Smombies

Die Würde des Smartphones ist unabschaltbar

Ein junger Mann geht mit dem Blick auf sein Smartphone gerichtet.
Ein typischer Vertreter der Gattung Smombie. © picture alliance / dpa / Thalia Engel
Von Arno Orzessek · 09.01.2017
So ein Smartphone-Zombie, kurz: Smombie, ist wirklich anders. Menschen haben ein Smartphone, beim Smombie ist es umgekehrt: Sein Smartphone hat ihn. Deshalb besitzt der Smombie auch keine Menschen-, ja nicht einmal eine Smombie-Würde.
Früher, sagen wir: im Zeitalter der gelben Telefonzelle, war alles noch einfacher. Da waren die Konzert-, Theater- und Kinofreunde unter sich, wenn sie ins Konzert, Theater oder Kino gingen. Man hatte Augenhöhe - auch mit den Störenfrieden.
Aber so ist es halt nicht mehr. Dem Homo sapiens, diesem kunstaffinen Trockennasenaffen aus der Ordnung der Primaten, hat sich ein evolutionärer Geselle zugesellt, der aber leider nicht so gut zu ihm passt wie ganz, ganz früher zum Adam die ungefähr baugleiche Eva.
Nein, unser neuer Begleiter durchs Anthropozän steht außerhalb der Primaten-Ordnung und wird Smartphone-Zombie genannt, kurz: Smombie.
Und so ein Smombie ist wirklich anders. Menschen haben ein Smartphone, beim Smombie ist es umgekehrt: Sein Smartphone hat ihn. Deshalb besitzt der Smombie auch keine Menschen-, ja nicht einmal eine Smombie-Würde.
Die Würde kommt vielmehr seinem Smartphone zu, dem Wesenskern seiner Existenz, vergleichbar mit Geist und Seele beim Menschen.
Woraus in Analogie zu Artikel 1 Grundgesetz folgt: Die Würde des Smartphones ist unabschaltbar.
Das sollte man bedenken, wenn es im Kino notorisch klingelt, wenn Displays aufleuchten und Finger über Tastaturen hasten; wenn mal wieder Smombie X zu Smombie Y ins Phone flötet:
"Hey, ich sitze gerade im Kino! Und du so? - Ach, du auch!"

Nur nicht genervt über den Smombie mosern

Wenn sich so etwas ein Homo sapiens leistet, ist das asozial, klar. Tut's jedoch ein Smombie, muss vor genervtem Mosern gewarnt werden. Es wäre rassistische Diskriminierung.
Und die hat der Smombie, der nun einmal so ist, wie er ist, nicht verdient. Denn gerade bei klassischen Konzerten entwickeln Smombies ein zärtliches Verständnis für uns. Sie nehmen die Hände oft schon während der ersten Takte von den Smartphones, twittern nur in Satzpausen und surfen am Ende mit einer Hand durchs Netz, damit die andere applaudieren kann.
Diese Disziplin muss man sich als Mensch mal vorstellen! Als würden wir vier Sätze Beethoven lang den Atem anhalten.
Andererseits: Der Smombie fürchtet uns auch ein bisschen. Wir beschimpfen ihn doch schon, nur weil er das Lenken seines Autos als störende Ablenkung vom Daddeln empfindet.
So, wie nun die Auto-Industrie wegen des Smombies das autonome Fahren fördert, könnte ihm die Kulturindustrie das autonome Kultur-Erlebnis ermöglichen. Und zwar durch schalldichte Glaskästen, die ihm völlig uneingeschränkten Konzert-, Kino- oder Theatergenuss sichern, ohne dass ihn Wort und Musik stören, falls er die Augen vom Display erheben sollte.

Kampf der Kulturen

Andernfalls droht der Kampf der Kulturen. Siehe vor einigen Jahren im Lincoln Center, wo die New Yorker Philharmoniker Mahlers 9. Sinfonie gaben. Im Finale wurde der Marimba-Ton eines Smartphones laut – und was verlangten 2750 menschliche Zuhörer? Sie verlangten laut New York Times "nach Blut".
Muss nicht sein. Eine Zivilisation, die von der Knoblauchkröte bis zum achtzehnfleckigen Ohnschild-Prachtkäfer alles Sensible unter Naturschutz stellt, kann auch den Smombie schützen.
Es ist ja nur vorläufig. Natürlich muss auf Dauer der Mensch untergehen, damit der Smombie lebe.
Das ist dann vielleicht noch nicht das Ende der Geschichte. Aber keiner wird glauben, dass es einst überall Symbole gab, die ernsthaft gefordert haben: Smartphones aus!
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