Ska-Pioniere The Specials

Über Trump singen wie einst über Reagan

Terry Hall hält sich an einem Mikrofonständer fest, singt
Gründete die Specials vor über 40 Jahren: Terry Hall © Mark Metcalfe/Getty Images
Terry Hall im Gespräch mit Andreas Müller · 01.02.2019
Mit den "Specials" sang Terry Hall einst gegen Margaret Thatcher an. Die Band löste in den 1970ern ein Ska-Revival aus und beeinflusste zahlreiche andere Musiker. Nach 38 Jahren erscheint jetzt ein neues Album der Band.
Andreas Müller: Das waren die Specials mit "Vote For Me" aus dem neuen Album Encore – dem ersten neuen Material der Band seit 38 Jahren. Bei mir im Studio ist jetzt der Sänger Terry Hall.
Terry Hall: Hallo!
Müller: Ich war 14 oder 15, als die Specials in mein Leben krachten – ein Auftritt in einer deutschen Fernsehsendung brachte "Rudy – A Message To You". Die Welt war im Eimer, wie es schien, und diese Musik schien sie für ein paar kostbare Momente besser zu machen. Jetzt, 40 Jahre später, ist es eigentlich wieder wie früher oder sogar schlimmer. Mr. Hall, hätten Sie gedacht, dass die Specials jemals wieder so aktuell sein würden?
Hall: Ja und nein. Leider ja. Ursprünglich wollten wir ja unsere eigene Geschichte erzählen, wie es ist, mitten in England aufzuwachsen, in einer riesigen Industriestadt, die den Bach runtergeht. Wie mit der Arbeitslosigkeit Ressentiments und Rassismus aufkommen. Diese Dinge haben sich nicht geändert, sie sehen heute nur anders aus, und der Rassismus hat seine Farbe geändert, aber es gibt sie immer noch. Und darum sind die Specials heute immer noch relevant.

May und Trump wie einst Thatcher und Reagan

Müller: Nicht nur die "Specials", auch ein alter Fun Boy Three Song, "The Lunatics Have Taken Over the Asylum" ist wieder aktuell. Auch das ist ja erschreckend…
Hall: Das war eigentlich der Soundtrack zu einem Western, die Zeit von Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Es war ja damals schon so, dass offenbar jeder Präsident werden konnte, Reagans Qualifikation bestand darin, dass er auf einem Pferd reiten konnte. Und jetzt hat sich der Kreis mit Donald Trump geschlossen.
Das ist ja einfach unglaublich, völlig surreal. Trump und seine Familie wollen die freie Welt kontrollieren und tun total irre Dinge, sie verbringen allen Ernstes ihre wache Zeit damit, eine Mauer zu planen, die zwei Länder trennen soll – das ist nicht gerade produktiv.
Müller: Damals gab es das berühmte Paar: Ronald Reagan und Margaret Thatcher, heute haben wir wieder ein Paar, nämlich Theresa May und Donald Trump. Theresa May hat vergangene Woche ihren Plan B vorgestellt – viele sagen, eine Lachnummer. War Margaret Thatcher die bessere Gegnerin?
Hall: Thatcher war ein einfacheres Ziel für unsere Kritik. Aber wir zielen ja nicht so sehr auf Politiker selbst, sondern auf ihr Handeln und die Folgen, die das hat. Das Einzige, was in Großbritannien im Moment klar ist, ist, das alles unklar ist. Und was Mays Plan B angeht: Ich warte auf Plan R, oder auf Plan S, dann wird es vielleicht interessant.
Was die Leute nicht verstehen: Es gab eine demokratisch gefällte Entscheidung, und die lautete auf einen Abschied aus der EU. Das ist Demokratie. Das muss jetzt durchgezogen werden, und dafür sollten die Leute sich zusammentun. Aber das tun sie anscheinend nicht.
Müller: Die Platte "Encore" geht los mit einem Song der Equals, den diese 1973 veröffentlicht haben, "Black Skin Blue Eyed Boys". Das finde ich ein starkes Statement gleich am Anfang dieser Platte.
Hall: Die Specials gelten als die erste multiethnische Band in Großbritannien, aber die Equals waren in Wirklichkeit die ersten. Und sie haben uns wirklich den Weg geebnet, in den späten Sechziger-, frühen Siebzigerjahren. Sie waren eine tolle Band, und mit dem Song verbeugen wir uns vor ihnen.

"Der Rassismus verschwindet leider nicht"

Müller: Es gibt noch andere Coverversionen. Eine Rocksteady-Band aus den Sechzigerjahren aus Jamaika hat ein Lied aufgenommen, "Gun Fever". Auch das ist erschreckend, dass es auf Jamaika damals diese Kriege gab, zwischen den verschiedenen Organisationen, die sich bis aufs Blut bekämpft haben. Und das ist auch irre, dass das heute noch so wichtig ist.
Hall: Das war aktuell, und man kann so einen Track jederzeit veröffentlichen. Wir waren letztes Jahr in den USA, und bei jedem Schulmassaker gibt es einen Aufschrei: Wie kann so etwas bloß passieren? Aber dann betreten wir einen Zeitungskiosk in Delaware und da steht ein ganzes Regal mit Munition für Schusswaffen. Man kommt da so leicht ran.
Aber ich denke, wenn es keine Schusswaffen mehr gibt, hat man es mit Messerangriffen zu tun. Es ist einfach die Frage, wieviel Bewaffnung man in der Öffentlichkeit zulässt.
Müller: Vor 15 Jahren haben Sie mit "Mushtaq" eine spektakuläre Platte produziert, die einen Teil der ethnischen Vielfalt und Offenheit Londons abbildete. Sehen Sie diese Vielfalt heute gefährdet?Auf diesem Album ist ja mit BLM ein Stück, wo Lynval Golding (Rhytmusgitarrist der Specials, Anm.d.R.) seine Geschichte erzählt, wo man sieht, dieser Rassismus ist sehr, sehr alt und war vielleicht niemals weg.
Hall: Der Rassismus verschwindet leider nicht, wie ich schon sagte, er nimmt nur andere Formen an. Lynval Golding hat natürlich wegen seiner Hautfarbe ganz klar rassistische Erfahrungen gemacht. Sein Vater wurde damals nach Großbritannien eingeladen, um das Land wiederaufzubauen, gemeinsam mit Menschen aus Irland. Als er in das Land kam, hat er in einer Garage gelebt.
Und als Lynval seinem Vater in den Sechzigerjahren nach Großbritannien gefolgt ist, hat er sofort Rassismus erlebt. Er ist dann in die USA gezogen, und da war es noch schlimmer. Er sagt, dass er extrem aufpasst, wenn er dort nur die Straße überquert.

"Toll, dass wir ein Vermächtnis geschaffen haben"

Müller: Zum 30. Bandjubiläum gab es ja eine Tour – das war für die Fans eine wunderbare Sache und große Party. Die alten Songs waren nostalgisch. Jetzt ist es ganz anders. Ist die Welt heute so, dass sie auch wieder die Inspiration fühlten, neue Songs zu schreiben?
Hall: Für uns ist das toll, wir können jetzt die neuen und die alten Songs live spielen. Aber als wir wieder zusammenkamen, hatten wir gar nicht den Plan, ein neues Album zu machen, wir wollten nur ein paar Konzerte spielen und schauen, was passiert. Und wir haben so lange gebraucht, um rauszufinden, was für ein Album wir machen wollen.
Klar schließen wir auch an die ersten beiden Alben an, das kann man hören, aber für uns war es wichtig, dass ein neues Album ein komplett offenes Buch ist, dass wir uns keinem Genre verpflichten und offen sind für alles, was dabei rauskommt.
Müller: Die Specials, aber auch Fun Boy Three hatten einen großen Einfluss auf folgende Generationen – ich will nur mal Damon Albarn nennen, der so etwas wie die "Gorillaz" oder "The Good The Bad and The Queen" wohl nicht ohne Ihr Vorbild hätte ersinnen können. Macht Sie das ein wenig stolz?
Hall: Das ist toll, dass wir so ein Vermächtnis geschaffen haben. Uns war der Austausch mit anderen Bands immer wichtig. Und das Schönste daran ist, dass die Leute, die uns als Einfluss nennen, ziemlich gute Musik machen. Das zeigt uns, dass wir auch etwas richtig gemacht haben.
Mehr zum Thema