Simone Rafael über Berichterstattung zu "Hygienedemos"

"Das erinnert mich an die Anfänge von Pegida"

17:10 Minuten
Zwei Demonstranten bei einer "Hygienedemo"protestieren auf dem Brunnen der Völkerfreundschaft auf dem Alexanderplatz in Berlin. Einer hält ein Schild: "Gate's noch?", ein anderer schwingt die Deutschlandfahne, 9. Mai 2020.
Demonstranten bei einer "Hygienedemo" in Berlin: Simone Rafael kritisiert, dass in den Medien "jedem Zweiten das Mikro unter die Nase" gehalten werde. © laif/Lutz Jäkel
Moderation: Katja Bigalke und Martin Böttcher  · 16.05.2020
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Auf vielen Demonstrationen, die sich gegen Corona-Maßnahmen wenden, werden auch antisemitische und demokratiefeindliche Inhalte verbreitet. Simone Rafael von der Amadeu Antonio Stiftung fehlt die kritische Einordnung dieser Ereignisse in vielen Medien.
Gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie demonstrieren immer mehr Menschen in Deutschland, darunter vor allem auch Rechtsextreme, Linksextreme, Verschwörungstheoretiker und Esoteriker. Bundesweit wurde über diese Proteste ausführlich berichtet. Auf der Medienplattform "Belltower News" hat die Publizistin und Kunsthistorikerin Simone Rafael, die für die Amadeu Antonio Stiftung arbeitet, diese Berichterstattung als ebenso "verständlich wie problematisch" kritisiert.

Demokratiefeindliche Botschaften werden verstärkt

Seit langem beschäftige sie sich mit Rechtsextremismus und so fühle sie sich gerade an die Entstehungszeit von Pegida 2014 erinnert: "Wir haben es mit sehr vielen Journalisten zu tun, die erst mal die Kamera draufhalten und irgendwie abbilden wollen, was dort passiert." Die Geschehnisse würden von diesen Medienvertretern aber nicht richtig eingeordnet. Damit würden die demokratiefeindlichen Botschaften, die auf den Demonstrationen verbreitet werden, verstärkt, sagt Simone Rafael. Daher würde sie sich von den Journalisten und Journalistinnen eine größere Einordnung dieser Ereignisse wünschen.
Wenn diese Einordnung zunächst schwerfalle, solle man konkret beschreiben, was vor Ort passiere, rät Simone Rafael. Es gebe auch zahlreiche Experten und Expertinnen, die über Fachwissen verfügen und diese Ereignisse bewerten können. Sie würden erklären, dass das Tragen eines Judensterns auf solchen Demonstrationen "keine etwas verquere PR-Masche" sei, sondern "Holocaust-Relativierung ist", sagt Simone Rafael.
Eine Berichterstattung solle stattfinden, weil es eine gesellschaftliche Entwicklung sei, "mit der wir uns auseinandersetzen müssen". Simone Rafael wünscht sich aber eine analytische Herangehensweise und dass "nicht jedem Zweiten das Mikro unter die Nase" gehalten werde. Man solle auch auf Schilder und Reden achten. Werden auf den Demonstrationen antisemitische und rassistische Erzählungen und Klischees bedient oder werde zu Gewalt gegen Staat oder Politiker und Politikerinnen aufgerufen?

Gewalt ist für Rechtsextreme ein probates Mittel

Am Rande mehrerer Demonstrationen wurden in den vergangenen Wochen Journalisten, Polizisten und auch Ärzte bedroht und gewalttätig angegriffen. Für Simone Rafael ist das keine Überraschung. Rechtsextreme würden Gewalt schon lange als "Problemlösungsmittel" betrachten. Die Angriffe hätten aber eine neue Qualität. So kämen die Täter nicht nur aus der rechtsextremen Szene, sondern es seien Menschen, "die jetzt gerade radikalisiert werden und die einen großen Handlungsdruck empfinden".

Die Situation sei gerade besonders, weil die Gesellschaft mit noch mehr Unsicherheiten leben müsse als in normalen Zeiten in Deutschland. Und jeder Mensch gehe mit dieser Situation unterschiedlich um. Menschen hätten auf der einen Seite "das legitime Bedürfnis", Regierungshandeln auf Demonstrationen zu kritisieren. Auf der anderen Seite gebe es "demokratiefeindliche Kräfte", die während der Proteste versuchen würden, neue Kontakte zu knüpfen: "Als Gesellschaft haben wir viel zu tun, um das wieder aufzufangen."

Es sind Verschwörungsmythen, nicht "Therorien"

Simone Rafael plädiert dafür, nicht mehr von Verschwörungstheorien, die alle einen Schuldigen benennen würden, sondern von Verschwörungsmythen oder Verschwörungserzählungen zu sprechen. Eine Theorie könne auch wiederlegt werden, sagt die Publizistin. Bei ideologischen Weltbildern und Verschwörungserzählungen sei das nicht der Fall. Auch wenn Menschen bereits in ein "wahnhaftes Weltbild abgeglitten sind", komme man mit Fakten dagegen nicht mehr an, so Simone Rafael.
Um Menschen, die Verschwörungserzählungen glauben, überhaupt noch zu erreichen, sei eine persönliche Ebene relevant, sagt Simone Rafael. "Nur eine Person, die dem Menschen, der Verschwörungserzählungen anhängt, wichtig ist, wird noch eine Chance haben durchzudringen." Man könne aber auch jederzeit sagen: "Deine demokratiefeindlichen, antisemitischen und rassistischen Theorien teile ich nicht."

(jde)
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