Smartphones

"Mit jeder neuen Technik geben wir Fähigkeiten auf"

Auf einem Smartphone-Display sind die Logos von Twitter, Instagram und Snapchat zu sehen.
Auf einem Smartphone-Display sind die Logos von Twitter, Instagram und Snapchat zu sehen. © pa/dpa/Vennenbernd
Jan Kalbitzer im Gespräch mit Dieter Kassel · 02.01.2017
Immer erreichbar und das Wissen der Welt in der Hosentasche - was machen Smartphones mit uns? Das Smartphone verändere das Gehirn, sagt der Psychiater Jan Kalbitzer. Aber das sei "völlig normal". Sorgen bereite ihm aber der Verlust von emotionalen Fähigkeiten.
Die Allgegenwart der Smartphones hat auch Auswirkungen auf unser Gehirn. Natürlich verändere das Smartphone unser Gehirn, sagt der Psychiater Jan Kalbitzer, Leiter des Zentrums für Internet und seelische Gesundheit an der Berliner Charité.
"Es ist zu früh, um zu wissen, in welche Richtung das geht. Dass sich unser Gehirn verändert, ist völlig normal. Unser Gehirn verändert sich ja permanent. Es wäre schlimm, wenn es das nicht täte, weil wir als Wesen darauf angewiesen sind, auf unsere Umwelt zu reagieren und uns neuen Umweltbedingungen anzupassen."
Mit jeder neuen Technik würden bestimmte Fähigkeiten aufgegeben, so Kalbitzer. "Und an das Smartphone delegieren wir ja relativ viel." So verlagerten wir beispielsweise unser Wissen nach außen. Das könne aber durchaus sinnvoll sein.
"Was mir da eher Sorgen macht, ist die emotionale Fähigkeit: Dass man eben das aushalten kann, nicht sofort eine Antwort zu kriegen, nicht sofort soziales Feedback auf alles zu kriegen."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wie das Smartphone eigentlich unsere ganze Gesellschaft verändert hat in den letzten ungefähr zehn Jahren, das ist die große Frage, der wir die ganze Woche über nachgehen werden. Wir wollen aber klein anfangen heute, nämlich damit, dass wir darüber sprechen, wie, wenn denn überhaupt, das Smartphone uns einzelne Menschen verändert hat. Denken und handeln wir heute wirklich anders als, sagen wir mal, vor zehn oder fünfzehn Jahren. Das wollen wir zum Auftakt unserer Reihe von Doktor Jan Kalbitzer wissen. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, leitet das Zentrum für Internet und seelische Gesundheit an der Berliner Charité und ist unter anderem auch Autor des Buches "Digitale Paranoia: Online bleiben, ohne den Verstand zu verlieren". Schönen guten Morgen, Herr Kalbitzer!
Jan Kalbitzer: Guten Morgen!
Kassel: Wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie Ihr Smartphone mal unbeabsichtigterweise nicht dabei haben? Fehlt Ihnen dann was?

"Ich lese extrem viel Zeitung auf dem Smartphone"

Kalbitzer: Meistens fehlt mir dann nichts. Ich muss erreichbar sein für meine Familie, aber es ist so eine Mischung. Es ist einerseits so eine Erleichterung, dass ich denke, ach, was mache ich denn jetzt mal ohne Smartphone und so ein bisschen die Dinge ausprobiere, die ich weniger tue, seit ich eins habe, und andererseits merke ich auch, dass mir dann bestimmte Dinge fehlen. Zum Beispiel in meinem Fall das Zeitunglesen. Ich lese extrem viel Zeitung auf dem Smartphone. Das fehlt mir schnell, also die Auswahl, die man da hat, die Möglichkeiten, auf verschiedene Dinge zuzugreifen, Informationen aus der ganzen Welt.
Kassel: Das ist ein Vorteil, auch mir spart das Zeit. Man kann zum Beispiel auch auf der Rückfahrt von der Arbeit, wenn man nicht selber Auto fährt, E-Mails lesen, beantworten, macht man zu Hause den Computer gar nicht mehr an, aber führt nicht dieses Gefühl, dass auch andere einem gegenüber oft mitbringen, man müsse dann stets erreichbar sein, Nachrichten sofort lesen, sie sofort beantworten, Hintergrundinformationen sogar abrufen, führt das nicht doch zu einer höheren Stressbelastung?
Kalbitzer: Das ist unterschiedlich. Das hat stark mit dem inneren Verhältnis dazu zu tun. Es gibt Leute, die finden das ganz großartig, und wir befragen ja in Einzelgesprächen Menschen, die unter psychischen Beschwerden leiden, und die sagen, meistens fängt es an, sie zu verunsichern oder sich unangenehm anzufühlen, wenn sie bereits Symptome haben, also wenn sie ängstlich werden, wenn sie depressiv werden, wenn sie an Selbstwert verlieren, dann erst kommt dieser Effekt, dass es sich überwältigend anfühlt, und vorher ist es oft so, dass man das Gefühl hat, ich komme damit eigentlich ganz gut zurecht. Das ist eine grundlegende Sache.
Das Problem ist, dass wir mit jeder neuen Technik bestimmte Fähigkeiten aufgeben, und an das Smartphone delegieren wir ja relativ viel. Zum einen verlagern wir unser Wissen nach außen. Das macht mir nicht so große Sorgen. Das haben wir schon immer getan. Niemand weiß heutzutage mehr, wie man ein Kind auf die Welt bringt, und die wenigsten wissen das genau, und auch die Nachbarn haben wir jetzt nicht mehr, wo wir sagen können, die und die Nachbarin hilft uns dann, sondern alle gehen ins Krankenhaus. Das heißt, wir delegieren das an Spezialisten.

Die Sehnsucht nach sozialem Feedback

Was mir da eher Sorgen macht, ist die emotionale Fähigkeit, dass man eben das aushalten kann, nicht sofort eine Antwort zu kriegen, dass man das aushalten kann, nicht sofort soziales Feedback auf alles zu kriegen, und gerade Menschen, die in Krisen geraten, leiden da besonders drunter, dass sie verunsichert sind, nach sozialem Feedback suchen und das brauchen. Dann ist es wahrscheinlich nicht so wichtig, wie viel Zeit man damit verbringt und wie innig das Verhältnis ist, solange man derjenige ist, der die Kontrolle hat und die Kontrolle nicht außerhalb liegt irgendwo im Internet oder bei einer Firma, die uns geschickt verführt.
Kassel: Aber merkt man das immer, wie lange man noch Kontrolle hat, gerade das, was Sie gesagt haben über Leute, die vielleicht unter einer Depression leiden, die unter Einsamkeit leiden, unter Angststörungen? Es gab ja mal – eine Studie würde ich es nicht nennen, weil so hochwissenschaftlich war es nicht –, nennen wir es eine Untersuchung, die möglicherweise nachgewiesen hat, dass Facebook unglücklich macht. Sehr vereinfacht haben die damals behauptet, ja, weil die Leute ja nur posten, wenn sie was Besonderes erleben – Klammer auf: nicht meine Erfahrung bei meinen Freunden, aber es ist so –, haben viele Menschen, die Facebook lesen und gucken, was die anderen immer machen, leicht das Gefühl, ach, alle sind toll, alle ständig nur erfolgreich, und ich habe immer nur Pech. Also ist es nicht auch schwierig, manchmal noch diesen Unterschied zu sehen zwischen der wahren Welt und der Spiegel auch der Welt im Internet?
Kalbitzer: Also zum einen, zu dieser Studie muss man sagen, dass es offenbar – da gibt es noch weitere Studien – damit zusammenhängt, wie gut man die Leute kennt. Wenn das Leute sind, die man auch privat gut kennt, dann ist der Effekt nicht so stark, dass sich das unangenehm anfühlt, sondern wenn das Leute sind, bei denen man nicht einschätzen kann, ist das jetzt real oder nicht real diese heile Welt, die man da quasi erlebt, dann ist das deutlich bedrückender. Und ja, das kann manchmal sein, dass man das gar nicht so mitbekommt, wie das Verhältnis dazu ist.

Es gibt größere Probleme als das Smartphone

Da ist es dann wichtig, wenn man das Gefühl hat, es fühlt sich nicht mehr gut an oder ich bin unsicher, wie das jetzt für mich ist, dass man sich mit anderen Leuten da drüber unterhält, dass man sagt, ich habe das Gefühl, das ist so und so. Das muss kein Therapeut sein, das können einfach Freunde sein – mal mit denen drüber redet und guckt, wie fühlt sich denn das an, wenn ich davon spreche. Habe ich das Gefühl, uff, das ist schon ganz schön heftig, das bewegt mich ganz schön, oder denke ich, ach, so wild ist es auch nicht. Das ist meistens erst mal ein ganz guter Maßstab dafür, wie zentral das ist.
Das andere ist, wir haben zu vielen Dingen ein irrationales Verhältnis. Ich meine, wir haben vor zwei Tagen Silvester gehabt, und wenn Sie mich als Arzt fragen, dann gibt es Dinge, mit denen wir sehr irrational umgehen. Wir sprengen uns halbe Hände ab und machen betrunken die absurdesten Sachen. Wenn man mal so einen Nachtdienst in der Rettungsstelle gemacht hat Silvester, dann macht man sich nicht mehr über die Smartphones die größten Sorgen, sondern über Alkohol, Silvesterböller und vor allem zum Beispiel auch Autos. Das ist eine Technik, mit der wir gar nicht umgehen können. Deswegen glaube ich, was am Smartphone jetzt gut ist, ist, dass wir die Diskussion sehr früh führen.
Wenn immer diese ganze Sorge in unserer Gesellschaft kommt, die im letzten Jahr ja sehr bedrückend war, was passiert jetzt mit uns durch diese ganze Geschwindigkeit und Populismus, dann kann ich nur sagen, ja, es passieren bedrohliche Dinge, aber wir begegnen ihnen mit einer ganz anderen Reflexion, und das ist ein großer Vorteil, und wenn die gesamte Debatte entsteht, wie wollen wir eigentlich leben, wir wollen wir mit Technik umgehen, ist das erst mal was sehr Positives.

Sinnvoll, bestimmte Fähigkeiten auszulagern

Kassel: Es sehen ja nicht alle positiv. Es gibt ja auch unter Wissenschaftlern jetzt schon diese Diskussion, ob es nicht sogar sein könnte, dass das Smartphone, das Internet überhaupt, digitale Techniken, unser Gehirn verändern. Ist da aus Ihrer Sicht wissenschaftlich was dran oder ist es nicht vor allem im Grunde genommen viel zu früh, um das zu wissen?
Kalbitzer: Also, es ist zu früh, um zu wissen, in welche Richtung das geht. Dass sich unser Gehirn verändert, ist völlig normal. Unser Gehirn verändert sich ja permanent. Das wäre schlimm, wenn es das nicht täte, weil wir als Wesen darauf angewiesen sind, auf unsere Umwelt zu reagieren und uns neuen Umweltbedingungen anzupassen. Deswegen finde ich grundsätzlich erst mal, dass sich der Organismus verändert, nicht schlecht, und dass sich unser Gehirn verändert, ist auch nicht so ein großes Problem. Die Frage ist, in welche Richtung geht das, und wenn wir anfangen, bestimmte Fähigkeiten auszulagern, kann das durchaus sinnvoll sein.
Wir müssen eben nur gucken, in welche Richtung kann es gehen, in welche Richtung soll es gehen, und die Entscheidung möglichst bewusst treffen. Allein die Tatsache, dass es jetzt in vielen Smartphones diese Nachtbeleuchtung gibt, dass nachts nicht mehr dieses blaue Licht drin ist, allein das ändert auch schon wieder ganz viel. Das lässt sich so schnell unterwegs quasi gar nicht beurteilen. Manche Einzelaspekte lassen sich ja beurteilen, aber sowas großes wie das Internet oder das Smartphone und das Gehirn, das ist viel zu groß gegriffen. Das ist völlig übertrieben, das können wir jetzt noch nicht sagen.

Eiserne Regeln sind "völliger Unfug"

Kassel: Aber es kommt durch ehrlich aus Ihrem Alltag, sowohl in der Charité als auch in Ihrer Praxis, vor, dass man Sie um ganz einfache Regeln bittet. Also die berühmte Frage, die hören Sie bestimmt gelegentlich, ist, ab welchem Alter sollte mein Kind überhaupt ein Smartphone haben. Wenn es eins hat, sollte ich zum Beispiel vorschreiben, wie viel Stunden am Tag es dieses Gerät benutzen darf. Helfen solche Regeln weiter, vielleicht auch bei Erwachsenen, sich vorzunehmen, nur zwei Stunden am Tag und nicht nach 20 Uhr oder ist das Unfug?
Kalbitzer: Ich finde es gut, Regeln auszuprobieren und dann zu gucken, was macht das mit mir. Also man darf die Regeln halt nicht als in Stein gemeißelt betrachten. Es gibt ja gerne Leute, die sagen, zwei Stunden Internet oder drei Stunden oder vier Stunden, das als so eine eiserne Regel betrachten. Das ist völliger Unfug, das ist Quatsch. Das kann überhaupt nicht funktionieren, weil es Menschen gibt, die den ganzen Tag im Internet sind und völlig zufrieden sind. Ich war gerade auf dem Treffen des Chaos Computer Clubs, und ich habe selten so zufriedene, ausgeglichene Menschen um mich rum gesehen, und die sind die ganze Zeit im Internet.
Menschen können nur ganz schlecht alleine an ihrem Verhalten was ändern. Das geht am besten, wenn man das in Gruppen tut. Deswegen sollte man das auch zum Beispiel mit der Familie machen oder mit Arbeitskollegen gemeinsam und sagt, wir probieren das jetzt gemeinsam aus und gucken, wie es uns damit geht. Dann kann man auch besser drüber sprechen, wie es sich anfühlt, und dann kann man so Regeln auch besser umsetzen. Wenn ich mir alleine sage, ich mache es nach 20 Uhr aus, dann wird das nicht lange halten. Wenn man das mit der ganzen Familie macht, funktioniert das besser.
Kassel: So viel Praxis zum Schluss, wobei es eigentlich nicht der Schluss war. Das war das Auftaktgespräch zu unserer neuen Serie. Wir haben das Gespräch mit dem Psychiater und Psychotherapeuten Doktor Jan Kalbitzer geführt. An Sie erst mal vielen Dank für heute!
Kalbitzer: Sehr gerne!
Kassel: Und wir setzen die Reihe "Die ganze Welt in der Hosentasche: Wie das Smartphone uns verändert hat" natürlich fort und zwar noch heute. Heute Mittag geht es in unserer Sendung "Studio 9" um die Nutzung von Smartphones in Afrika, in Kenia konkret, und unsere gesamte Reihe finden Sie natürlich auch im Internet unter deutschlandradiokultur.de, und diese Seite ist, wenn Sie mögen, natürlich auch handyoptimiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema