Sinti-und-Roma-Mahnmal ist "sehr berührend"

Dotschy Reinhardt im Gespräch mit André Hatting · 24.10.2012
Die Musikerin Dotschy Reinhardt hofft, dass das neue Berliner Mahnmal für die während der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma zu einem Ort des Nachdenkens wird. Das Mahnmal sei dafür geeignet, um zur Ruhe zu kommen und nachzudenken.
André Hatting: "Girls like me - Django’s Theme" – gemeint ist Django Reinhardt. Der legendäre Jazzgitarrist hatte Glück im Unglück, er entkam der Vernichtung durch die Nazis. Eine halbe Million Menschen aus seinem Volk, den Sinti und Roma, wurde in KZs vernichtet.

Heute wird in Berlin das Mahnmal für diese Opfer eingeweiht, im Beisein von Bundespräsident Gauck, Bundeskanzlerin Merkel und dem Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose. Das Lied, das wir gerade gehört haben, stammt von Dotschy Reinhardt, sie gehört zur Großfamilie, kann man sagen, von Django Reinhardt, und ich wollte von ihr wissen, ob sie bei der Einweihung des Mahnmals denkt, na endlich, oder eigentlich zu spät und damit egal.

Dotschy Reinhardt: Nein, ich denke, es wäre für alle Beteiligten, die sich über die Jahre – oder man kann ja jetzt schon sagen, Jahrzehnte – dafür eingesetzt haben, denen gegenüber wäre es sehr unfair, wenn ich so denken würde. Also es ist nicht egal, im Gegenteil, ich empfinde es als wichtig, wenn das Mahnmal nicht als rückwärts gewandt, sondern auch als vorwärts gewandt gesehen wird. Ich denke, es können positive Dinge geschehen für die Sinti-und-Roma-Community durch das Mahnmal und finde es daher sehr wichtig, auch dass die Kanzlerin anwesend ist.

Hatting: Das Denkmal besteht aus einem Brunnen mit einer versenkbaren Stele, auf der täglich eine frische Blume liegt. Sie selber hatten Gelegenheit, sich das Denkmal anzuschauen. Finden Sie, das es rückwärtsgewandt ist, oder ist es in Ihrem Sinne tatsächlich vorwärtsgewandt?

Reinhardt: Von der Architektur her finde ich das sehr schön – das ist sehr berührend, weil einerseits, der Wasserspiegel ist ganz glatt, und der Grund des Brunnens ist schwarz, sodass man den Grund erst mal nicht sehen kann. Ich finde, das ziemlich aufwühlend und beunruhigend, einerseits, aber andererseits durch diese runde Form und diese Ruhe, die auch auf diesem Platz von den Bäumen ausgestrahlt wird, kann man an diesem Ort gut innehalten und nachdenken, und daher, finde ich, ist es eigentlich ganz gut gelungen.

Hatting: Sie sind mit Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma, quasi verwandt, kann man jetzt sagen, denn Ihr Mann ist Neffe von Romani Rose. Rose, Jahrgang 46, kämpft seit Jahren für die Eingliederung der Sinti und Roma. Sie gehören zur jungen Generation, gibt es da Unterschiede in der Betrachtung?

Reinhardt: Von der Politik halte ich mich raus, weil ich als Künstlerin versuche, über Emotionen, über Musik, auch über mein Schreiben die Menschen zu berühren. Wenn dadurch Aufklärung passiert, dann bin ich sehr glücklich darüber, und bin auch bereit dazu, mit Menschen zu kommunizieren, um Antworten zu geben auf die Fragen, die noch offen sind.

Meiner Meinung nach ist es ein guter Weg, die Feindbilder und Klischees, die viele Nicht-Sinti in den Köpfen haben, mit diesem Begriff, den wenige Sinti gerne hören, also Zigeuner, diese Klischees verbinden, dass man diese Bilder auswechselt. Und Herr Rose hat da sicherlich einen politischeren Weg als ich, und deshalb maße ich mir da nicht an, zu urteilen.

Hatting: Gehört zu Ihrem Weg auch, dass sie verstärkt die Besonderheit, die Einheit Ihres Volkes herausstreichen und betonen? Sie singen zum Beispiel oft in Romanes, also das Lied, das wir gerade gehört haben, "Girls like me", ist in Romanes gesungen. Ist es für Sie wichtig, wieder die Eigenheit zu betonen?

Reinhardt: Die Entscheidung, Romanes zu singen, fiel 2004, als ich hier in Berlin Fuß gefasst habe und meine sprachliche Heimat vermisst habe, weil meine Eltern und meine ganze Familie in Süddeutschland wohnt und ich in Berlin nur meinen Mann kannte, mit dem ich diese Sprache reden konnte. Daher kam diese Entscheidung aus einem Gefühl heraus und nicht aus einem Anliegen heraus, damit Aufklärung zu betreiben.

Nur mit der Zeit hat sich das eingestellt, und ich habe gemerkt, dass Leute nach den Konzerten zu mir kamen und nach dieser Sprache gefragt haben, welche Sprache es denn sei, und dann habe ich ihnen eben gesagt, das es Romanes ist, dass ich Sintiza sei, und da war dieser Aha-Effekt da beim Publikum, und ich habe gemerkt, dass es Positives bewirkt hat, und dass ich in meinen Konzerten auch ein bisschen über die Sinti-Kultur erzählen kann und somit ein bisschen Aufklärung betreiben kann – ein schöner Nebeneffekt.

Hatting: Aufklärung und auch so etwas wie Identitätsbehauptung für Sie persönlich?

Reinhardt: Ich brauche keine Identitätsbehauptung, weil für mich ist es klar, ich bin als Sintiza und Deutsche auf die Welt gekommen, wie auch meine ganzen Vorfahren. Was die wenigsten wissen, ist, dass die Sinti in Deutschland über fast 600 Jahre leben, dieses Land kulturell und wirtschaftlich auch mitgeprägt haben.

Daher stellt sich für mich diese Identitätsfrage gar nicht. Die Identitätsfrage wird einem von außen oft aufgedrängt, weil man lange nicht oder bis heute eigentlich viele nicht als gleichberechtigte deutsche Bürger wahrgenommen und anerkannt werden.

Hatting: Stimmt es auch, oder empfinden Sie es auch so, dass es immer noch einen latenten Rassismus gibt gegenüber ihrer Bevölkerungsgruppe?

Reinhardt: Sicherlich, nicht nur gegen mein Volk. Immer, wenn Missstände in einem Land aufkommen – Arbeitslosigkeit, Kriminalität – wird es natürlich auf Minderheiten abgewälzt. Das ist nichts neues, das ist in ganz Europa so, ganz schlimm in Ungarn auch.

Hatting: Aber in Deutschland, als wir das sogenannte Wirtschaftswunder hatten, da war es trotzdem so, dass man dann gesagt hat, die "Zigeuner" kommen, schnell die Wäsche rein, die klauen – also man kann nicht unbedingt sagen, dass es in Deutschland zumindest nur was mit der wirtschaftlichen Lage zu tun hat.

Reinhardt: Nein, die Aufklärung, die passierte in diesem Punkt sehr spät. Und wir Sinti haben es wirklich auch Romani Rose zu verdanken, dass Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden von deutscher Seite.

Mein Urgroßvater zum Beispiel, der in mehreren Lagern war und nur knapp der Gaskammer entkam, der musste nach dem Krieg wirklich um das bisschen Geld – heute sagt man Wiedergutmachung, ich hasse dieses Wort, weil es ist nicht wieder gutzumachen, was da passiert ist –, aber eine gewisse Hilfe, eine finanzielle Hilfe auch, zu bekommen, weil er hatte viele Kinder und war geschädigt durch die Zwangsarbeit und die Gaskammer, konnte nicht richtig arbeiten, um bisschen finanzielle Unterstützung zu bekommen, hat er sich stark eingesetzt. In den Behörden saßen ja meistens immer noch die selben ...

Hatting: Die alten Nazis zum Teil, ja.

Reinhardt: ... die selben Nazis, die im Krieg da fungiert haben.

Hatting: Wenn Sie, Frau Reinhardt, so einen Satz hören, wie Sinti und Roma, das sind doch die, die ihre Kinder zum Betteln schicken, ärgert es sie dann, wenn manche Roma und Sinti zu diesem Klischee beitragen?

Reinhardt: Ich kenne keinen Sinto, der mit seinem Kind auf der Straße sitzt und bettelt. Man sieht immer nur die Roma aus Osteuropa, die meist politisch verfolgt sind oder waren, unter Missständen, Anfeindungen in ihren Ländern leben und daher sich hier ein besseres Leben erhoffen und dazu gezwungen sind, auch zu betteln hier und da.

Ich sehe das nicht gerne, schon weil mir die Kinder leid tun, und natürlich auch, wenn ich die Frauen sehe, die machen das auch nicht gerne. Mich stört viel mehr, dass alles in einen Topf geschmissen wird. Sinti fallen so als Sinti gar nicht auf im öffentlichen Leben, weil sie mitteleuropäisch aussehen. Sie haben die selben Gewohnheiten, schicken ihre Kinder zur Schule, sind Angestellte oder selbstständig. Man sieht aber sehr wohl die Roma-Frauen, die mit ihren Kindern betteln.

Letztendlich hat man als Sinto auch unter diesem Bild – ich möchte nicht sagen, zu leiden, weil ich möchte das auch nicht negativ bewerten, was die Roma machen, man steckt nicht drin, ich weiß nicht, welche Gründe es sind oder ob sie wirklich dazu wegen der Not gezwungen sind zu betteln, davon gehe ich mal aus. Aber letztendlich bekommt man dieses Bild übergestülpt als deutscher Sinto, obwohl man wirklich auch von den Sitten und Gebräuchen der Roma meilenweit entfernt ist.

Hatting: Die Musikerin Dotschy Reinhardt zu Gast bei uns im Studio. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!

Reinhardt: Sehr gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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