"Sieg für die Artenvielfalt und die kleinen Züchter"

Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf im Gespräch mit Marietta Schwarz · 12.07.2012
Der ehemalige Grünen-Parlamentarier Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf nennt das für heute zu erwartende Urteil des Europäischen Gerichtshofs einen "weltweit nicht zu unterschätzenden Erfolg" für Bauern, die ihr Saatgut selber herstellen.
Marietta Schwarz: 67 Prozent des weltweiten Saatgut-Marktes werden von den großen Konzernen wie Bayer, Monsanto oder Syngenta bedient. Die Macht dieser Firmen ist also auf dem Agrarmarkt ziemlich groß – zu groß, sagen vor allem die kleinen Bauern, die abhängig von ihnen sind. So hat zum Beispiel ein großer Saatguthersteller in Frankreich dagegen geklagt, dass Bauern alte, unzertifizierte Sorten selbst nachzüchten und verkaufen dürfen. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg fällt heute sein Urteil dazu, und einer, der vom Urteil auch betroffen sein wird, ist Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Biobauer und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft. Guten Morgen!

Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Guten Morgen!

Schwarz: Ja, Herr Graefe zu Baringdorf, es geht – welche Konsequenzen hätte es denn, wenn dieser Klage stattgegeben wird, für die Bauern, aber auch für die Verbraucher?

Graefe zu Baringdorf: Ja, das ist eine lange Geschichte: Es gibt ein Saatgutverkehrsgesetz und auch eine Saatgut-Katalogrichtlinie, und Sorten, die anerkannt sind, müssen da eingetragen werden, und das kostet ziemlich viel Geld. Die kleinen Firmen mit ihren kleinen Saatgutmengen können sich das nicht leisten, und so droht nun sehr viel von unserem Nutzsaatgut an Vielfalt verloren zu gehen, und da haben wir vor zehn Jahren im Parlament von der Kommission abgerungen, dass es für dieses Saatgut eine Ausnahme gibt. Drei Jahre lang haben wir verhandelt, das Parlament hat mir immer Rückendeckung gegeben, ich war der Berichterstatter.

Dann haben sie aber zehn Jahre gebraucht, bis 2009, um diese Ausnahmerichtlinie für dieses Saatgut in das Gesetz zu schreiben. In der Zwischenzeit hat nun eine Firma in Frankreich gegen diese – Kokopelli heißt sie, die Firma – geklagt, und die sind auch verurteilt worden. Das ist nun beim Europäischen Gerichtshof gelandet, und siehe da, die Berichterstatterin wird nicht nur dieser Ausnahme nun stattgeben, sondern sie wird diese Ausnahme noch verbessern im Sinne der Artenvielfalt, so wie das aussieht. Das ist der Tatbestand.

Schwarz: Das heißt, ein Sieg, kann man sagen, für die Kleinbauern?

Graefe zu Baringdorf: Ja, ein Sieg für die Artenvielfalt und für die kleinen Züchter. Es tobt ein riesiger Kampf im Züchtungsbereich – die großen Firmen, vor allen Dingen die großen Chemiefirmen, wollen sich die Züchterhoheit unter den Nagel reißen. Das ist eine finanzielle Absicht, die dahintersteht, und wollen nun diese kleinen Firmen rausdrängen und haben das nun im Vorfeld dieser Ausnahmerichtlinie noch versucht, und sie werden vor dem Europäischen Gerichtshof, wie das aussieht, scheitern. Und das ist für die Kleinbauern wichtig, ja, für die kleinen Gemüsebauern wichtig, aber auch für die kleinen Züchterfirmen, aber insgesamt auch für die Gesamtgesellschaft weltweit geht die Artenvielfalt zurück. Es sind Tausende von Sorten, die nicht mehr aufgenommen worden sind in die Sortenkataloge, die nun dann wieder auch gehandelt werden dürfen. Es geht darum, darf dieses Saatgut gehandelt werden oder nicht.

Schwarz: Da ist jetzt immer die Rede von alten Sorten, also reden wir von den Äpfeln, die wir seit Neuestem wieder – kann man ja sagen – auf dem Biomarkt bekommen, oder ist das tatsächlich ein größeres Segment, was nicht nur Bio betrifft, sondern vielleicht auch im Supermarkt zu haben ist?

Graefe zu Baringdorf: Ja, es sind Erhaltungssorten, so nennen die sich, oder Landsorten, die vom Aussterben bedroht sind. Und die haben einen landeskulturellen Wert, so sagt der Gesetzgeber, so haben wir damals argumentiert, und deswegen wurden diese Sorten unter bestimmten Bedingungen zugelassen für den Handel, und dagegen machten nun die großen Firmen Front. Und diese Gerichtsentscheidung, die jetzt kommen wird, so hoffen wir jedenfalls, wird sich auf diese Ausnahmerichtlinie beziehen, die jetzt erst in 2009 Gesetz geworden ist, und dadurch werden nun diese kleinen Firmen geschützt, dass ihr Saatgut auch in den Verkehr, also auch gehandelt werden darf. Und das ist ein weltweit nicht zu unterschätzender Erfolg, wenn denn dieses Urteil kommt. Aber die Berichterstatterin des Europäischen Gerichtshofes hat in ihrer Urteilsbegründung dieses vorgelegt, so dass wir guter Hoffnung sind, das ist ein guter Tag für die Artenvielfalt heute.

Schwarz: Der Kläger sagte, unlauterer Wettbewerb, aber stellen die paar Sorten, sage ich jetzt mal, überhaupt eine ernsthafte Konkurrenz zu den massenhaft vertriebenen Züchtungen der Saatgutkonzerne dar?

Graefe zu Baringdorf: Na ja, es geht einmal um tatsächlich Geld, es geht aber auch um die Prinzipienfrage. Die wollen diese kleinen Firmen zwingen, in die großen Firmen aufzugehen, also die Selbständigkeit dieser Firmen steht dann auch auf dem Spiel. Und sie wollen einen Prinzipienstreit vom Zaune brechen, indem sie diese Firmen verklagen auf Schadensersatz, das sind 50.000 Euro, das ist für große Firmen ein Klacks, für kleine Firmen drängt sie das an den Rand des Ruins. Diese kleine Firma in Frankreich, die zwar sehr viele Mitglieder in ihren Reihen zählt, die hat es nun gewagt, diesem Goliath die Stirn zu bieten, und kriegt nun vom Europäischen Gerichtshof recht.

Die Genugtuung, die ich dabei habe, ist, dass jetzt diese Berichterstatterin des Europäischen Gerichtshofes sich auf diese Ausnahmeregelung, die zwar erst zehn Jahre zu spät dann umgesetzt wurde, bezieht und sagt: Hier hat der Gesetzgeber – und das war das Europäische Parlament – ja gezeigt, dass diese Landsorten und diese Erhaltungssorten für die genetische Vielfalt wichtig ist, und deswegen müssen wir diese Klage abweisen, und schreibt noch zusätzlich dem Gesetzgeber ins Stammbuch, dass er diese Ausnahmeregelung noch weiter ausführen muss im Sinne dieser kleinen Firmen, also im Sinne der Artenvielfalt. Es ist schon grandios, wie sich da der Europäische Gerichtshof verhält.

Schwarz: Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Biobauer und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Graefe zu Baringdorf: Ich danke auch!

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Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Stellvertretender Vorsitzender des Agrarausschusses im Europaparlament, (Bündnis90/Die Grünen)
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf© graefezubaringdorf.de
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