Dienstag, 19. März 2024

EU-Kommissionspräsident
"Nicht denen nachlaufen, die Europa zerstören wollen"

Wird Jean-Claude Juncker EU-Kommissionspräsident? Niemand bestreite ihm dieses Recht, sagte Hannes Swoboda im DLF. Europagegnern müsse man "die Grenzen aufzeigen", sagte der bisherige Chef der Sozialdemokraten im Europaparlament.

Hannes Swoboda im Gespräch mit Peter Kapern | 27.05.2014
    Hannes Swoboda Hannes Swoboda: Vorsitzender der Fraktion der Sozialisten und Sozialdemokraten im Europaparlament.
    Hannes Swoboda: Vorsitzender der Fraktion der Sozialisten und Sozialdemokraten im Europaparlament. (dpa/picture alliance/epa/Patrick Seeger)
    Man müsse nicht "denen nachlaufen, die Europa zerstören wollen", sagte der österreichische Europapolitiker Hannes Swoboda im Deutschlandfunk. Dies gelte auch für David Cameron und Viktor Orban. Die Staatschefs Großbritanniens und Ungarns lehnen Juncker als Kommissionspräsident der Europäischen Union ab.
    "Wir erkennen das Recht von Herrn Juncker an, die Verhandlungen zu führen", betont Swoboda. Die Sozialdemokraten und die Konservativen müssten im Europaparlament zusammenarbeiten und "eine gemeinsame Lösung" finden, dabei aber auch andere Parteien einbeziehen.
    Mit Blick auf das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs heute Abend sagte der SPÖ-Politiker, es gehe "nicht um Kungeln, sondern um inhaltliche Vorstellungen" und darum, "die verschiedenen Interessen der EU auf einen Nenner bringen". So werde man auch versuchen, "Herrn Cameron entgegenzukommen".

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: "Das wird die Mutter aller Basare." Mit diesen Worten zitierte die "Süddeutsche Zeitung" gestern einen EU-Insider. Der hatte dabei die Besetzung der bald vakanten Spitzenposten in der EU im Blick. Jean-Claude Juncker von der EVP ist bei den Europawahlen deutlich vor den Sozialdemokraten von Martin Schulz gelandet. Der fordert nun ein Gesprächsangebot von den Konservativen ein. Das allein aber wird nicht reichen, denn schließlich haben die Staats- und Regierungschefs das Vorschlagsrecht, und in deren Runde ist die Ausgangslage nicht weniger kompliziert als im Straßburger Parlament. Heute gibt es ein Gipfeltreffen in Brüssel, und das ist dann wohl der Auftakt zur Mutter aller Basare. In Brüssel am Telefon ist jetzt Hannes Swoboda, der bisherige Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament. Guten Morgen!
    Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Swoboda, ich habe hier in dieser Sendung vor 20 Minuten mit Elmar Brok von der CDU telefoniert. Den kennen Sie ganz bestimmt. Und was der den Sozialdemokraten für die Suche nach dem neuen Kommissionschef mit auf den Weg gegeben hat in dem Gespräch, das können wir uns mal kurz anhören:
    O-Ton Elmar Brok: "Die Sozialdemokraten sollten sich daran halten, zu bestätigen, dass Jean-Claude Juncker der Gewinner ist, und sie sollten die Möglichkeit eröffnen, dass er zum Kommissionspräsidenten gewählt wird. Dabei ist uns natürlich völlig klar, da ja die Frage des europäischen Außenministers, wenn ich den Begriff so benutzen darf, oder des Vorsitzenden des Europäischen Rates auch letztlich natürlich mit verhandelt sein müssen, denn es ist völlig klar, dass die Sozialdemokraten auch eine Position bekommen müssen."
    Kapern: Ja, Herr Swoboda, so also Elmar Brok vor 20 Minuten hier im Deutschlandfunk. – Ist damit in der Tat alles klar, Jean-Claude Juncker wird Kommissionspräsident und Martin Schulz kriegt auch einen Posten?
    Swoboda: Zuerst geht es einmal nicht um Posten, sondern es geht um Inhalte. Aber was ich, was die Positionen betrifft, sagen kann: Selbstverständlich erkennen wir das Recht des Herrn Juncker an, die Verhandlungen zu führen. Er ist der Vertreter der größten Fraktion. Die Fraktion hat zwar etwa 20 Prozent der Stimmen und Mandate verloren, aber sie ist nach wie vor die größte Fraktion im Europäischen Parlament, und daher hat er das Vorrecht. Er muss Vorschläge machen wie auch bei Koalitionsverhandlungen auf der nationalen Ebene, ohne dass ich jetzt von einer direkten Koalition spreche, an die Sozialdemokraten, was Inhalte betrifft, denn wir wollen ja eine andere Politik haben. Die Wählerinnen und Wähler wollten ja auch eine andere Politik, wie man am Ergebnis sieht, und darüber muss man jetzt reden.
    Kapern: Wir haben von Martin Schulz bisher noch nicht den Satz gehört: "Ich werde nicht Kommissionschef werden." Warum eigentlich nicht nach diesem klaren Wahlergebnis?
    Swoboda: Ja wenn Herr Juncker scheidet, oder wenn Herr Juncker das macht, was er eigentlich immer wieder hinter vorgehaltener Hand gesagt hat, ich würde viel lieber Präsident des Europäischen Rates werden, dann gäbe es noch eine andere Möglichkeit. Aber wie gesagt, nochmals: Das Recht von Herrn Juncker, Kommissionspräsident zu werden, wird von niemandem bestritten.
    "Ich weigere mich gegen eine Große Koalition"
    Kapern: Eine andere Möglichkeit würde aber auch andere Mehrheiten im Europaparlament voraussetzen. Wo könnten die Sozialdemokraten sich die besorgen?
    Swoboda: Nein, nein! Schauen Sie, da sind wir ganz realistisch. Die beiden großen Fraktionen müssen zusammenarbeiten. Das schließt nicht aus. Und wir wollen auch, dass andere Fraktionen natürlich mit ihren Ideen, mit ihren Vorschlägen kommen. Aber ohne die beiden großen Fraktionen geht das nicht. Selbst wenn wir irgendwo eine knappe Mehrheit einmal bekommen würden, das nächste Mal wird die wieder anders sein. Die beiden Fraktionen werden gemeinsam eine Lösung finden, da bin ich ganz überzeugt.
    Kapern: Das heißt, das Europaparlament ist möglicherweise auch durch den Aufstieg der Rechtspopulisten zur GroKo, wie das hier in Deutschland heißt, zur Großen Koalition verdammt?
    Swoboda: Ich weigere mich immer gegen eine Große Koalition. Warum? Es gibt Liberale, es gibt Grüne, es gibt andere Kräfte, es gibt Unabhängige, und was wir brauchen ist eine breite Basis. Es kann nicht sein, dass jetzt nach der Wahl die beiden großen Fraktionen, die aber kleiner geworden sind, vor allem was die Europäische Volkspartei betrifft, einfach sich zusammenschließen und eine sehr enge Koalition miteinander bilden. Das halte ich nicht für sinnvoll. Wir müssen den Wählerinnen und Wählern zeigen. Wir wollen gemeinsam Veränderungen haben, dazu stehen wir natürlich auch bereit in den Diskussionen mit den anderen Fraktionen, selbst wenn das Hauptgewicht natürlich die beiden Fraktionen Europäische Volkspartei und Sozialdemokratie sind, auch auf der nationalen Ebene, in den nationalen Regierungen. Also keine Koalition, aber eine gute Zusammenarbeit der großen Fraktionen, die die Führungskraft im Europäischen Parlament und auf europäischer Ebene sein müssen, allerdings mit klaren Signalen, dass wir gegen die Arbeitslosigkeit mehr machen müssen, mehr für Wachstum machen müssen, dass wir mehr auch für die Kommunikation, für das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern machen müssen.
    Kapern: Herr Swoboda, wenn ich ganz ehrlich sein darf: So recht habe ich das jetzt noch nicht verstanden. Sie wollen keine Große Koalition, sehen aber den Zwang zu einer Großen Koalition, halten gleichzeitig die Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen, Grünen, Linken, Liberalen, Fraktionslosen für möglich? So ganz durchschauen kann ich das noch nicht.
    Swoboda: Aber das war ja jetzt auch so. Wir dürfen nicht das Europäische Parlament und das europäische System mit dem nationalen System vergleichen. Wir haben im Europäischen Parlament auch immer wechselnde Mehrheiten gehabt. Wir haben im Europäischen Parlament auch Situationen, auch in der Vergangenheit, wo wir von der linken Seite mit einem Teil der Europäischen Volkspartei Dinge beschlossen haben. Wir haben ja nicht dieses Modell Opposition und Regierung wie auf der nationalen Ebene, sondern wir haben eine breitere Basis. Aber dennoch war es auch bisher so: Wenn es um große Gesetzgebung gegangen ist, haben wir zumindest versucht, dass die beiden großen Fraktionen zusammenarbeiten. Aber die Mehrheitsbildung im Europäischen Parlament ist eine viel flexiblere und nicht eine in dem strengen Sinn wie zum Beispiel im Deutschen Bundestag, wo die Fraktionen mit wenigen Ausnahmen immer dem folgen, was die Regierungen sagen.
    Kapern: Ist das ein Vorteil? Denn es sieht ja jetzt so aus, als würde es noch sehr lange dauern, bis man da klare Verhältnisse hat.
    Swoboda: Schauen Sie, ich glaube, dass die beiden großen Fraktionen verantwortungsbewusst sind, um bald zu Lösungen und Vorschlägen zu kommen. Aber dies werden natürlich Vorschläge sein, die hoffentlich auch zumindest in Teilen auf Zustimmung anderer Fraktionen folgen. Das eine ist, jetzt eine rasche Lösung zu finden. Die Wahl des Kommissionspräsidenten ist ja angesetzt für Juli. Dann muss der Kommissionspräsident mit den Regierungen Vorschläge für die Kommissare machen. Darüber wird es hier im September und Oktober gehen. Die neue Kommission beginnt ja ohnedies erst zu arbeiten etwa im Oktober, und dann müssen die Gesetzesvorschläge kommen und die müssen natürlich mit allen Fraktionen auch entsprechend verhandelt und diskutiert werden. Das ist eine offene Diskussion, und da kommen immer wieder auch neue Ideen. Das Europäische Parlament hat ja schon in der Vergangenheit diesen Vorteil gezeigt, dass wir nicht einfach nur sagen, was die Opposition bringt, das lehnen wir ab, und was von der Kommission kommt, ist gut, sondern dass wir diese offene Diskussion haben, und das müssen wir auch entsprechend fördern.
    "Merkel muss den Mut haben, einmal klare Worte zu sprechen"
    Kapern: Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, die hat gestern gesagt, wir brauchen ein europäisches Personalpaket. Ist das ein Euphemismus für, wir werden im Hinterzimmer kungeln wie eh und je?
    Swoboda: Ich will jetzt nicht die Kanzlerin interpretieren. Sie würde das natürlich gerne so machen. Aber es geht nicht um das Kungeln, sondern es geht, wie gesagt, jetzt um inhaltliche Vorstellungen. Aber natürlich: Die Europäische Union ist eine sehr heterogene Gemeinschaft. Darum wird man auch versuchen, Herrn Cameron so weit entgegenzukommen, soweit es auch mit den Grundsätzen der europäischen Politik vereinbar ist. Das heißt, auf die Position eines Ratsvorsitzenden oder Hoher Beauftragter für die Außenpolitik können natürlich Leute kommen, die auch die Interessen Großbritanniens vertreten, soweit sie vereinbar sind. Das gehört dazu. Ich will da nicht von Kungeln reden, sondern würde davon reden, dass das Gleichgewicht, die verschiedenen Interessen der Europäischen Union auf einen Nenner gebracht werden sollten, soweit Herr Cameron überhaupt noch interessiert ist an einem gemeinsamen Europa.
    Kapern: David Cameron – das wollen wir aber auch festhalten – will Jean-Claude Juncker nicht als Kommissionschef. Viktor Orban will ihn auch nicht, das hat er schon gesagt. Würden Sie eine Monatsdiät, Herr Swoboda, darauf wetten, dass tatsächlich Jean-Claude Juncker eine Chance hat, Kommissionspräsident zu werden, oder taucht da plötzlich ein Name auf, von dem nun noch niemand etwas ahnt?
    Swoboda: Ja wenn wir nur auf Herrn Cameron oder Herrn Orban gehen, dann könnte jemand vorgeschlagen werden, der keine Mehrheit im Europäischen Parlament findet. Daher gehe ich davon aus, Jean-Claude Juncker wird die Sache machen. Es ist eine qualifizierte Mehrheit im Rat vorgesehen. Dann muss auch Frau Merkel und andere auch den Mut haben, einmal klare Worte zu sprechen und den Leuten, die Herrn Juncker ablehnen, weil er zu europäisch ist, sagen, es geht um Europa. Wir sind in einem gemeinsamen Europa. Wenn sie das nicht wollen, dann müssen sie sich ein Bündnis mit Russland oder ich weiß nicht mit wem suchen. Man muss auch diesen Leuten die Grenzen zeigen und nicht denen eigentlich noch nachlaufen, die ohnedies Europa zerstören wollen. Wir haben in Frankreich gesehen, dem Fron National nachzulaufen bringt nichts. Man muss ihnen ein klares Gegenkonzept entgegenhalten, und so gilt das auch für die Leute wie Cameron und Orban.
    Kapern: Ganz kurz noch zum Schluss, Herr Swoboda. Wenn heute Abend das Gipfeltreffen in Brüssel zu Ende geht, werden wir dann feststellen, dass das Europaparlament mit seiner Festlegung auf Spitzenkandidaten ziemlich präpotent gehandelt hat?
    Swoboda: Wir haben nicht präpotent gehandelt, wir haben demokratisch gehandelt. Dennoch: Ich bin dafür, dass es in Zukunft auch eine Direktwahl geben soll. Ich glaube, der Bürger und die Bürgerin, die sollen mit entscheiden können, wer an der Spitze der Kommission steht. Der Rat, das heißt die Regierungschefs haben genug andere Möglichkeiten, durch die Nominierung der Kommissare etc. mitzureden. Aber es kann nicht sein, dass der Bürger und die Bürgerin doch wirklich sehr positiv reagiert hat auf diese Nominierung, und die Regierungschefs sagen, was interessieren mich die Bürger und die Wählerinnen und Wähler, ich mach was ich will. Das wäre wirklich eine Ohrfeige für die Demokratie – und letztendlich in das Gesicht der Bürgerinnen und Bürger.
    Kapern: Hannes Swoboda war das, der bisherige Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament. Herr Swoboda, danke, dass Sie Zeit für uns hatten heute Früh, und einen schönen Tag nach Brüssel!
    Swoboda: Bitte! Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.