Sigrid Nunez: "Der Freund"

Wohin mit dem alten Hund?

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Das Bild zeigt das Cover von Sigrid Nunez neuem Roman "Der Freund", in dem die Autorin pointierte Seitenhiebe gegen die literarische Szene verteilt.
Pointierte Seitenhiebe gegen die literarische Szene: Sigrid Nunez neuer Roman "Der Freund". © Aufbau Verlag / Deutschlandradio
Von Dorothea Westphal · 05.03.2020
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Im Roman "Der Freund" trauern eine Schriftstellerin und ein Hund um einen Verstorbenen. Das Buch der US-amerikanischen Autorin Sigrid Nunez ist dennoch witzig und auch eine Abrechnung mit dem Literaturbetrieb. Eine unserer Empfehlungen im Monat März.
Eine Frau, die Ich-Erzählerin, trauert um ihren Freund und Mentor, der Selbstmord verübt hat und den sie mit Du anspricht. Die Freundschaft hatte auch deshalb so lange Bestand, weil sie das gleiche Interesse hatten: Literatur. Beide waren Schriftsteller, beide gaben Schreibkurse an der Universität. Nach seinem Tod bittet Ehefrau 3 die Ich-Erzählerin, eigentlich eine Katzenfreundin, dessen Hund, eine riesige Dogge, die ihm zugelaufen war, zu übernehmen.
Und damit beginnen die Schwierigkeiten: Ihre Wohnung in Manhattan ist schlicht zu klein. Außerdem dürfen dort keine Hunde gehalten werden. Und was tun mit einem Hund, der ebenfalls trauert? Wie sie die Probleme meistert, vor allem aber, wie sich beide annähern in ihrer Trauer, wie sie diesen alten Hund ins Herz schließt und auch dieser Vertrauen zu ihr fasst, das ist nicht nur anrührend, sondern auch interessant, weil Nunez viele Reflektionen über Hunde und deren Verhalten mit in die Handlung einwebt.

Mix aus Roman und Essay

Doch das ist nur ein Teil dieser raffiniert strukturierten Mischung aus Memoir, Roman und Essay. Auf kluge und äußerst kritische Weise geht es darum, wie sich das Verhältnis zu Literatur in den letzten Jahrzehnten verändert hat. So erinnere die Tendenz, zunehmend Autor und Hauptfigur in eins zu setzen, beispielsweise an die Debatte im 19. Jahrhundert um Gustave Flaubert, er würde durch seine Figur Madame Bovary Untreue propagieren. Und unter Literaturstudentinnen und - studenten sei im Zeitalter von Social Media und im Zuge von Genderdebatten und Political Correctness ein verkürztes Verständnis von Literatur festzustellen. Viele lehnen es offenbar ab, Meisterwerke wie "Lolita" von Vladimir Nabokov zu lesen, weil sie den Autor mit dessen Werk gleichsetzen. Und sie wollen vor allem Literatur lesen, mit der sie sich identifizieren können.

Autoren sind wie Vampire - na und?

Das Buch ist auch eine Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, in dem es zunehmend um Selbstvermarktung und Narzissmus statt um Berufung gehe. Und es fasziniert gerade im Zuge der Handke-Debatte und der alten Frage nach Literatur und Moral. Dürfen wir Werke von Menschen mögen, die alles andere als moralisch sauber waren? Ohne diese Frage zu beantworten, schlägt die Ich-Erzählerin all denen, die nicht verstehen, dass Werk und Autor nicht auf diese platte Weise vermengt werden können, ein wunderbares Schnippchen. Wie Vampire seien Autoren, heißt es an einer Stelle. Und wenn schon. Was zu Literatur werden darf, entscheidet immer noch die Autorin und die Freiheiten, die sie sich dabei zugesteht, enden in gleich zwei gänzlich überraschenden Volten.
Obwohl Nunez von Trauer und Verlust erzählt, ist der Ton nie sentimental, dafür präzise, bisweilen auch witzig und voller Ironie. Wer eigentlich mit dem Freund gemeint ist, bleibt in dem grandiosen Spiel, das die Autorin hier treibt, doppeldeutig. Wird doch die Dogge am Ende zum Gegenüber, obwohl es sie, streng genommen, gar nicht geben dürfte. Eine Hommage an die Macht der Fantasie und der Literatur - und daran, dass sich manche Dinge nicht erklären lassen.

Sigrid Nunez: "Der Freund"
Übersetzt von Anette Grube
Aufbau Verlag Berlin
233 Seiten, 20 Euro

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