Sinfonische Schmerzenskinder

20.12.2011
Robert Schumanns vierte Sinfonie und Béla Bartóks Bratschenkonzert – beliebte Werke aus dem großen Repertoire, mit denen sich die Komponisten schwertaten. Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen verbinden diese Stücke in einem Programm und stellen außerdem den Komponisten Thorsten Encke vor.
"Roberts Geist ist gegenwärtig in größter Tätigkeit; er hat gestern eine Symphonie wieder begonnen […]. Noch hörte ich nichts davon, doch sehe ich aus Roberts Treiben, und höre manchmal das D-Moll wild aus der Ferne her tönen, daß ich schon im voraus weiß, es ist dies wieder ein Werk aus tiefster Seele geschaffen." Das notierte Clara Schumann 1841 – und damit begann die lange Leidensgeschichte der eigentlich zweiten Sinfonie Robert Schumanns, die er schließlich als seine vierte Sinfonie abschloss. Noch ein halbes Jahrhundert später, 1891, beschäftigte sich Clara mit dem d-Moll-"Treiben" ihres längst verstorbenen Gatten: Gegen ihren Willen veröffentlichte Johannes Brahms die Urfassung dieser Sinfonie bei Breitkopf & Härtel.

Béla Bartók dagegen kam mit seinem Konzert für Viola und Orchester zunächst zügig voran – im Sommer 1945 schrieb er an den Bratscher William Primrose: "Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihr Violakonzert im Entwurf fertig ist und dass bloß noch die Partitur geschrieben zu werden braucht, was gewissermaßen nur eine mechanische Arbeit ist. Wenn nichts dazwischen kommt, kann ich es in 5 oder 6 Wochen geschafft haben."

Was "dazwischenkam": der Tod des Komponisten am 26. September 1945. Sein Schüler Tibor Serly machte den detaillierten Entwurf dieses raren Bratschenkonzerts aufführbar, wobei er nach vier Jahren feststellen musste: "Was für Bartók ‚nur eine mechanische Arbeit’ gewesen wäre, war eine langwierige Aufgabe, die viel Geduld und Mühe gefordert hat." Unglücklicherweise hatte der sonst so penible Bartók kein einziges Skizzenblatt zu diesem Konzert numeriert. Der Erfolg des Werkes gibt Serlys detektivischer Arbeit recht; am heutigen Abend folgt ihm Máté Szücs auf diesen Spuren nach – der ungarische Musiker ist kürzlich zum 1. Solo-Bratscher der Berliner Philharmoniker ernannt worden.

Detektivische Arbeit ist bei dem Werk "Nyx" von Thorsten Encke wohl nicht nötig – der 1966 geborene Komponist lebt in Hannover und kennt die Bedürfnisse der Orchesterrmusiker aus eigener Anschauung, schließlich ist er auch als Cellist tätig. Als Mitglied des Melcher Trio gibt er noch heute regelmäßig Kammerkonzerte, auf deren Programmen sich – ob Zufall oder nicht – immer wieder auch Werke von Robert Schumann und Béla Bartók befinden.

Die Glocke, Bremen
Aufzeichnung vom 17.12.11

Robert Schumann
Ouvertüre zur Oper "Genoveva"

Thorsten Encke
"Nyx" für großes Orchester

Béla Bartók
Konzert für Viola und Orchester op. posth.

ca. 21:00 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Robert Schumann
Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120


Máté Szücs, Viola
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Leitung: Paavo Järvi