Sikhs, Sufis und Schiiten

Der Turban und seine Bedeutung

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Zu sehen sind sechs Männer in der Rückenansicht in einem Park, die alle einen Turban in unterschiedlichen bunten Farben tragen
Für die Sikhs ist der Turban Identitätsmerkmal - die Farbe darf sich jeder selbst aussuchen. © EyeEm / Sakura Kawabe
Von Antje Stiebitz · 02.06.2019
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Die indischen Sikhs werden öfter wegen ihrer Turbane angefeindet. Gegner halten sie für Islamisten. Iranische Schiiten tragen ebenso Turbane wie Sufis des Naqshbandi-Ordens. Die symbolische Bedeutung hinter der Kopfbedeckung unterscheidet sich aber.
Berlin, Potsdamer Platz. Mit einem Gebet eröffnet die Berliner Sikh-Gemeinde den Turban-Tag. Kurz darauf drängt sich auch schon eine Menschentraube um ihren Stand. Dort liegen ordentlich sortierte Stoffballen – in blau, orange, hellblau oder violett.
"Wir freuen uns sehr, dass Sie heute gekommen sind, um uns besser kennenzulernen und am Turban-Tag mitzumachen."
Heute, so die ehemalige Software-Ingenieurin Ranjit Kaur, möchte die Sikh-Gemeinschaft allen Interessierten zeigen, wie ein Turban gewickelt wird und erklären, warum die männlichen Sikhs diese Kopfbedeckung tragen. Denn:
"Es kommt schon manchmal zu solchen Vorfällen, wo die Sikhs wegen dem Turban oder wegen dem Vollbart beleidigt worden sind oder angepöbelt worden sind."

Turban-Kenntnis gegen Vorurteile

Seit dem Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 werden Sikhs immer wieder als Islamisten eingeordnet. Deshalb organisieren die Sikhs weltweit seit 2004 den Turban Awareness Day. Die Sikh-Religion entstand im 15. Jahrhundert in Indien und wird oft als eine Mischform aus Hinduismus und Islam bezeichnet. Weltweit gibt es rund 25 Millionen Sikhs, die meisten von ihnen leben in Indien. In Deutschland zählt ihre Gemeinde 18.000 Mitglieder, in Berlin 1500.
"So, dann machen wir das mal runter. Loslassen! Und zuletzt holt man das sozusagen unten raus und wickelt ihn dann über den Kopf. Vorsicht, ganz kurz! Damit ich Ihre Haare nicht sehe."
Prit Singh zupft den Baumwollstoff sorgfältig auf dem Kopf der frischgebackenen Turban-Trägerin in Form. Auf dem eigenen Kopf falle ihm das Wickeln leichter, erklärt er. Doch das Resultat findet Beifall:
"Es fühlt sich gut an. Und ich werde immerzu angesehen, das kenne ich gar nicht!"

Für Sikhs: Buntes Identitätsmerkmal und Widerstandssymbol

Die sieben Meter Baumwollstoff – bei dem jeder die Farbe frei wählen darf – sind eng mit der Sikh-Identität verknüpft. Der Naturwissenschaftler Harbhajan Singh, der seit 1978 in Deutschland lebt, erklärt wie es dazu kam:
"16., 17. Jahrhundert, das war eine sehr schwierige Zeit in Indien. Damals war Indien von Moghul-Herrschern beherrscht und die wollten die Leute zum Islam konvertieren. Mit Gewalt oder durch neue Gesetze. Sie durften keine Pferde reiten, sie durften keine Turbane tragen und so weiter und so fort."
Auch die damals noch vergleichsweise junge Religionsgemeinschaft der Sikhs litt unter Repressalien und Folter. Deshalb gründete der 10. Guru der Sikhs im Jahr 1699 eine Bruderschaft, die Religiosität, Askese und Kampfbereitschaft miteinander verband. Die kleine Gemeinschaft ignorierte das ihnen in jener Zeit auferlegte Turban-Verbot und der Turban entwickelte sich zu einem Identitätsmerkmal der Sikhs.
"Und Turban dann so, dass die Sikhs anerkannt werden. Erstmal Gleichberechtigung, dass wie die Herrscher oder hochgestellte, reiche Leute Turban tragen können, so können auch solche ganz armen Leute, die dürfen auch Turbane tragen."

Für Muslime: Zeichen religiöser Autorität

Auf dem Weg zur Islamkonferenz kommt Djavad Mohagheghi am Berliner Hauptbahnhof an. Der gelernte Maschinenbauer engagiert sich für den Dachverband der schiitischen Gemeinden und für den interreligiösen Dialog. Der Turban, erklärt Djavad Mohagheghi, sei kein geschütztes Kleidungsstück:
"Ich könnte rein theoretisch auch einen Turban tragen. Aber die Eingeweihten würden mich dann schon ein bisschen belächeln, was ich mir denn da hier jetzt einfache erlaube. Im aktuellen Verständnis der muslimischen Community ist es so, dass Turbane oder ähnliche Kopfbedeckungen von Geistlichen getragen werden."

Beim Wickeln hilft die Türklinke

Der Turban im Iran bestehe meist aus einem feinen dünnen Baumwollstoff, der einen Meter breit ist und zwischen sieben und zwölf Metern lang:
"Mein Vater war selbst Geistlicher und er hat den weißen Turban getragen. Wenn er alleine war, musste er das eine Ende des Tuches zum Beispiel an der Türklinke befestigen, dann entsprechend weit im Flur weggehen, das Tuch falten und dann einrollen."
Die schiitischen Geistlichen im Iran tragen vor allem weiße und schwarze Turbane. Weiß steht für einen Geistlichen, der die Schriften kennt. Ein schwarzer Turban bedeutet zusätzlich, dass der Träger seine Abstammung bis auf den Propheten Mohammed zurückverfolgen kann.
Die Ufa-Fabrik, ein Kultur- und Lebensprojekt im Berliner Stadtteil Tempelhof. Im Studio 1 haben sich rund 10 Personen zu einem Sufi-Abend versammelt. Sie sitzen auf Teppichen und Kissen, auf einem Beistelltisch steht ein Bildnis ihres Sheikhs, Esref Efendi, sowie eine Rose. Die Anwesenden wiegen ihren Oberkörper im Rhythmus des Gebetgesangs.

Mohammed ging nie ohne Turban aus dem Haus

Feride Funda Gençaslan gehört seit 1994 dem Sufi-Orden der Naqshbandi an. Die verschiedenen Kopfbedeckungen im Islam seien auch für eine Muslima eine Wissenschaft für sich, lacht sie. Klar sei hingegen, warum es im Islam üblich sei, einen Turban zu tragen:
"Es ist nämlich überliefert vom Propheten Mohammed, Friede auf ihn, dass er einen Turban trug. Er hat nie ohne Kopfbedeckung das Haus verlassen und auch nie ohne Kopfbedeckung gebetet."
Die Kopfbedeckung ist eine Sunna, eine überlieferte Norm. Genauso wie der Prophet eine Kopfbedeckung getragen habe, sollten gläubige Muslime eine tragen. Wer dem Propheten auf diese Weise folgt, folgt dem Wunsch Gottes, erklärt Feride Funde Gençaslan. Und:
"Der Turban wird in traditioneller Form eigentlich Krone genannt."

Symbol der Freiheit vs. religiöse Autorität

Denn Allah habe den Menschen als seinen Stellvertreter, als Krone der Schöpfung erschaffen. Grundsätzlich dürfe jeder Mensch einen Turban tragen, der seine Bestimmung erfüllt und nach den Geboten Allahs lebt. Feride Funda Gençaslan trägt heute zwei Tücher in Rosé auf ihrem Kopf, ein bisschen Turban, ein bisschen Kopftuch. Von den anwesenden Männern trägt heute keiner einen Turban, sondern den Fes, eine kegelförmige Mütze aus Filz mit Quaste. Der lediglich als Fotografie anwesende Sheikh Esref Efendi allerdings trägt einen.
Für die Sufis des Naqshbandi-Ordens und die Geistlichen des Iran symbolisiert der Turban religiöse Autorität und den Glauben an den Propheten Mohammad. Für die Sikhs hingegen steht der Turban für die Freiheit und Gleichberechtigung ihrer Glaubensgemeinschaft.
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