Skurrile Parabel auf die israelische Siedlungspolitik

06.12.2012
Ein übergewichtiger israelischer Familienvater will unbedingt abnehmen - mittels einer Olivendiät. Doch als er einen Olivenkern verschluckt, wachsen ihm Zweige aus dem Ohr. Das ist die Ausgangslage von Benny Barbaschs verrücktem Roman, der satirisch die Gemütslage israelischer Siedler beleuchtet.
Ein Mann verschluckt einen Olivenkern und schon bald wachsen ihm kleine Zweige aus dem Ohr: Benny Barbasch hat eine skurrile Parabel und einen sprühend intelligenten Roman geschrieben, den jeder kennen sollte, der sich für die israelische Siedlungspolitik interessiert.

Benny Barbasch liebt es, in seinen Romanen Animositäten und politische Fehden zwischen Familienmitgliedern eskalieren zu lassen. In seinem neuesten Buch greift er auf eine Konstruktion zurück, die schon in seinem Roman "Mein erster Sony" (1997) bestens funktionierte: Der Ich-Erzähler ist ein Junge mit feinen Antennen für die vielen vorwurfsvollen Zwischentöne im familiären Miteinander.

Er beobachtet, wie seine Eltern und Großeltern rhetorische Fallstricke auslegen, wie sie einander zurechtweisen und mit Detailwissen und divergierenden politischen Grundüberzeugungen zu überbieten suchen.

Allerdings verzichtet Barbasch nun völlig auf Dialoge. Jede Wahrnehmung und jede Reflexion wird durch die indirekte Rede und den Konjunktiv gefiltert. Er setzt auf erzählerische Distanz und schärft gerade so unseren Blick für einen Konflikt, der die israelische Gesellschaft seit 1967 tief spaltet.

Es geht um den Bau von Siedlungen in den besetzten Gebieten und den unbeugsamen Willen ultra-orthodoxer und nationalreligiöser Juden, unablässig "jüdische Heimstätten" im "Land der Väter" zu errichten.

Barbasch selbst gehörte zu den Gründern der "Frieden jetzt-Bewegung", die seit den frühen 70er Jahren bei Demonstrationen regelmäßig mit Anhängern eines "Großisrael" zusammenprallte. Hintersinnig nutzt Barbasch biblische Bilder, um eine Geschichte zu erfinden, die wundergläubige Rabbiner wie Anhänger des rechten Likud einem großen Gelächter preisgibt.

Nun zeigt er, wohin es führt, wenn ein Jude sich mit dem Land Israel verbindet "wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen". Er wird zur lebendigen Verkörperung des Anspruchs, den Grund, auf dem der Baum wächst, "für immer und ewig in jüdischer Hand" zu belassen.

Barbaschs Protagonist ist ein übergewichtiger Familienvater, der partout abnehmen will – mit einer Olivendiät. Er hat einen Kern verschluckt und geht binnen weniger Tage eine Symbiose mit der in ihm keimenden Frucht ein.

Es zeigt sich: Was man nicht beizeiten entfernt, zieht irreversible Veränderungen nach sich. Hilflos reagiert die Familie auf die Mutation des Helden. Nur dem Großvater verschlägt es nicht die Sprache. Barbasch lässt den alten Kosmologen wunderbar räsonieren über das Ursache-Wirkung-Prinzip, über statistisch erfassbare Zufälle und die Kreuzung von inneren und äußeren Ereignissen wie den Hang der Israelis, Wundertätern auf den Leim zu gehen; er lässt den Wissenschaftler mit seiner unbelehrbar arabophoben Ehefrau streiten und deprimiert den Rest der Familie mit der Gewissheit, dass unser Planet eines kommenden Tages eh verpufft und alles Streben nach persönlicher wie nationaler Selbstbehauptung eitel und vergeblich ist.

Diesen sprühend intelligenten Roman, in dem intellektuelle Abschweifungen und Argumentationsketten mit absurden Missverständnissen kurzgeschlossen werden, sollte jeder kennen, der interessiert Nachrichten über die israelische Siedlungspolitik verfolgt.

Besprochen von Sigrid Brinkmann

Benny Barbasch: Der Mann, dem ein Olivenbäumchen aus dem Ohr wuchs
Aus dem Hebräischen von Beate Esther von Schwarze
Berlin Verlag, Berlin 2012
142 Seiten, 14,99 Euro

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