Slowakische EU-Grenze

Kein Durchkommen dank Hightech

Ein Beamter überwacht in der Polizeizentrale Sobrance in der Slowakei sämtliche Grenzabschnitte zur Ukraine Tag und Nacht an Bildschirmen (Foto vom 16.11.2007). Die Sensoren der verwendeten Kameras können Nachts zwischen Menschen und Tieren unterscheiden.
Seit dem Schengen-Beitritt der Slowakei 2007 wird die slowakisch-ukrainische Grenze lückenlos überwacht. © picture-alliance/ dpa / DB Christian Fürst
Von Kilian Kirchgeßner · 29.01.2019
Infrarot-Kameras, seismische Kabel, 800 Polizisten: Die 100 Kilometer lange EU-Außengrenze im Osten der Slowakei sendet ein klares Signal aus - hier kommt keiner durch. Die Bilder der Flüchtlingstrecks von 2015 sind in der Slowakei allen noch im Kopf.
Die letzten Meter geht es zu Fuß steil bergauf. Mit dem Auto ist Maros Krnac auf Schleichwegen bis an die Grenze gefahren, hier aber kommt selbst sein Geländewagen nicht weiter. Durch den dichten Wald hindurch führt ein Trampelpfad. Oben, auf dem Kamm des Berges, ist eine Schneise durch die Bäume geschlagen – die Grenze zur Ukraine. Krnac rückt seine Polizei-Uniform zurecht.
"Wenn hier eine Gruppe durchgeht, sieht man im hohen Gras ihre Spur, da können wir die Verfolgung aufnehmen. Und wie Sie sehen, ist das Terrain schwierig. Zur nächsten Gemeinde sind es sieben, acht Kilometer durch den dichten Wald. Und schon vor der Grenze müssten die Flüchtlinge einen steilen Berg hoch. Die Leute sind dann so erschöpft, dass sie nicht mehr weiterkönnen."

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Hier, im Osten der Slowakei, verläuft nicht nur die Landesgrenze, die Schneise ist zugleich die Außengrenze der Europäischen Union und des Schengen-Raums. Auf 100 Kilometern Länge geht es durch unwegsames Gelände. Hier ist das Revier von Grenzpolizist Maros Krnac und seiner Kollegin Agnesa Kopernicka.
Pfosten zur Markierung der Grenze Slowakei und Ukraine. Sie stehen auf einer Wiese im Wald.
Pfosten zur Markierung der Grenze Slowakei und Ukraine.© Kilian Kirchgeßner
Ein Streifzug entlang der Grenze. Die Bilder von Flüchtlingstrecks, die 2015 nach Deutschland zogen, haben die Polizisten hier alle gesehen. Seitdem sagt einer, sei man hier in erhöhter Alarmbereitschaft. Maros Krnac zeigt auf die beiden drei Meter hohen Pfosten, die stets nebeneinander stehen: einer rot-weiß-blau bemalt in den Farben der Slowakei, der andere gelb-blau in den Farben der Ukraine.

Slowakei verdreifacht Grenzpolizisten seit Schengen-Beitritt

Die Grenzpfosten sind entlang der Schneise so aufgestellt, dass man immer von einem zum anderen schauen kann. Dadurch ist ausgeschlossen, dass jemand nicht merkt, dass er schon über die Grenze gekommen ist. Wenn wir Migranten aufgreifen, behaupten sie trotzdem fast immer, nicht zu wissen, dass sie schon in der Slowakei sind. Oder sie wollen es nicht wissen, schwer zu sagen.
Und seine Kollegin Agnesa Kopernicka ergänzt:
"Es kam auch schon vor, dass sie über die Grenze gekommen sind und geglaubt haben, sie seien schon in Deutschland."
Vor ihrem Schengen-Beitritt im Jahr 2007 hat die Slowakei die Zahl der Polizisten hier an der ukrainschen Grenze verdreifacht: 800 Polizisten sind jetzt im Einsatz. Und nicht nur das: Die Grenzschützer haben technisch aufgerüstet. Hier im Wald liege einer der anspruchsvollsten Abschnitte der Grenze, sagt Agnesa Kopernicka, das Terrain sei für Eindringlinge, aber auch für die Polizisten schwierig.
Im Norden der Grenze sieht es überall so aus wie hier. Da gibt sogar Abschnitte mit noch steileren Hügeln, die steigen fast im 90-Grad-Winkel an.
Je nach Untergrund variiert auch die Technik der Grenzbefestigung. Ein paar Kilometer entfernt vom undurchdringlichen Waldstück liegt der Teil der Grenze, auf den die Polizisten besonders stolz sind – er ist so vollgepackt mit High-Tech, dass regelmäßig Delegationen von überall auf der Welt zu Gast sind, um sich den Betrieb vorführen zu lassen.
Maros Krnac und Michal Voloch mit ihrem zweisitzigen Patrouillenfahrzeug mit großen Reifen und keinen Scheiben.
Maros Krnac und Michal Voloch mit ihrem Patrouillenfahrzeug.© Kilian Kirchgeßner
Über Nacht hat es geregnet, der Waldboden ist vollgesogen mit Wasser. Eine Straße gibt es nicht, die bis an die Grenze führt. Deshalb steigen die Polizisten auf ein Quad um, eine Art vierrädriges Geländemotorrad. Fahrer ist Michal Voloch, einer der Grenzschützer. Bei ihm steigt Agnesa Kopernicka jetzt auf. Einigen Forstarbeitern, die hier unterwegs sind, rufen sie einen Gruß zu, dann geben sie Gas.
Durch dichten Wald geht es hin zu einer Schneise, die kilometerweit in den Wald geschnitten ist. Auch hier stehen die unübersehbaren Grenzpfosten – aber hier werden sie ergänzt von meterhohen Stahlmasten, die entlang der Schneise alle paar hundert Meter aus dem Waldboden aufragen.

Hightech-Grenze: Infrarot-Kameras und seismische Kabel

"In der Erde liegt ein seismisches Kabel, und an den Masten hängen Kameras mit Infrarot-Technik. Wenn jemand hier entlang läuft, gehen die Infrarot-Strahler an und wir zeichnen die Bilder auf", so der Polizist.
Kamerakette nennen sie das, und sagen stolz: Unbemerkt über die Grenze zu kommen, das sei so gut wie unmöglich, selbst hier, fernab der nächsten Dörfer und Straßen. Michal Voloch beschleunigt, sein Geländefahrzeug rast über die holperige Piste. 110 Stundenkilometer schaffe der Motor, ruft er, während unter den Rädern Steine und Äste davonschleudern. Per Funk alarmiert ihn die Zentrale, wenn die Bewegungsmelder irgendwo etwas Verdächtiges melden. Angst, sagen Michael Voloch und Agnesa Kopernicka, dürfe man hier draußen nicht haben.
"Alles ist gefährlich! Auf der Baustelle kann dir ein Stein auf den Kopf fallen, hier kann dich ein Bär angreifen. Ich weiß nicht, was besser ist. Schlimmer sind sowieso Bären, die eine Waffe tragen, die zweibeinigen Bären.
Wir hatten im letzten Jahr einen Vorfall, bei dem ein Schlepper erschossen worden ist. Der hat auf unsere Streife geschossen, und unsere Leute mussten natürlich unter Lebensgefahr reagieren. Wenn man hier auf jemanden trifft, weiß man nie, was er im Schilde führt. Unsere Jungs müssen immer auf der Hut sein, auf alles vorbereitet."

Migration ist seit 2015 ein Thema

Mehr als drei Jahre sind seit dem Herbst 2015 vergangen, als viele Geflüchtete in die EU kamen. Die Eindrücke von damals haben die Debatte in der Slowakei tief geprägt, sagt Zuzana Stevulova im Rückblick. Die Juristin, die in der Slowakei die Organisation "Liga für Menschenrechte" leitet, sitzt 400 Kilometer westlich von der slowakisch-ukrainischen Grenze in ihrem Büro in der Hauptstadt Bratislava.
Der Unterschied liegt darin, dass vorher fast niemand etwas über das Thema Migration wusste. Die Diskussion fand hier in der Slowakei fast nur unter Fachleuten statt, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Das hat sich 2015 geändert, seitdem ist es ein Thema für jeden geworden, jeder hat eine Meinung dazu, ganz unabhängig davon, ob sie durch Fakten gestützt ist oder nur durch das, was man im Fernsehen oder bei Youtube gesehen hat.
Zuzana Stevulova, Leiterin der "Liga für Menschenrechte" in der Slowakei. Lange braune Haare, ein Lächeln, grauer Pullover, in ihrem Büro.
Zuzana Stevulova, Leiterin der "Liga für Menschenrechte" in der Slowakei.© Kilian Kirchgeßner
Dass die Slowakei als einer der vier Visegrad-Staaten ein Land ist, das rigoros Flüchtlinge abweist – dieses Bild, sagt Menschenrechtlerin Zuzana Stevulova, stimme mit Blick auf die Vergangenheit nicht.
"2004 und 2005 zum Beispiel kamen viele tausend Asylbewerber in die Slowakei, in einem Jahr sogar mehr als 10.000. Es gab viele Auffang-Einrichtungen, in der größten waren einige hundert Asylbewerber untergebracht. Wenn wir da Beratungsgespräche anboten, warteten da morgens schon 30 Leute auf einen Termin, wir sind erst abends fertig geworden. Derzeit gibt es in der Slowakei höchstens 200 Asylanträge im Jahr."
Das liege zum einen daran, wo auf der Welt gerade Krisen herrschen und auf welchen Wegen die Betroffenen von dort nach Europa kommen. Zum anderen liege es auch daran, dass früher viele Afghanen über Russland und die Ukraine kamen – eine Route, die wegen der Ukraine-Krise inzwischen unsicher geworden sei.

Slowakische Regierung lehnt Aufnahmequoten ab

Schlagzeilen machte die Slowakei in jüngster Zeit vor allem, weil die Regierung eine Quotenregelung strikt ablehnt, wie sie andere EU-Länder zur Verteilung von Asylbewerbern lange gefordert hatten. Da liegt sie auf einer Linie mit den anderen drei Visegrad-Staaten und der österreichischen Regierung.
Vertreter der vier Visegrad-Staaten: Andrej Babis - Tschechien (links), Viktor Orbán - Ungarn (Mitte), Robert Fico - Slowakei, Mateusz Morawiecki - Polen (rechts) und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (2. v. links).
Regierungschefs der vier Visegrad-Staaten: Andrej Babis - Tschechien (links), Viktor Orbán - Ungarn (Mitte), Robert Fico - Slowakei, Mateusz Morawiecki - Polen (rechts) und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (2. v. links).© twitter V4 PRESIDENCY
Diese Haltung hat für die Slowakei einen ihrer Gründe an eben jener Grenze zur Ukraine im Osten des Landes: Mit Millionen-Investitionen mussten die Slowaken sie befestigen, bevor sie im Dezember 2007 in den Schengen-Raum aufgenommen wurden. Etliche Kontrollen aus Brüssel mussten die Polizisten bestehen, sie mussten Hubschrauber, Motorschlitten und Geländemotorräder kaufen, Röntgen-Geräte für verdächtige Lastwagen und eben die undurchdringliche Kamera-Kette aufbauen. Menschenrechtlerin Zuzana Stevulova:
"Damals waren die Maßnahmen getragen vom Gefühl, dass so eben die Bedingungen lauten: Wir wollen in den Schengenraum, also müssen wir sie erfüllen. Es gab keine Diskussion darüber, ob die Methoden im Einklang mit den Menschenrechten stehen oder ähnliches."
Im Umkehrschluss gingen die Slowaken allerdings davon aus, dass ähnlich strenge Kriterien an allen Außengrenzen des Schengen-Raums angelegt würden. Die Bilder von den vielen Geflüchteten, die ab 2015 ohne Kontrolle in die EU kamen, machten viele Slowaken deshalb fassungslos. Sie trafen sie völlig unvorbereitet, nachdem sie jahrelang die Sicherheit der Grenze immer weiter erhöht hatten. Aus dieser Zeit rührt das Gefühl, das die weitere Diskussion über die Flüchtlingspolitik prägte.
Gesicherte Grenzen und Menschlichkeit schließen sich nicht aus, so sehen es hier viele. Als die Slowakei dem Schengen-Raum beitrat, habe man nicht nur die Grenze befestigt, sondern gleichzeitig viele Gesetze geändert, um sie an den Rest des Schengen-Raums anzugleichen, sagt Menschenrechtlerin Stevulova:
"In der Asylpolitik haben wir festgestellt: Durch die Einführung von Richtlinien erhöht sich die Sicherheit von Asylbewerbern. Das slowakische Asylgesetz wurde immer detaillierter, wir mussten in kurzer Zeit klarkomen mit den vielen Änderungen, das war keine leichte Aufgabe für das Ministerium und auch nicht für uns, die wir aus der Praxis kommen."

"Slowakei nicht vergleichbar mit Trumps Mauer"

Zuzana Stevulova unterhielt mit ihren Mitarbeitern nach dem Schengen-Beitritt sogar ein Projekt an der slowakisch-ukrainischen Grenze, das von der UN-Flüchtlingshilfe getragen wurde: Sie überwachten die Verfahren, wenn jemand gleich an der Grenze Asyl beantragte. Niemand kommt unbemerkt über die Grenze, aber alle haben die Möglichkeit, dort Asyl zu beantragen – das ist hier das Prinzip. Zuzana Stevulova:
"Ich denke nicht, dass sich der Grenzübergang mit dem Zaun in Ungarn vergleichen lässt oder mit der Mauer, die Donald Trump an der Grenze zu Mexiko bauen möchte."
Wie aber soll sie aussehen, die Flüchtlingspolitik in der Slowakei? Zuzana Stevulova muss nicht lange nachdenken, um ein Konzept zu umreißen:
"Ich könnte mir vorstellen, dass wir ein Ansiedlungsprogramm auflegen, bei dem pro Jahr vielleicht 100 oder 200 Leute kämen – wir haben die Kapazität dafür, unsere Aufnahmelager gähnen vor Leere, Finanzierungsprogramme gibt es auch. Das entspricht ja auch dem, was die Regierung immer sagt: Dass wir selbst entscheiden wollen, wie viele zu uns kommen und dass wir freiwillig helfen wollen. Wir sagen das immer, aber es passiert leider nichts. Das ist traurig. Eine solche Initiative könnte zeigen, dass es sinnvoll ist, Flüchtlingen zu helfen, wenn es gezielt geschieht."

Keine illegalen Grenzübertritte mehr

Zurück an der Grenze, zurück am östlichen Rand des Schengen-Raums. Michal Voloch bremst das Quad allmählich ab, mit dem er über den Grenzpfad rast.
Man müsse hier wenden, brummt Voloch. Er macht sich wieder auf den Rückweg, den Blick aufmerksam nach links und rechts in den Wald gerichtet. Ein möglichst unvorhersehbares System, sagen die Grenzer in der Slowakei, sei das beste Rezept, um illegale Einwanderung zu verhindern. Von der Kamerakette sprechen sie offen, aber was noch alles an Alarm-Mechanismen auf dem Grenzstreifen versteckt sei, darüber verraten sie lieber keine Details, um Schleusern nicht in die Hände zu spielen. Und vor allem: Die Patrouillen haben ständig andere Abläufe. Maros Krnac:
Die Streifen kriegen morgens beim Dienstantritt Instruktionen, um welche Zeit sie welchen Abschnitt sichern sollen. Das ändert sich natürlich jeden Tag und jede Nacht. Wir wissen also immer, welche Streife am nächsten ist und am schnellsten hingelangen kann, wenn irgendwo etwas passiert.
Dass die Grenze kaum noch durchlässig ist, merke man auch daran, dass selbst die Ortskundigen keine illegalen Übertritte mehr versuchen – noch vor dem Schengen-Beitritt sei etwa der Schmuggel durch Grenz-Anwohner ein ernsthaftes Problem gewesen, heißt es in der Slowakei. Heute habe sich das geändert, sagt Maros Krnac.
"Ukrainer sind es fast gar nicht, die wir hier aufgreifen. Die letzten Jahre, die ich jetzt hier bin, hatten wir vielleicht einen Ukrainer, der wollte Zigaretten schmuggeln."
Die Polizisten beenden ihren Streifgang entlang der Grenze. Im Geländewagen fahren sie wieder zurück, es geht durch die entlegenen Dörfer hindurch zum Hauptquartier. Agnesa Kopernicka:
"220 Flüchtlinge haben wir im ganzen letzten Jahr aufgegriffen. Die meisten waren Afghanen. Vor einigen Jahren hatten wir viele Somalier, das sind immer Wellen. Davor waren es Moldawier, das war ganz klar eine Wirtschaftsmigration. Das verändert sich, je nachdem, wie die Situation in der Welt gerade ist."
Im Jahr 2015 war das, und heute gilt genauso wie damals: Die Politik in fernen Ländern schlägt sich in Form von Flüchtlingsbewegungen oft unmittelbar nieder - hier, am entlegensten Winkel der Slowakei.
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