Sinologe Jürgen Braunbach

"28 Jahre Asien haben sich so ergeben"

31:55 Minuten
Das tägliche Leben in Peking: Fahrradfahrer und Autos auf dem erleuchteten Tian’anmen-Platz in Peking, China.
Fahrradfahrer am Tian’anmen-Platz in Peking: "400 bis 500 Millionen Menschen wurden aus der Armut in eine solide mittelständische Existenz geführt", sagt der Sinologe und Unternehmer Jürgen Braunbach. © Getty / VCG / Zhou Jin
Moderation: Marco Schreyl · 30.09.2020
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Viele Jahre arbeitete der Sinologe Jürgen Braunbach für ein Logistikunternehmen in China, Vietnam und Thailand. Er war Zeuge atemberaubender Veränderungen und Ereignisse. Den "westlichen Blick" auf Chinas Entwicklung findet er teilweise unangemessen.
Was Jürgen Braunbach mit seinem Sinologiestudium anfangen würde, das war ihm Anfang der 1980er Jahre nicht wirklich klar. Eine Sache allerdings schon: Nach der chinesischen Kulturrevolution begann sich das Land langsam zu öffnen. Jürgen Braunbach sah darin die Chance auf einen Job. Doch mit dieser Vorstellung stand der Student damals noch sehr allein, seine Eltern erklärten ihn für verrückt.
Jürgen Braunbach behielt Recht, sein Studium der Chinawissenschaften sollte der Türöffner für eine jahrzehntelange Karriere in China und weiteren asiatischen Ländern sein.

Reiseleiter für Ärzte und Anwälte

1981 kam er mit Kommilitonen das erste Mal nach Shanghai, reiste mehrere Wochen durchs Land. "Das war gerade für die Chinesen, die wir trafen, äußerst überraschend, weil die das nicht kannten, dass da "Langnasen" einfach durchs Land liefen. Wir haben da viele offene Münder und Fragezeichen gesehen. Es war natürlich interessant, weil es zu dem Zeitpunkt etwas Neues war. "
Für Jürgen Braunbach war eine Reise nach China bald nicht mehr neu, neben dem Studium war er ab 1986 auch als Reiseleiter für ein zahlungskräftiges Publikum unterwegs.
Porträt des Sinologen Jürgen Braunbach.
Der Sinologe Jürgen Braunbach© Florian Scheitler
"Das war sehr interessant. Dann kam ich das erste Mal nach Tibet. Da habe ich auch viel gelernt als Reiseleiter mit den ganzen Anwälten und Ärzten. Das waren teure Reisen zu dem Zeitpunkt, 10.000 Mark pro Person."
Und die kommunistische Partei sei eben nicht die ganze Zeit im Hintergrund dabei gewesen, so Jürgen Braunbach. "Es gab damals durchaus auch sehr viele freie Bereiche, wo man frei kommunizieren konnte. Und dem ist auch heute so. Das ist ein schwieriges Thema, weil wir nicht verstehen können, warum manche Dinge in China sehr hart und sehr brutal auch angegangen werden. Weil es nämlich ein ganz anderes Konzept ist, als wir das hier kennen und schätzen."

Der große Chinaboom

1989, Jürgen Braunbach hatte sein Sinologiestudium abgeschlossen, ging er für ein deutsches Logistikunternehmen nach Peking, allerhöchstens ein oder zwei Jahre wollte er bleiben. "Daraus wurden dann 28 Jahre in Asien, das war nicht geplant, das ergab sich so. Es begann der große Chinaboom. Die Mengen, die gehandelt wurden, der Warenaustausch, die wuchsen. Es kam das Stichwort der Globalisierung. Man kann schon sagen, dass ich beruflich davon profitiert habe. Und dann ging es von Vertrag zu Vertrag."
Im Jahr 1989 sah es für Jürgen Braunbach überhaupt nicht danach aus, im Gegenteil. Kaum hatte er in Peking einen Job gefunden, musste er die Stadt schon wieder verlassen. Anfang Juni wurden die Studentenproteste auf dem Tian'anmen-Platz blutig niedergeschlagen. Doch Jürgen Braunbach erinnert sich auch an andere Bilder aus dem Frühsommer 1989.

Ein kleines Woodstock in Peking

"Es wurde praktisch der Tian'anmen-Platz , der zentrale Platz von Peking, in einen großen Campingplatz verwandelt. Viele Studenten waren da und es gab Diskussionen. Es war ein kleines chinesisches Woodstock. Es war überraschend, dass die Regierung dem seinen Lauf ließ. Das wurde allgemein als überraschend empfunden."
Panzer gegen die Bevölkerung, eine unbekannte Opferzahl, die Schätzungen reichen von einigen hundert bis zu mehreren tausend Toten – es hätte vielleicht anders ausgehen können, sagt Jürgen Braunbach.
Warum? Weil es innerhalb der chinesischen Führung unterschiedliche Meinungen gegeben habe, so der Sinologe. Und: "Im Grunde genommen war es ein Problem der chinesischen Führung, dass sie zu dem Zeitpunkt gar keine normalen Wasserwerfer oder polizeiliche Eingriffsmöglichkeiten besaß. Die haben erst danach angefangen, in der Schweiz derlei Polizeimaterial einzukaufen."
Wie die meisten westlichen Ausländer verließ auch Jürgen Braunbach das Land, kam aber bald zurück.

"Man kann sehr offen sprechen"

Wieder in China zurückgekehrt, entwickelte sich der gebürtige Kölner zum Experten für Logistik, arbeitete später in Vietnam und Thailand. China ließ den Sinologen nie ganz los. Beim Thema Meinungsfreiheit und Menschenrechte Jürgen Braunbach fordert, hier nicht nur den westlichen Blick einzunehmen:
"Es ist nach wie vor so, dass man sehr offen mit sehr vielen chinesischen Partnern über diese Dinge sprechen kann. Die beklagen natürlich auch manche Entwicklungen in China. Aber, und das macht es so schwierig mit China, das darf man nicht vergessen, das hat es in der Geschichte nicht gegeben, 400 bis 500 Millionen Menschen innerhalb von einer Generation wurden aus der Armut in eine solide mittelständische Existenz geführt. Das ist auch ein Verdienst, das wir auch im Auge behalten müssen."
Seit drei Jahren lebt der heute 64-Jährige mit seiner Familie wieder in Deutschland, im oberbayerischen Mittenwald. Hier ist Jürgen Braunbach in einer kleinen Firma tätig, die sich auf den Bau von Hochseilgärten spezialisiert hat. Was wenig überrascht: Er ist für asiatischen Markt zuständig. Wird sich Braunbach hier in Bayern mal zur Ruhe setzen?
"Das weiß man immer nicht. Es muss immer einen Plan B geben."
(ful)
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