Silke Lambeck: "Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich"

Das viel zu brave Leben als Fünftklässler

Cover von Silke Lambecks Kinderbuch "Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich"
Silke Lambecks neues Buch "Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich" greift Themen wie Gentrifizierung auf. © Gerstenberg Verlag / dpa / Jens Büttner
Von Regina Voss · 22.06.2018
Mit ihrem neuen Großstadtroman "Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich" taucht Kinderbuchautorin Silke Lambeck in den Alltag zweier Fünftklässler ein, die in ihrer Freizeit zwischen Kinder-Yoga und "Kochen für Kids" nach Abenteuern suchen.
"Ich muss euch verraten, es ist etwas echt Besonderes. Ihr seid die Allerersten, denen ich daraus vorlese", sagt Kinderbuchautorin Silke Lambeck zu Beginn ihrer Lesung in einer Berliner Schulklasse.
"Otto und Matti leben mitten in Berlin, und zwar da, wo die Wohnungen teurer werden und die Läden edler werden. Und müssen einen Gangster-Rap schreiben." Als Hausaufgabe, in Musik. Doch als die Lehrerin den Kindern "Bruda Berlin" auf Youtube zeigt, der in einem Musikvideo mal an einen schwarzen BMW gelehnt, mal lässig mit Goldkette behängt durch die Straßen von Berlin ziehend rappt, quälen Otto Zweifel.
"Nur mit dem Gangster-Rap, das wird schwierig, sagte er. Wieso, fragte ich. Er sah mich an, vollkommen ruhig und vollkommen ernsthaft. Wir sind viel zu brav, sagte er." – "Seid ihr auch so brav? Seid ihr brave Kinder?" Da ist sie raus, die bittere Wahrheit: Otto und Matti sind absolut harmlos.

"Es gibt nicht mehr so viel Verbotenes"

"Es ist schon so, dass die Kinder, glaube ich, wenn sie so behütet aufwachsen, das Gefühl haben, ihnen fehlt so bisschen die Reibungsfläche oder sie dürfen so viel und es gibt auch gar nicht mehr so viel Verbotenes", sagt Lambeck. "Und sie wollen vielleicht auch Dinge tun, die ihre Eltern nicht mitkriegen und nicht wissen sollen. Und ich glaube daher kommt diese Sehnsucht, die Otto auch formuliert: Die Sehnsucht nach dem wilden Leben."
Otto geht nachmittags zum Yoga, Matti spielt Klavier. An den anderen Tagen gibt es dann noch "Kochen für Kids" und Fechten, erzählt Silke Lambeck. Und was ist mit den Eltern? – "Es ist ein Geheimnis, das Otto, seine Geschwister und ich teilen und absolut geheim halten, und zwar, dass Ottos Mutter einen Mama-Blog schreibt."
"Wisst ihr, was ein Mama-Blog ist?", fragt Lambeck in die Klasse. "Da schreiben die Mütter immer rein, ob die Kinder brav sind", antwortet eines der Kinder. "Da schreiben die Mütter meist über ihre Kinder", sagt Lambeck. "Und was denkt ihr, wie die Kinder das finden?" – "Blöd."
"Otto und noch die anderen drei Geschwister haben halt Angst, dass jemand herausfindet, dass die das sind, dass dann alle die damit ärgern, was die Mama über die schreibt, und was die so machen und was die Privates so machen."

Die Angst vor Klischees

"So, Otto und Matti habt ihr jetzt schon ein wenig kennengelernt", sagt Lambeck und blättert im Buch weiter. "Und jetzt überlegen sie sich, wie sie etwas weniger brav sein können, damit sie quasi in die richtige Stimmung für den Gangster-Rap kommen." Die Kinder nehmen Horst Zimmermann, genannt Hotte, ins Visier: Der Kinderfeind und letzte Ureinwohner im Kiez soll ihr Opfer werden.
"Horst Zimmermann gehört der letzte normale Laden in unserer Straße: Er heißt zur Ecke und ist ein Kiosk mit angeschlossenem Späti, in dem es nicht etwa Buddha-Rollen oder Rhabarberschorle gibt, sondern Riesengummibären, Eis am Stiel, Bier und abgepackte Salamis."
Natürlich taucht bei diesem Setting die Frage auf: Keine Angst vor Klischees? – "Aber so was von", sagt Silke Lambeck. "Ich habe wirklich auch Bedenken gehabt, dass ich falsch verstanden werde und das Dinge, die ich eigentlich ironisch meine, dann ernst genommen werden. Auf der Seite muss man sagen, manche Klischees sind eben auch deswegen so haltbar, weil sie sich auch in der Realität auch spiegeln."

Ein Gentrifizierungs-Roman für Kinder?

Und so beschreibt der temporeiche Großstadtroman, wie Horst Zimmermann von fiesen Schlägertypen im Auftrag eines Immobilienspekulanten aus seinem Laden vertrieben werden soll. Otto und Matti werden Zeugen und ändern ihre Strategie: Sie wollen Hotte helfen.
"Ich bin Berlinerin und ich kenne natürlich diese Viertel und bewege mich da auch. Zu sehen, wie bestimmte Viertel immer monothematischer und monothematischer werden, das beschäftigt mich schon. Und das eben Viertel sind, in denen manche Leute nicht mehr wohnen können und keinen Platz mehr finden."
Ist "Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich" ein Gentrifizierungs-Roman für Kinder - mit allen Begleiterscheinungen, die die aufgeräumten Wohnviertel so mit sich bringen: Yoga und Rhabarberschorle für alle, bloggende Mütter und abwesende oder überengagierte Väter?

Von Mitte nach Berlin-Neukölln

Die Autorin ist schonungslos, aber sie haut nicht drauf. Und aus dem Mund des Ich-Erzählers Matti klingt das ohnehin wundervoll absurd – "weil das Kinder ja auch erleben". Souverän führt Silke Lambeck in einem spannenden Höhepunkt die Gegensätze einer Großstadt zusammen: Aus der Komfortzone Mitte geht es für Otto und Matti ab nach Berlin-Neukölln. Die zwei Freunde sind auf der Suche nach Mahmoud Al Jabiri alias Bruda Berlin. Der soll ihnen helfen, die Schlägertypen eindrucksvoll und damit für immer aus Hottes Laden zu vertreiben.
Doch als Bruda Berlin im blütenweißen Hemd dann vor ihnen steht, bemerken Otto und Matti, dass ihre Vorstellungen vom wilden Leben wenig der Wahrheit entsprechen.
"Ich habe zwei Söhne, die sind siebzehn und neunzehn. Und die sind in der Tat von diesem inszenierten Tabubruch sehr angetan, die gegelten Haare, die Muskeln, die Goldketten, die schwarzen Autos, also alles Dinge, mit denen sie in ihrer Welt gar nicht so viel zu tun haben."

Silke Lambeck: "Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich"
Mit Bildern von Barbara Jung, ab acht Jahren
Gerstenberg Verlag
184 Seiten, 12,95 Euro

Mehr zum Thema