Sinnenfreudiger Menschenfeind

15.01.2008
Der rumänische Philosoph E. M. Cioran (1911-1995) ist nicht gerade ein leicht zu biografierendes Objekt. Nach einem heftigen Jugendwerk, in dem er seiner Begeisterung für die rumänischen Faschisten Ausdruck verlieh und Zeitungsartikeln, die die politische Entwicklung in Deutschland begrüßten, zog er 1937 nach Paris, um sich ebenso so heftig von allem politischen Engagement zurückzuziehen und dort bis zu seinem Tod 1995 auszuharren, kaum einmal sein Viertel verließ.
Er perfektionierte sein Französisch durch ausgedehnte Lektüre französischer Romane des 18. Jahrhunderts, um fürderhin seine Aphorismen und Essays in der Gastsprache zu publizieren. Titel wie "Vom Nachteil, geboren zu sein", "Lehre vom Zerfall", "Syllogismen der Bitterkeit" und "Die verfehlte Schöpfung" verraten den Fundamentalskeptiker, als der Emil M. Cioran langsam aber sicher berühmt wurde. Er gehört zu den Denkern, die die schwarze Seite der Moderne zu ihrem Recht kommen lassen wie Georges Bataille, Antonin Artaud und Samuel Beckett.

Nirgendwo sonst wird die gnostische Weltablehnung so konsequent durchgeführt wie bei ihm: Der Mensch? Eine Krankheit, der "Krebs der Welt", um den es nicht schade wäre, würde er morgen vom Erdboden verschwinden. Die Philosophie? Eine traurige Geschichte der Irrtümer. Das Ich? Eine prekäre Illusion. Der Selbstmord? Das einzig Vernünftige.

Der Schriftsteller Bernd Mattheus, von dem bereits einige literarische Bücher im Matthes & Seitz Verlag vorliegen, ist mit seinem "Porträt eines radikalen Skeptikers", der ersten ausführlichen Biografie Ciorans, das Kunststück gelungen, einem Leben, in dem außer Lektüren und Schreibvorgängen eigentlich nichts geschah, Spannung abzugewinnen.

Mattheus ist ein hervorragender Kenner des Cioran'schen Werkes und unter seiner Feder werden die Arbeiten des Philosophen, der keiner sein wollte, zu den Figuren eines Romans. Was Persönliches angeht, bleibt der Biograf recht diskret, erwähnt nur eine Liaison des Schriftstellers, der den diesseitigen Freuden durchaus zugeneigt war. Bei Mattheus wird plastisch, wie Cioran in Verzweigungen und Unterverzweigungen seinen Aphorismenkosmos erschafft und ausbaut, zu immer neuen, kaleidoskopartigen Umsortierungen seiner Themen findet.

Auffällig an Mattheus Biografie ist die essayistische Verdichtung zu Beginn und die Tendenz in Richtung Chronik gegen Ende. Aber nie wird diese "Werkbiografie" langweilig, immer folgt Mattheus dem Geist der spitzen, verblüffenden Formulierungen Ciorans, ihm gelingt eine authentische Darstellung eines der radikalsten Denker des 20. Jahrhunderts.

Manchmal gerät der Biograf in kurzschlussgefährdete Nähe zu seinem Gegenstand, wenn etwa bisweilen der Cioran'sche Duktus fast übernommen wird: Zunächst zitiert er den Meister:

"Es hätte mich wirklich ergötzt, Zeitgenosse der Sintflut zu sein ... Aber diese Welt wird ohnehin untergehen, das ist keine Frage."

Mattheus setzt fort:

"Die Menschenverachtung, zu der sich Cioran bekennt, müsste eigentlich jedem Lebenden zu eigen sein, sofern er sich einmal die Geschichte dieser Spezies vergegenwärtigt hat..."

Bernd Mattheus hat nicht nur eine hervorragend lesbare Biografie geschrieben, sondern, viel wichtiger, ihm ist eine überzeugende Einführung gelungen und eine überzeugende Darstellung des Cioran'schen Werkes.

Rezensiert von Marius Meller

Bernd Mattheus: Cioran. Porträt eines radikalen Skeptikers
Matthes & Seitz, Berlin 2007
367 Seiten. 28,90 Euro