor dem nationalen Brand steht

Bei uns aber wird in der Politik nur noch geschrien. Wer anders denkt, dem schlägt alsbald eine Welle Hass entgegen. Wir haben aufgehört, mit Argumenten zu streiten. Seit den Wahlen ist das Land tief gespalten. Nachbarn, Freunde und Geschwister reden nicht mehr miteinander. Auf Demonstrationen steht das neu entstandene "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" feindlich den Anhängern der ebenfalls neuen konservativen Regierung gegenüber.
Die Dichterin Ewa Lipska hat unlängst in einem Interview über ihre Angst gesprochen, dass jemand irgendwann ein Streichholz anzündet und es unter die erhitzten Polen wirft, dass einen Brand innerhalb der Nation entfacht. Und sie hat Recht.
Solange Politik sich wie "warmes Wasser" verhielt, hatte ich keine Ahnung, was Menschen, die ich seit Jahren kenne, tatsächlich politisch denken. Vor unseren Augen hat das tolerante Polen, in dem es sich gut lebte, aufgehört zu existieren. Jetzt brodelt es allenthalben in privaten Auseinandersetzungen oder auf Internetforen.

Eine Freundschaft, für die Politik nicht entscheidend sein sollte

Auch ich, das gebe ich zu, reagierte eine Zeitlang emotional auf alles, was meine Freundin Ewa über Politik dachte und sagte. Bis ein naher Verwandter von ihr starb. Sein Tod brachte mich zur Besinnung. Da erinnerte ich mich an unsere guten Gespräche über das Leben, über die Freude, Mutter und später Großmutter zu werden, auch daran, dass wir uns gegenseitig unterstützt haben, beispielsweise als unsere Eltern starben.
Und ich nahm mir vor, dass diese momentan so entsetzliche Politik mir meine wertvolle Erinnerung nicht nehmen darf, nicht das, was Ewa und ich gemeinsam erlebten. Ich begriff, dass mir nicht wichtig sein sollte, welche Meinung wir haben, sondern welchen Charakter.
Beata Bielecka ist Redakteurin der "Gazeta Slubicka”, der kommunalen Zeitung der Stadt Slubice, arbeitete zuvor 20 Jahre lang als Redakteurin bei "Gazeta Lubuska", der größten regionalen Tageszeitung Polens an der deutsch-polnischen Grenze, hat 1996 gemeinsam mit Dietrich Schröder (Märkische Oderzeitung) den "Wächter-Preis der deutschen Tagespresse” verliehen bekommen: für eine Artikelreihe über Regelverstöße bei der Grenzpolizei, war 2014 nominiert für den deutsch-polnischen Journalistenpreis "Tadeusz-Mazowiecki".
Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Lubuska"
Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Lubuska"© privat
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