Roman

Chinesisch-kanadische Familiensaga

Ein Dreh-und-Angelpunkt der Geschichte: die so genannten Diaolou-Wohntürme
Ein Dreh-und-Angelpunkt der Geschichte: die so genannten Diaolou-Wohntürme © picture alliance / dpa
Von Katharina Borchardt · 27.05.2014
Mit "Der Traum vom Goldenen Berg" hat Zhang Ling einen opulenten Roman über die Geschichte der chinesischen Emigration nach Kanada vorgelegt. Der Roman ist gut recherchiert und spannend erzählt, aber doch etwas zu üppig.
Ein knappes Kilo bringt Zhang Lings neuer Roman "Der Traum vom Goldenen Berg" auf die Waage. Auch inhaltlich ist das fast 700 Seiten starke Werk ein Schwergewicht. Es erzählt eine üppigst ausschweifende, vier Generationen umfassende und sich über zwei Kontinente erstreckende Familiengeschichte.
Der Roman setzt im Jahr 1872 in Südchina ein. Hier wohnt die nach zwei schrecklichen Dürren bitterarme Familie Fong. Sohn Tak Fat entschließt sich daher, wie viele andere verarmte Chinesen auch, nach Kanada auszuwandern. Am Goldenen Berg – gemeint sind die Rocky Mountains, wo Gold geschürft wird – will er sein Glück versuchen. Er schuftet beim Bau der transkontinentalen Eisenbahn, eröffnet Wäschereien in Victoria und Vancouver, erwirbt zwischendurch Ackerland und betreibt eine Imbissstube. Immer wieder erlangt Tak Fat einigen Wohlstand und schickt größere Summen nach Hause, wo von diesem Geld einer der grotesken Diaolou-Wohntürme gebaut wird, die heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen.
132 Jahre chinesische und kanadische Geschichte
Über 60 Jahre lebt er in Kanada, während seine Frau all die Jahre über in China bleibt. Die während seiner seltenen Besuche gezeugten Söhne Kam Shan und Kam Ho reisen dem Vater schließlich hinterher. Seine in Kanada geborene Enkelin Amy wird mit China schließlich nichts mehr am Hut haben. Sie gehört übrigens zur selben Generation wie die 1957 in China geborene und später nach Kanada emigrierte Autorin Zhang Ling selbst.
Die Fongs erleben in "Der Traum vom Goldenen Berg" 132 Jahre chinesische und kanadische Geschichte: vom Ende der Qing-Dynastie und dem Ausbau der Städte Victoria und Vancouver bis in die Jetztzeit. All das hat die Autorin Zhang Ling akribisch recherchiert und in eine ausladend und bunt erzählte Familiensaga umgewandelt. Sie erzählt die Geschichte auf zwei Ebenen: Einerseits schildert sie chronologisch, wie sich die Fongs von 1872 bis 1971 sowohl in Kanada als auch in Südchina durchschlagen. Umrahmt werden diese historischen Passagen von einer im Jahr 2004 angesiedelten Gegenwart, in der Tak Fats Urenkelin Amy nach China zurückfliegt, um dort ein Erbe anzutreten, den inzwischen verfallenen und unter Denkmalschutz stehenden Diaolou.
Psychologie der Figuren oft nur angerissen
Das ist eine Menge Holz und hätte für eine ganze Romanserie gereicht. Zhang Ling aber stopft alles zwischen lediglich zwei Buchdeckel und lässt es noch dazu von einem allwissenden Erzähler präsentieren, der der Stofffülle keine erzähltechnischen Grenzen setzt. So kommt es immer wieder zu heftigen Verdichtungen: Ein großer landwirtschaftlicher Betrieb geht auf nur einer Buchseite pleite, ein problematisches Coming-out wird in einem Absatz abgehandelt, und auch der eben noch geplante Diaolou ist plötzlich fertig. Das psychologische Potenzial der Figuren kann sich dabei leider oft nicht ausreichend entfalten. Wer darüber hinwegsehen mag, findet in "Der Traum vom Goldenen Berg" ein gut recherchiertes, farbig erzähltes und von Marc Hermann exzellent übersetztes Werk der chinesischen Emigrationsliteratur.

Zhang Ling: Der Traum vom Goldenen Berg
Aus dem Chinesischen von Marc Hermann
Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2014
682 Seiten, 24,95 Euro