Skandinavien

Tor Lapplands

Von Gerd Brendel · 03.02.2014
Umea - da dürfte es bei den wenigsten klingeln. Wobei seit kurzem vielleicht doch: Neben Riga ist die schwedische Kleinstadt in diesem Jahr nämlich Kulturhauptstadt. Gerd Brendel hat sich auf in den Norden gemacht.
Umea, eine Kleinstadt in Nordschweden: 100.000 Einwohner, ein Drittel davon Studenten. Während der langen Wintermonate fahren die Bewohner in ihrer Freizeit am liebsten mit dem Schneemobil durch die Wälder. Aber an diesem Wochenende ist alles anders: Die Zentralheizung unter den Straßen ist abgestellt und so erleben die Umeaer zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine verschneites Zentrum. Die halbe Stadt ist auf den Beinen. Ihr Ziel: das Eröffnungsspektakel von Umea 2014- auf dem zugefrorenen Umea- Fluß.
"Burning snow", Schnee in Flammen haben die Berliner Multimedia-Künster von "Phase 7" ihre Show genannt: Mehrere Bühnen, Videoleinwände – dahinter ein Riesen-Sami Camp als Kulisse. Sami? Die Sami, die im politisch korrekten Schweden schon lange niemand mehr mit dem abschätzigen Begriff: "Lappen" bezeichnet werden, sind die Ureinwohner Nord-Skandinaviens und ihre Kultur steht im Mittelpunkt des Umea 2014 -Programms und der Eröffnungsshow
"Ist eine poetische Reise, wir fanden dies samische Geschichten sehr interessant, die auch Lagerfeuerromantik haben und ganz ehrlich wir wollten teile davon erhalten"
Sven Beyer von Phase 7. Ein Stimme aus dem Off erzählt wie die Welt aus einem Rentierschädel entstand. Traditionelle Musik vermischt sich mit Pop. Ein Dutzend Rentiere werden über das Eis geführt. Feuerflammen schießen in den nächtlichen Himmel. Tänzer lassen meterlange Tücher im Wind wehen.
Zwischen Showeinlage und Selbstvermessung
Ein Kinderchor singt und Solistinnen in traditionellen Kostümen stimmen einen "Joik" nach dem anderen an. Joik, das ist der traditionelle Kehlkopfgesang der Samen.
Im Opernhaus feiert das "Sami-Chinese Project" Premiere. Zusammen mit seiner "Tao-Dance-Kompagnie" und Musikern aus der Region hat der renommierte Choreograph Tao Ye ein Tanzstück entwickelt. Zu "Joik"-Gesang lässt er seine Darsteller minutenlang in einer Reihe tanzen: Ihr Hüften-Schwingen erinnert an eine Burlesque-Striptease-Nummer, die ausladenden kreisenden Bewegungen an ekstatische Rituale. Ende Februar wird es eine ganze "Sami-Woche" geben. Da werden dann auch die weniger- Show-tauglichen Aspekte der Sami-Kultur thematisiert. Die Geschichte der Diskriminierung ist lang. In den 30er Jahren wurden Samen von Rasse-Theoretikern fotografiert und vermessen. Davon erzählt die Künstlerin Katarina Pirak Sikku in ihrer Ausstellung im nagelneuen Kunstmuseum - ein Selbstversuch:
"Ich hab mich selber vermessen. Da drüben hängt eine Zeichnung von mir, nackt in neun Positionen, so wie wir in den 30er-Jahren von den Rassebiologen vermessen wurden"
Sie und andere Sami-Künstler und Aktivisten erhoffen sich vom Programm Aufmerksamkeit über die Grenzen der Region hinaus. Und die Programmverantwortlichen stellen sich gern als Sprachrohr zur Verfügung. Mit ihrem Schwerpunkt auf die Minderheitenkultur konnten sie die EU-Gremien überzeugen. Daneben war die große Bürgerbeteiligung ein wichtiges Argument. Am Freitag vor der Eröffnung bastelten alle Grundschüler im Unterricht ihre eigene Version der Eröffnungsshow. Auf einer Bühne erzählen Bewohner ihre persönlichen Stadtgeschichten. Jeder soll hier zu Wort kommen. Die europäische Kulturhauptstadt am Rande Europas, hat die Peripherie zum Thema gemacht: Auch andere Minderheiten-Kulturen melden zu Wort: Im neueröffneten Gitarrenmuseum präsentiert eine Ausstellung die Nischen-Kultur der Heavy-Metall- und Hardcore-Punk-Fans und erinnert an eine der bekanntesten Hardcore Bands Skandinaviens "Refused", gegründet in Umea.
Zukunftspuzzle
"Man sollte hierherkommen, um Dinge zu sehen, die man vorher nirgendwo sonst gesehen und erlebt hat, und um neue Dinge über sich selbst herauszufinden."
So fasst Frederik Lindegren, künstlerischer Direktor von Umea 2014 das Programm zusammen. Im Juni stellt das internationale Theaterfestival "Normal" die üblichen Sichtweisen auf Behinderung und Normalität“ auf den Kopf. Und Anfang August präsentiert die katalanische Performance-Gruppe "La Fura dels Baus" ihre Version von Elektra auf einem alten Militärareal. Wie formuliert es die schwedische Kronprinzessin in ihrer Ansprache am Ende der Eröffnungszeremonie auf dem Eis?
"Kultur verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft."
An diesem Wochenende im verschneiten Umea am Rande Europas präsentiert sich die Zukunft einer europäischen Kultur an jeder Straßenecke: Als bunte Puzzle-Utopie in der Provinz, in der die Welt zuhause ist.