Simone Perotti: "Atlas der Mittelmeer-Inseln"

Geschichten von Sehnsucht und Weite

Cover von Simone Perottis Buch "Atlas der Mittelmeerinseln". Im Hintergrund ist die Küste von Malta zu sehen.
© Wagenbach / Unsplash / Keith Camilleri
Von Günther Wessel  · 04.01.2019
Simone Perotti mixt in seinem "Atlas" die Geschichten seiner Reisen mit der aktuellen Politik, Mythen, kleinen Kulturverweisen, Geographie und geschichtlichen Abhandlungen. Dabei entsteht ein einzigartiges, umfassendes Panorama des Mittelmeerraumes.
Simone Perotti ist Schriftsteller und leidenschaftlicher Segler. Seit knapp fünf Jahren durchsegelt er das Mittelmeer, und sucht dabei die verbindenden Elemente zwischen den Kulturen der Anrainerländer. Zugleich weiß er von der Unverwechselbarkeit des Mittelmeeres zu berichten, die es trotz aller Globalisierung gibt. Anhand von 42 Inseln stellt er genau das in seinem neuen Buch vor.
Es sind 42 von mehr als 4300 Inseln, und Simone Perottis Auswahl ist streng subjektiv, die man hier kennen lernt, darunter so winzige Eilande wie das nur zehn Fußballfelder große spanische Alborán aber auch bekannte wie Lampedusa oder Montecristo, wobei Alexandre Dumas Romanheld ja nicht dort, sondern auf der ebenfalls im Buch vorgestellten Insel If vor Marseille inhaftiert war. Drei der vorgestellten Inseln liegen bei genauer Betrachtung auch nicht mehr im Mittelmeer, sondern im angrenzenden Marmarameer und im Schwarzen Meer – doch Perotti betrachtet das Mittelmeer mehr als kulturelle denn als rein geographische Größe.

Keine Karten, die sich zur Navigation eignen

Allen Inseln ist eines gemeinsam: Sie haben den Autor berührt, eine Sehnsucht in ihm ausgelöst, der er folgte oder die ihn mit ihrer Historie, ihren Mythen oder nur einer Ansicht inspirieren. Und zwar zu Miniaturen, die das Typische der jeweiligen Insel erfassen. Eher poetisch als wissenschaftlich, und so trägt das Buch seinen Titel "Atlas" vielleicht zu Unrecht: Zumal die schön gezeichneten Karten zwar von großer Genauigkeit sind, aber keine Seekarten, die sich zur Navigation eignen, und die Texte immer wieder mit der Realität spielen. Mal sind es so wahre und dann wieder auch fiktive Geschichten, die der Italiener erzählt.
Perotti schreibt über Piraten, seine heimlichen Helden, bei der Insel Djerba und der Insel Palamaria im Golf von La Spezia, er schreibt über Verbannte und Inhaftierte. So verfasst er bei der Insel Agios Efstratios einen fiktiven Dialog zwischen dem Dichter Jannis Ritsos und dem Komponisten Mikis Theodorakis, die beide dort während der griechischen Militärdiktatur eingekerkert waren.

Kleine Geschichten aus vergessenen Zeiten

Auf Ithaka denkt der Autor darüber nach, ob Odysseus seine Heimatinsel wirklich wiedersehen wollte. Der Weg dorthin sei leicht zu segeln, vielleicht sei der Held von Troja vielmehr seiner Sehnsucht gefolgt, sich auf dem Meer zu verlieren. Er kramt vergessene Geschichten wieder aus - die der Insel Tavolara, die vor Sardinien liegt und im 19. Jahrhundert für einige Zeit ein unabhängiges Königreich war oder erinnert an aktuelle Politik: Auf Lampedusa, Mezzu Mare oder Agothonisi sind vergangenes und aktuelles Flüchtlingsleid spürbar.
So mischen sich in dem teuren, aber vom Verlag liebevoll ausgestatteten Buch aktuelle Politik und Mythen, Kultur, Geographie und Geschichte mit hoher Erzählkunst zu einem einzigartigen, weit umfassenden Panorama des Mittelmeerraumes. Einem, das die Sehnsucht weckt: die Weite zu erkunden.

Simone Perotti, Atlas der Mittelmeer-Inseln
Aus dem Italienischen von Julika Brandestini. Mit 42 Seekarten von Marco Zung
Wagenbach Verlag, Berlin 2018
144 Seiten, 34,90 Euro

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