Singende Jungs und rauchende Colts

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 12.12.2007
"Der Klang des Herzens" ist eine moderne Version von "Oliver Twist", in der ein Waisenjunge zum musikalischen Wunderkind wird. "Todeszug nach Yuma" ist ein Remake eines Westernklassikers und zeigt mit den üblichen Genre-Zutaten den Kampf zwischen dem bösen Gangster und dem rechtschaffenen Farmer.
"Der Klang des Herzens"
USA 2007. Regie: Kirsten Sheridan. Darsteller: Freddie Highmore, Robin Williams, Jonathan Rhys Meyers, Keri Russell, Liv Tyler u.a. 114 min.

Der Klang des Herzens" von Kirsten Sheridan; ist - nach "Disco Pigs" (2000) - der zweite Spielfilm der Tochter des irischstämmigen Regisseurs Jim Sheridan ("Mein linker Fuß" 1989; "Im Namen des Vaters" 1993). Der berühmte und vielfach verfilmte Charles-Dickens-Gesellschaftsroman "Oliver Twist" aus dem Jahr 1837 stand dabei Pate: Denn Evan, der kleine Held dieser Geschichte, ist so eine Art Nachfahre des bekannten Straßenjungen Oliver. Er lebt in einem Waisenhaus, glaubt jedoch fest daran, dass "draußen" seine Eltern auf ihn warten.

Als er adoptiert werden soll, büchst er aus, landet im New York von heute und lauscht mit weit aufgesperrten Ohren den vielfältigen Geräuschen des Alltags. Während die U-Bahn rattert, Hunde bellen, der Verkehr rollt, die Menschen grummeln, entdeckt er keinen Lärm, sondern eine unvergleichliche Musikalität.

Evan ist ein Wunderkind, der noch aus jedem Lärm-Mucks Melodie & Rhythmus spürt. Binnen weniger Augenblicke lernt er bei einem kleinen Straßenmusiker das Gitarrespielen wie weiland Jimi Hendrix. Was den Boss der Straßenkinder auf den Plan ruft. Er wittert das große Geschäft mit Evan. Und nennt ihn fortan August Rush.

Währenddessen machen sich seine Eltern, die hochbegabte Konzert-Cellistin Lyla und der irische Rock-Musiker Louis, die lange Zeit von seiner Existenz nichts wussten, tatsächlich auf die Suche nach ihm. Allerdings jeder Elternteil für sich, denn auch hier ist erst ein (gar nicht) komplizierter Paar-Schicksalslauf auf Umwegen zu bewältigen. Vor der faszinierend entspannten Kulisse New Yorks geht es um die Magie der Musik: Klassik/Rock & Gospel gehen eine grandiose Harmonie ein und bilden den zauberhaften Klangrahmen (Soundtrack von "Grammy"-Gewinner Mark Mancina).

Es geht um überlebensgroße Gefühle, derer man sich nicht zu schämen braucht, zugleich mit einem wunderbaren Schwung ver- bzw. ausgebreitet. Ein herrliches Melancholie-Melodram der Märchen-Spitzenklasse, mit großen Emotionen, als prima entwickeltes/getimtes Unterhaltungs-Kintopp pur, mit viel Spannung, klasse Show-Teilen und schön-sensiblem Kitsch.

Ein 1 A-Feel-Good-Gänsehaut-Movie, weil die Darsteller prächtig mitmischen: Der heute 15-jährige Briten-Bengel Freddie Highmore setzt nach seinen Glanzauftritten in "Wenn Träume fliegen lernen" (2004, neben Kate Winslet und Johnny Depp) und "Charlie und die Schokoladenfabrik" (2005, wieder mit Johnny Depp) eine neue überzeugend-berührende Herz-Schmerz-Leinwand-Pointe. Wie er mit seinem kleinen Körper "spricht" und die großen Gefühle auszudrücken weiß, das ist schon ebenso erstaunlich wie etwas Besonderes. Freddie Highmore trägt das liebevolle Sentiment-Vergnügen voll und ganz, obwohl um ihn herum immerhin ausgezeichnete atmosphärische Spitzenkräfte wie "Oscar"-Preisträger Robin Williams (als Kinder-Boss), Keri Russell ("An deiner Schulter") als schöne Cellistin-Mama sowie Jonathan Rhys Meyers (u.a. in "Matchpoint" von Woody Allen) als aufgescheuchter, erwachsen werdender Rocker-Papa und Terence Howard (soeben in "Hunting Party - Wenn der Jäger zum Gejagten wird" mit Richard Gere zu sehen) ebenfalls feinfühlig-gut mitmischen. Toll: Gefühls-Kino vom Allerfeinsten!

"Todeszug nach Yuma"
USA 2007. Regie: James Mangold. Darsteller: Russell Crowe, Christian Bale, Gretchen Mol, Peter Fonda, Ben Foster u.a. 122 min.

Der 43-jährige New Yorker Drehbuch-Autor und Regisseur James Mangold zählt dank Filmen wie "Cop Land" (1997 mit einem überragenden Sylvester Stallone), "Durchgeknallt" (Nebendarsteller-"Oscar" für Angelina Jolie) und vor allen Dingen durch das Johnny-Cash-Biopic "Walk The Line" ("Oscar" für Reese Whiterspoon) zu den oberen Regie-Talenten Hollywoods.

Hier adaptiert er einen Schwarzweiß-Hollywood-Western-Klassiker aus dem Jahr 1957: "3:10 To Yuma" von Delmer Daves (mit Glenn Ford/Van Heflin), deutscher Kinotitel: "Zähle bis drei und bete". Das Lexikon des Internationalen Films urteilt begeistert: "Perfekt inszenierter und ausgezeichnet gespielter Western, mit differenzierter Charakterzeichnung". Basierend auf der gleichnamigen (1953 veröffentlichten) Kurzgeschichte von Elmore Leonard entwickeln die beiden Drehbuch-Autoren Michael Brandt und Derek Haas sowie Regie-Fuchs Mangold heute erneut einen exzellenten Psycho-Western, in dem sich Moral und Gesetzlosigkeit ein tückisches Gefecht liefern.

Farmer Dan Evans, ein ehemaliger Elite-Soldat, steht vor dem Ruin. Der aufrechte Mann ist verschuldet, soll mit Frau und Sohn seine Farm verlassen. Eine Chance bietet ein Deal: Wenn er - mit ein paar Getreuen, darunter Pinkerton-Detektive - einen gefürchteten und endlich gefangen genommenen Banditen zur entlegenen Bahnstation bringt, wo dieser dann ins Staatsgefängnis gebracht werden soll, bekommt er 200 Dollar Belohnung. Dan Evans ist einverstanden, obwohl es sich bei dem Outlaw um den ebenso charismatischen wie mörderischen Ben Wade handelt. Dessen Bande natürlich nichts unversucht lässt, ihren Boss auf dem Weg zum Bahnhof zu befreien.

Die starke Folge: Ein schnörkelloser, raffinierter und dauer-spannender Western. Mit vielen aufregenden Motiven, Situationen, Figuren. Zugleich entwickelt sich hier eine vielschichtige Charakterstudie, mit exzellenter Besetzung und einem packenden Action-Finale. Moral-Motto: "Lässt du dich, bei all deinen Sorgen und Nöten, von einem abgefeimten Schurken bestechen oder hältst du, trotz aller Widrigkeiten, an deinen Werten fest und lieferst ihn dem Gesetz aus? Falls es dazu überhaupt kommt?"

Die letztlich "12 Uhr mittags"-(Feigheit-)Situation ebenso wie die Vorwegnahme der Italo-Western-Atmo: Niemand ist nur gut, niemand ist aber auch nur grund-schlecht. Halt, bis auf den aufregendsten Neben-Akteur der letzten Zeit: Der bis dato ziemlich unbekannte Ben Foster (gerade im Horror-Thriller "30 Days of Night" zu sehen) spielt den treuen Banditen-Komplizen Charlie Prince mit einer solchen geradezu wunderbar schaurig-gruseligen Intensität, dass man glaubt, der sadistisch-kaltblütige Filmschurke Klaus Kinski ("Leichen pflastern seinen Weg") sei wiederauferstanden.

Dabei hat er ebenso hochkarätige wie vorzügliche Hauptakteure um sich: "Oscar"-Star Russell Crowe ("Gladiator". Z.z. noch mit "American Gangster" im aktuellen Programm) gibt dem Ober-Schurken Wade ein prächtig differenziertes Charisma; Multi-Talent Christian Bale ("American Psycho"; "Batman Begins"; "Prestige - Die Meister der Magie") verleiht seinem wacklig-edlen, in jeder Hinsicht verletzten Farmer tiefe Dichte und Glaubwürdigkeit, kommt als gequälter Seelen-Typ aufregend überzeugend rüber. Zwei phantastische Duell-Brüder, in einem großartigen, modernen Western.

Auch hier: Tolles Genre-/klasse Unterhaltungskino in Augenschmaus-Cinemascope. Dass in einem weiteren pikanten Nebenpart auch der souveräne Old-Boy Peter Fonda mit von der zynischen Jagd ist, darf nicht unerwähnt bleiben, auch er läuft kurz zu Höchstform auf. Also: Der Western lebt - und wie!
Filmschauspieler Russell Crowe vor einem PLakat zu "Todeszug Nach Yuma"
Filmschauspieler Russell Crowe vor einem Plakat zu "Todeszug nach Yuma"© AP