Skypen mit den Enkeln

Von Dirk Asendorpf · 10.05.2010
Die Berührungsängste von Senioren gegenüber Computern und Internet schwinden. Und auch in Pflege- und Seniorenheimen halten die Rechner jetzt Einzug. Das Programm "IT-Assist" soll die Arbeit der Pflegekräfte erleichtern und die Senioren mit der Computerwelt vertraut machen.
Rehberg: "Herr Dohrmann, wir haben hier noch mal die Fotos von Ihnen, nicht."
Dohrmann: "Das ist meine Landschaft da, mein Land. Da sind noch Tannenbäume, da hatte ich mal über 1000 Tannen gesetzt."
Rehberg: "Sie selber?"
Dohrmann: "Und dann hab ich die nachher wieder verkauft. Und dann war ich ein reicher Mann."
Rehberg: (lacht)

Johann Dohrmann ist 102 Jahre alt. Seine Erinnerungen sind lebendig, doch die Augen haben nachgelassen. Die schwarzweißen Fotos seiner Parzelle betrachtet er deshalb auf einem überdimensionalen Computerbildschirm. Zur Steuerung dient eine untertassengroße blaue Maus. Neben ihm sitzt die Krankenpflegeschülerin Melanie Rehberg.

Rehberg: "Und wer ist das hier auf dem Foto?"
Dohrmann: "Die ist hübsch, nicht."
Rehberg: "Wer ist das denn?"
Dohrmann: "Meine Frau."
(Rehberg lacht)
Dohrmann: "Die war viel zu schön. Und warum musste die so früh sterben. Warum?"

Der Aufenthaltsraum des Bremer Seniorenstifts St. Ilsabeen ist keine Computerschule für einsame Nerds im Pensionsalter. Das Elektronenhirn steht hier nicht im Mittelpunkt des Interesses, es dient lediglich als Hilfsmittel für die Bereicherung der Kommunikation. Und das nicht nur mit den Senioren, sondern auch mit ihren Angehörigen. Melanie Rehberg hat sie gebeten, die Erinnerungsfotos zur Verfügung zu stellen.

"Die sind jetzt von der Enkelin, die hat die ganzen Fotoalben durchsucht und das dann alles eingescannt und auf eine CD gebrannt und die wurde uns dann geschickt. Als wir das am Anfang mit Herrn Dohrmann gemacht haben, waren sogar Freudentränen, weil er so gerührt war. Er denkt, wir machen uns damit so viel Arbeit, was ja gar nicht stimmt. Aber er denkt das halt und er ist sehr gerührt, dass wir uns auch so mit ihm beschäftigen. Da sind nicht nur die Bewohner glücklich, sondern wir auch, weil wir halt auch positives Feedback von den Bewohnern und den Angehörigen bekommen."

Geng: "Und dann muss wieder der Stift dahin geführt werden über diese Schaltfläche. Ja, noch ein Stück, noch'n Tick, noch'n Tick, noch'n Tick. Ich seh' schon: Das geht bei Ihnen immer schneller, von Mal zu Mal."
Gerards: "Ja."
Geng: "Ich glaube, bald können wir das für die Fortgeschrittenen einstellen. Genau."

Am Nachbartisch spielt Gisela Gerards mit Unterstützung des Pflegeschülers Waldemar Geng ein einfaches Computerspiel. Mit ihrem Finger streicht sie über das Touchpad eines Notebooks.

Gerards: "Ich werd immer besser, nicht?"
Geng: "Ja, ich merk's. (lacht) Und noch mal auf das ok drücken zur Bestätigung."
Gerards: "Macht Spaß, ich spiel ja auch gut Klavier, nicht. Das macht auch Spaß. Und man tut was für seinen Kopf."

IT-Assist heißt das von Bund und EU geförderte Projekt für den Computereinsatz im Pflegeheim. Für die technische Umsetzung ist das Bremer Technologiezentrum Informatik, kurz TZI, zuständig. Dabei werden ausschließlich gängige Computerprogramme genutzt. Nur die Art, wie sie bedient und auf dem Bildschirm angezeigt werden, muss stark vereinfacht werden. TZI-Vorstand Michael Lawo spricht von ergonomischen Nutzerschnittstellen:

"Das hat auf der einen Seite mit größeren Ikons zu tun, also dass man große Symbole hat, aber auch Symbole, die wirklich verstanden werden. Und zum anderen, dass die Anwendungen, die dahinter sind, soweit abgespeckt sind, dass möglichst die ganze Komplexität, die da drin ist, gar nicht sichtbar wird, sondern das genau so konfiguriert wird, wie das von dem einzelnen Nutzer gebraucht wird. Das heißt, wir erinnern auch die Einstellungen für den einzelnen Benutzer, und wenn er sich wieder anmeldet, ist das Profil wieder genau so, wie er das braucht. Wenn er nicht so gut sehen kann, werden die Symbole gleich auf die Größe eingestellt, die für ihn lesbar sind. Das sind die wesentlichen Dinge."

Besonders beliebt ist bei einigen Senioren Skype, die Internettelefonie mit Webcam. Damit können sie Kontakt zu ihren Enkelkindern halten, die sich in der Welt herumtreiben. Um Skype aufzurufen, reicht ein Klick auf das große Telefonsymbol. Danach erscheint nicht die übliche bunte Startseite des Programms, sondern nur eine kurze Fotoliste der zuvor gespeicherten Bekannten und Angehörigen. Ein weiterer Klick und die Verbindung wird aufgebaut. In Zukunft könnte das auch die Kommunikation im Haus verbessern, hofft Heimleiterin Anna Harbusch.

"Dieser IT-Assist weitergedacht in den Wohnungen – wir haben ja über 100 Wohnungen hier, in denen die Bewohner relativ selbstständig leben – ist eine Verbesserung des Services. Das heißt, man ist schneller zu erreichen, man kann schneller seine Bestellungen aufgeben, man ist vielleicht besser informiert über das Veranstaltungsprogramm des heutigen Tages. Der Traum natürlich, mit Ärzten irgendwann den Kontakt zu verbessern."

Keinesfalls gehe es dabei um Rationalisierung. Im Gegenteil: Die technische Unterstützung soll mehr Zeit für persönliche Gespräche schaffen. Und den Heimbewohnern eine Chance eröffnen, sich auch im hohen Alter auf Neuland zu wagen.

Dohrmann: "Und dann konnte ich immer im Baubudenwagen schlafen."
Rehberg lacht
Dohrmann: "Und nachts kamen die Rehe da und machten ordentlich Krach."
Rehberg lacht
Dohrmann: "Das war sehr interessant."
Rehberg: "Ja, das hört sich ja ganz toll an."

Johann Dohrmann bedient die große blaue Maus nicht mehr selber, das überlässt er der Pflegeschülerin neben ihm. Der Computer ist ihm egal, aber die Erinnerungsfotos auf dem Großbildschirm bringen ihn ins Nachdenken – und wecken seinen Humor.

"Die Zeiten sind vergangen, nicht. Und ich bin immer noch da. Warum? Ich hab doch mein Alter erreicht, da kann ich doch meinen Hintern zukneifen, aber es geht noch immer (lacht). Geht noch."