Sizilianische Liebe mit Schmelz

12.08.2010
In ihrem dem Debütroman lässt die Theaterautorin und Regissuerin Emma Dante zwei Frauen aufeinanderprallen, die sehr unterschiedliche Konzepte von Liebe haben.
In einer winzigen Gasse mitten in Palermo fahren zwei Autos aufeinander zu und bleiben stehen. Keine der beiden Fahrerinnen will weichen. Die Angelegenheit wird zu einem Machtkampf – es geht ums Prinzip, und bald geht es sogar um das gesamte Leben der beiden Frauen.

Die eine heißt Samira, stammt aus Albanien und ist vor etlichen Jahren mit ihrer Tochter Thana durch einen Schlepper nach Italien gekommen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Diese Hoffnung ist längst zerstäubt. Die hübsche Thana heiratete wegen ihrer Aufenthaltsgenehmigung den Witwer Saro Calafiore, führte ihm Haushalt, versorgte seine vier Kinder samt Familien und durfte dafür ihre Mutter mitbringen. Jetzt ist Thana tot, und Samira, alt und verwirrt, fristet ein elendes Dasein als Chauffeurin und Bedienstete bei ihrem Schwiegersohn. Als ihr der Fiat in die Quere kommt und sie nicht in die Einfahrt des Hauses der Familie lässt, bewegt sie sich keinen Zentimeter weg.

Die andere, Rosa, Palermitanerin, ist längst in Mailand zu Hause. Auch deshalb verfährt sie sich auf dem Weg zu einer Feier, zu der sie ihre Geliebte Clara begleitet. Die beiden stecken in der Krise, weil Rosa noch unter dem Bann ihrer sizilianischen Familie steht und sich ihrer Neigungen schämt. Sie führt ein Leben mit angezogener Handbremse. Zornig und voller Trotz beharren Rosa und Samira auf ihrem Recht und sitzen bis zum nächsten Morgen in ihren Autos. Dann ist alles anders.

Emma Dante, 1967 in Palermo geboren, ist Dramatikerin, und das merkt man ihrem Gespür für tragfähige Konflikte an. Als eine der bekanntesten Theaterautorinnen und Regisseurinnen auf italienischen Bühnen versteht sie sich auf Figurenkonstellationen, Zuspitzungen, Tempo, Erzählrhythmus und Dialoge. In ihrem Romandebüt "Mitternacht in Palermo" prallen zwei gegensätzliche Welten aufeinander.

In Genrebildern, die von einem Sonntag am Strand der Familie Calafiore handeln, entwirft sie ein plastisches Bild der sizilianischen Familienhölle. Hier hat der Patriarch das Sagen, und wer sich ihm nicht unterwirft, wird zermalmt. Seine Kinder und Enkel, die alle im selben Haus leben, sind bis aufs Messer zerstritten. Rosas und Claras Welt ist auf den ersten Blick mondäner und viel freier, untergründig aber auch den althergebrachten katholischen Wertvorstellungen verhaftet.

Der Streit um die Vorfahrt ist der klassische Tropfen, der die Fässer zum Überlaufen bringt und gleichzeitig etwas Kathartisches hat. Mit ihren nüchternen Schilderungen der Abwege, auf die Saro Calafiores Kinder geraten, rechnet Emma Dante außerdem mit der verlogenen Familienideologie ab und greift damit eine überraschende Tatsache auf – in keinem anderen Land werden so viele Bluttaten unter Verwandten begangen, wie in Italien. Dass sie außerdem das Thema der Homosexualität ins Spiel bringt, eines der letzten großen Tabus in Süditalien, passt zu ihrem provozierendem Gestus, der auch ihre Theaterstücke auszeichnet.

Mitternacht in Palermo ist ein kurzweiliger und bitterböser Roman über das zeitgenössische Italien. Nur die Liebesgeschichten schrammen haarscharf am Kitsch vorbei und sind eine Spur zu dick aufgetragen. Da entpuppt sich dann auch Emma Dante als waschechte Sizilianerin. Ohne Schmelz geht es eben in der Liebe nicht.

Besprochen von Maike Albath

Emma Dante: Mitternacht in Palermo
aus dem Italienischen übersetzt von Christiane von Becholtsheim
Luchterhand Literaturverlag, München 2010
143 Seiten, 8,00 Euro