Skulptur Projekte Münster

Brennende Rollatoren, Vandalismus und Skulpturen

Besucher bewegen sich am 09.06.2017 in Münster (Nordrhein-Westfalen) in der Installation «After ALife Ahead» von Pierre Huyghe. Das Exponat zeigt ein zeitbasiertes biologisch-technisches System auf einer ehemaligen Schlittschuhbahn. Die Eröffnung der fünften Ausgabe der Zehn-Jahres-Großausstellung Skulptur Projekte ist am 10.06.2017. Ihr Ableger ist im 60 Kilometer von Münster entfernten Marl.
Kunst in einer ehemaligen Eislaufhalle: Besucher bewegen sich in Münster in der Installation "After ALife Ahead" von Pierre Huyghe. © picture-alliance / dpa / Friso Gentsch
Von Volkhard App · 12.08.2017
Schonmal über Wasser gewandelt? Was zuletzt in der Bibel geschah, ist jetzt in Münster für jeden möglich. Als Teil einer Installation. Wem das als Kick nicht reicht, der kann sich auch dem Horror einer niemals endenden Wohnung aussetzen oder sich vor Ort einen Rollator auf die Haut tätowieren lassen
Eine Stadt voller Überraschungen: Klang- und Lichtinstallationen machen unscheinbare Unterführungen auffällig, bizarre Gips- und Betonmonumente geben in idyllischen Parks Rätsel auf, auch Bilder und Schriftzüge an Hauswänden wecken Neugier. Die Besucher, darunter viele Kulturtouristen, sind mit speziellen Stadtplänen unterwegs, um die temporäre Kunst auch noch in entlegenen Winkeln aufzuspüren.

Zu Fuß übers Wasser laufen

Die attraktivste Installation erinnert an ein biblisches Ereignis: Denn Bürger der Stadt und Zugereiste können ein Hafenbecken überqueren, wandeln auf einer meterbreiten Fläche von einer Seite zur anderen, wobei ihnen das Hafenwasser bis zu den Waden reicht. Die Besucher sind begeistert:
"Hat mir sehr gut gefallen, war erfrischend."
" Sowas habe ich noch nie gemacht, übers Wasser laufen."
"Ein ganz anderes Erlebnis, den Hafen mal von der anderen Seite zu sehen."
"Da sind sogar Fische, die schwimmen da vor einem rum."
"Ich bin mal gespannt, ob sie das stehen lassen bis ins nächste Jahr."
Eine Besucherin geht am 09.06.2017 in Münster (Nordrhein-Westfalen) auf der Installation «On Water» von Ayse Erkmen. Das Exponat ist ein Steg unter der Wasseroberfläche, der zwei Ufer miteinander verbindet. Besucher können darauf von Kai zu Kai gehen. Die Eröffnung der fünften Ausgabe der Zehn-Jahres-Großausstellung Skulptur Projekte ist am 10.06.2017. Ihr Ableger ist im 60 Kilometer von Münster entfernten Marl.
Zu Fuß durch das Wasser das Hafenbecken laufen? Die Installation "On Water" von Ayşe Erkmen macht es möglich© picture-alliance / dpa / Friso Gentsch
Den ganzen Tag über herrscht auf diesem von Ayşe Erkmen konzipierten Steg reger Publikums-Verkehr. Gelegentlich bilden die Wassergänger unterwegs eine Gasse, damit eine Schar geschäftiger Enten vorbeiziehen kann.
Ganz ungefährlich ist dieses Spektakel aber nicht. Vier Rettungsschwimmer sind ständig präsent und mussten auch schon einige Male eingreifen – so wie Mirko Grubert:
"Abgerutscht sind auch schon ein paar, Kinder. Die meisten, die reinfallen, können schwimmen, dann kommen die auch selbst wieder raus. Aber wenn es Ältere sind, dann muss man schon nachgucken. Wir sind zwei Mann auf jeder Seite."
Das Skulpturen-Projekt unterstreicht, wie sehr die Kunst der Moderne ihre eigenen Spielräume erweitert hat. Dennoch darf man am Ufer, wo die Menschen Schuhe und Strümpfe wieder anziehen, ruhig mal fragen, ob dieser Weg über das Becken denn überhaupt "Kunst" sei. Eine Besucherin ist sich da sicher:
"'Ist das Kunst oder kann das weg?' meinen Sie. Da ich die Kunst von Ayşe Erkmen kenne und sehr schätze, beantworte ich das ganz klar mit ja. Denn es gibt eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Es ist ein ganz anderes Erlebnis der Umwelt und auch des eigenen Körpers."

"Brennender Rollator" – Künstler-Tattoos vor Ort stechen lassen

Zu diesem Skulpturen-Projekt gehört auch ein gut besuchter Tattoo-Laden. Jeder darf hier gegen ein überschaubares Entgelt eines der von internationalen Künstlern entworfenen Motive auf dem eigenen Körper nach Hause tragen. Tätowierer Lars Greiwe über seine Kundschaft:
"Das ist einmal quer durch die Gesellschaft. Es sind natürlich viele Mitte oder Anfang 20. Und dann gibt es auch Ältere. Wir hatten bis jetzt, glaube ich, 30 Senioren. Eine Dame war 75, und ihr Mann auch schon über70. Der hat 'nen Totenschädel mit zwei Krücken drunter und seine Frau hat einen kleinen Vogel bekommen."
Gleich mehrere der angebotenen Motive – wie ein brennender Rollator oder die Schrift "nicht reanimieren" – zielen mit makabrem Unterton auf ein älteres Publikum, das nur die Hälfte zahlt. Der Laden heißt denn auch "Under ground".
Der Schriftzug "Skulptur" wird am 09.06.2017 in Münster (Nordrhein-Westfalen) an einer Hausfassade angebracht. Die Eröffnung der fünften Ausgabe der Zehn-Jahres-Großausstellung Skulptur Projekte ist am 10.06.2017. Ihr Ableger ist im 60 Kilometer von Münster entfernten Marl.
Der Schriftzug "Skulptur" wird in Münster an einer Hausfassade angebracht.© picture-alliance / dpa / Friso Gentsch

Eine unheimliche Wohnung, die scheinbar niemals endet

Die Vielfalt der Schauplätze, Objekte und Installationen zählt seit Jahrzehnten zu den Stärken dieses Skulpturen-Projekts. Die längsten Schlangen bilden sich derzeit am zentralen Museum für Kunst und Kultur, in dessen oberer Etage Gregor Schneider eine unheimliche Wohnung eingerichtet hat, die aus drei Räumen zu bestehen scheint. Doch wenn man sie mit unguten Gefühlen passiert hat, glaubt man wieder in dem ersten Zimmer zu stehen. Kein Entrinnen möglich? Es dürfen immer nur zwei Besucher in diese bedrückende Wohnung, daher beträgt unten die Wartezeit ungefähr zwei Stunden. Doch es lohnt sich, findet ein Besucher:
"Mir hat es irgendwie gefallen. Es ist schon etwas Besonderes, dass man in eine fremde Wohnung eindringen und nach Lebensspuren suchen darf. Je länger man durch diese Installation geht, desto intensiver beschäftigt man sich mit dem künstlerischen Konzept. Ich komme aus Dänemark. Gerade waren wir auf der documenta in Kassel – und nun geht es hier weiter."

Kunstvandalismus: Eine Installation als Tatort

Wie sich innerhalb kurzer Zeit der Charakter eines Ortes verändern kann! Beim ersten Besuch sorgten die von Nicole Eisenman inmitten einer Grünanlage rund um ein Becken platzierten Bronze- und Gipsfiguren noch für uneingeschränkte Heiterkeit. Denn hier wird die traditionelle Vorstellung von grazilen Parkskulpturen gegen den Strich gebürstet. Doch nach dem Auftakt schlugen gleich zweimal Vandalen zu. Einer Gipsfigur wurde dabei sogar der Kopf abgerissen. Aus einem unbeschwerten Kunst-Ort wurde so ein Münsteraner "Tatort". Britta Peters, Kuratorin des Skulpturen-Projekts:
"Man muss sagen, auch Vandalismus gehört zur Geschichte dieser 'Skulpturen-Projekte' dazu. Denken Sie an die 'gelbe Madonna" von Katharina Fritsch, die in der Ausstellung 87, ich glaube, dreimal neu gegossen worden ist.
Wir haben bei den bestohlenen Installationen die Technik ersetzt. Bei Nicole Eisenman ist es insofern etwas anders, weil die drei Gipsfiguren sowieso mit dem Moment des Vergänglichen behaftet sind. Bei der Figur, der der Kopf abgeschlagen wurde, haben wir die Wunde versorgt, so dass die Skulptur die Geschichte ihrer Präsenz in dieser Ausstellung erzählt. Bei einer anderen Figur haben wir den Riss am Kopf repariert.
Insgesamt würde ich es gar nicht so hoch hängen, es passiert immer wieder bei Kunst im öffentlichen Raum. Und je höher man es hängt, desto attraktiver wird es für Leute, dadurch Aufmerksamkeit zu erlangen – so wie ein Flitzer auf dem Fußballfeld."
Männer reinigen am 20.07.2017 in Münster (Nordrhein-Westfalen) das Wasser vor der beschädigten Skulptur die zu dem Kunstwerk «Sketch for a Fountain» von Nicole Eisenman gehört. Unbekannte Täter haben Teile eines Werkes der Skulptur Projekte 2017 in Münster zerstört. In der Nacht zum Donnerstag wurde die Gipsfigur beschädigt, wie der Veranstalter mitteilte. Nach Angaben einer Sprecherin wird jetzt mit der Künstlerin aus New York beraten, wie es mit dem Werk weitergeht.
Tatortreiniger: Vandalen haben einige Skulpturen von Nicole Eisenmann beschädigt. Von manchen sind nur noch die Gipsfüße übrig. © picture-alliance / dpa / Caroline Seidel

Kunst in der Stadt – Marketing statt Provokation

Nie wurde daran gedacht, diese Installation abzubauen und die beiden anderen Orte, an denen Diebe technisches Material gestohlen hatten, ebenfalls zu schließen. Auch die Besucher, die sich zahlreich bei den lädierten Parkfiguren einfinden, geben sich meist gelassen.
Dieses Skulpturen-Projekt ist auch in der fünften Ausgabe ein Erfolg. Selbst an entlegeneren Stellen der Stadt ist eine starke Nachfrage zu spüren, so in einer früheren Eissport-Halle, wo Pierre Huyghe das Erdreich aufreißen ließ und dezent Flora und Fauna angesiedelt hat.
Für öffentlichen Streit sorgen all diese Objekte und Installationen allerdings nicht mehr, sie sind intelligente urbane Unterhaltung – und Teil des städtischen Marketings.
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