Skandalös, verrucht, naiv

15.03.2007
Über Nacht wurde die schwedische Sängerin Zarah Leander ein Star. Sie war süchtig nach der Bühne und berauschte ihr Publikum. Dass sie auch bei Wunschkonzerten für die deutschen Soldaten auftrat, machte sie nach Kriegsende zum Sündenbock ihrer Landsleute. Jutta Jacobi beschreibt in ihrer Biografie das pralle Divenleben.
Es ist nicht das erste Buch über Zarah Leander. Es gibt eine Reihe von biografischen Annäherungen, unter denen die von Paul Seiler, dem Zarah Leander-Biografen schlechthin, hervorzuheben sind. Er hat seit 1982 fünf Bücher über "seinen" Star veröffentlicht, war Berater und Experte bei zahlreichen Sendungen über die Diva und hat selber einen Dokumentarfilm über diese Passion gedreht.

Das Buch von Jutta Jacobi ist kenntnisreich, zugewandt, aber nicht das eines schwärmerischen Fans, bleibt aber glücklicherweise keineswegs in kühlen filmografischen und sozial-politischen Skizzen stecken, sondern scheut nicht vor der Schilderung des prallen Divenlebens und den biografischen Brüchen zurück.

Als ich als junges Mädchen diese Stimme zum ersten Mal hörte, das gewagte Dekolleté im tiefschwarzen Kleid, den verheißungsvollen Blick sah, war ich hin und weg. Die Frau war eine einzige Herausforderung – und das wollte man natürlich mit 18 oder 19 auch gerne sein – dabei war das die Beatles-Zeit. Aber Zarah war einfach nicht altmodisch.

Eine junge Frau, die für die damaligen Verhältnisse beinahe zu groß war (174), zu breite Hüften und eine wahnsinns-tiefe Stimme hatte. Das in Zeiten zarter Zwitscherstimmen, die den männlichen Beschützerinstinkt hemmungslos attackierten. Hier jedoch eine Frau, die skandalös, verrucht und ziemlich selbstbestimmt wirkt.

Das ist das gut inszenierte Klischee. Was war die Realität?

Schwedische Provinz, relativ strenge Erziehung, soziale Sicherheit, mit der es irgendwann bergab geht. Die Mutter stark und eher schroff, der Vater weich und depressiv. Das Mädchen wird nicht als schön empfunden – wie gesagt: die Größe, die Stattlichkeit und dazu noch rote Haare. All das wird ihr später zu großem Ruhm verhelfen – vor allem jedoch die Stimme. Vielleicht war diese Distanz zu sich selber auch ein großer Gewinn für ihre Persönlichkeit, niemals unangemessen abzuheben.

Der soziale Zufall will es, dass das kleine schwedische Nest Karlstad eine theaterbegeisterte Gemeinschaft hat. Zarah wird dort ihre Passion gründen und in Riga, wohin sie nach dem Schulabschluss geht, ausbauen. Gefördert von einer kunstsinnigen Tante, die das Besondere an Zarah entdeckt. Schließlich wagt sie sich 1926 nach Stockholm. Bewerbung am Theater – Urteil: "Sie sieht blendend aus, ist aber total unbegabt." Dafür lernt sie den jungen Mann kennen, dessen berühmten Namen sie ihr Leben lang trägt, obwohl andere Männer sehr viel wichtiger werden für sie.

Schwedens Revuekönig gibt ihr schließlich eine Chance. Und eine in Stockholm so berühmten Neujahrsrevue wird sie regelrecht in den Starhimmel katapultieren. Sie ist inzwischen Mutter von zwei Kindern und wirklich über Nacht ein Star geworden: am 1. Januar 1930.

So hatte man eine Frau noch nie singen gehört, dazu diese verlockende rothaarige Präsenz. Das raubte dem Publikum den Atem. Von da an ging’s bergauf – in einem unglaublichen Tempo. Schallplatten, Theater, Tourneen. Sie ist süchtig nach der Bühne, und sie braucht das Geld. Schließlich muss sie zwei Kinder ernähren und will denen auch ein standesgemäßes Leben bieten.

Sie selbst inszeniert sich gerne und gekonnt als Diva – und sie hat allen Grund dazu, denn sie ist ein Star. Doch das hindert sie nie – und das macht sie auch ungemein sympathisch – die eigene Person selbstironisch zu betrachten, manchmal hat man den Eindruck, dass sie sich über diesen wahnsinnigen Erfolg selber wundert. Ihren internationalen Durchbruch hat sie in Wien, wo Franz Lehar ihr zu Füßen lag und sie 62-mal vor den Vorhang musste.

Es ist nur zu verständlich, dass man über Stockholm hinaus auf diese Ausnahmekünstlerin aufmerksam wird und um sie wirbt. Ende 1936 - im deutschen Olympiajahr - unterzeichnet sie einen Vertrag mit der deutschen UFA. Ihre Konditionen kann sie wählen. Ihr erster UFA-Film "Zu neuen Ufern" zeigt sie als eine vor Erotik vibrierende Frau, die so gar nicht in das nationalsozialistische Frauenbild passte. Zwischen ihr und dem Publikum entwickelte sich jedoch sofort eine große Liebesaffäre.

Goebbels mochte sie erst gar nicht, Hitler sehr schnell, und darum war die Offerte, sie zur Staatsschauspielerin zu machen, nur logisch. Doch Zarah lehnte ab. Was sie nicht ablehnte, waren Auftritte bei Wunschkonzerten für die deutschen Soldaten oder die Teilnahme an den Sammlungen fürs Winterhilfswerk. Sie wurde als Schwedin zu einer deutschen Vorzeigekünstlerin. Und sie wurde staatstragend hofiert.

Die Autorin Jutta Jacobi schreibt weder darüber hinweg, noch skandalisiert sie diese Haltung unmäßig. Sie erinnert aber daran, dass Schweden in diesen Jahren keineswegs wirklich neutral war, sondern durchaus mit Nazideutschland mehr als nur kokettierte. Doch nach dem Krieg brauchte man eine Projektionsfläche für das eigene politische Versagen – und da war Zarah Leander die geeignete Person. Jutta Jacobi redet diese Haltung keineswegs klein, schüttelt aber nicht vor ideologischem Zorn die Faust der Nachgeborenen. Das ist ohnehin leichter, als sich in das differenzierte Geflecht aus Ruhm, Eitelkeit, Abhängigkeit und sicher auch Faszination für das System, das sie groß machte, hinein zu versetzten. Jacobi gelingt da eine überzeugende Balance.

Zarah Leanders erste Filmpremiere in Deutschland wurde wie ein Staatsakt zelebriert. 1942 in dem Film "Die große Liebe" sang sie noch: "Davon geht die Welt nicht unter " oder "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen". Ein Jahr später verließ sie Deutschland. Sie ging auf ihr Landgut Lönö zurück und musste damit leben, dass sich ihre Landsleute kühl bis aggressiv ihr gegenüber verhielten. Ihre einzige schwedische Platte nach ihrer Rückkehr wurde ein Totalflopp. Sie war nun 37 Jahre alt. Und die Leander-Debatte lag noch vor ihr.

Die Autorin der Biografie, die immer wieder mit zeitgenössischen Rezensionen, Zeitungsartikeln, mit nachträglich geführten Interviews zum Thema arbeitet, hält sich aus besserwisserischen Urteilen heraus. Sie erklärt. Zunächst die sehr angepasste schwedische Gesellschaft, die sich nach dem Krieg gerne als ein Hort der Moral positioniert, und dann die unangepasste bis naive Künstlerin, die diese Angriffe schnoddrig abwehrt.

1947, mit vierzig Jahren, versucht sie ein Comeback. Sie singt an verschiedenen Orten in Europa – mal erfolgreich, dann wieder weniger. Schließlich die Nagelprobe: Stockholm. Sie hat Angst, ist ungemein nervös. Der Coup gelingt – sie hat das Publikum auf ihrer Seite.

Jutta Jacobi erzählt den Abgesang der alten Diva niemals höhnisch, immer mit dem lakonischen Respekt, der diesem Bühnengeschöpf angemessen ist. Wieder reist sie, singt die alten Lieder, geht eine späte Ehe mit einem Pianisten ein, singt mit über 50 in den schwedischen Volksparks, tritt noch mal in Wien in einer Operette als Madame Scandaleuse auf - später kamen die Zeiten der Kaffeefahrten - und am 23. Juni 1981 stirbt sie, 74-jährig, an einer Gehirnblutung.

In Erinnerung bleiben – auch nach der Lektüre des Buches – nicht die eher traurigen Kaffeefahrten, sondern die glamouröse Frau mit der unnachahmlichen Stimme, deren politische Naivität nicht zu widerlegen und auch nicht zu beweisen ist.


Rezensiert von Astrid Kuhlmey.

Jutta Jacobi: Zarah Leander. Das Leben einer Diva
Hoffmann und Campe, Hamburg 2006
244 Seiten mit zahlreichen Fotos, 24 Euro
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