"Sie müssen natürlich die Bücher gelesen haben"

Elmar Krekeler im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 18.11.2010
Mit "Die Heiligtümer des Todes - Teil 1" ist nun die Verfilmung des letzten Harry Potter-Bandes in die Kinos gekommen. Mit den Darstellern sind auch die Fans erwachsen geworden. Die Bücher sollte man vor dem Kinobesuch auf jeden Fall gelesen haben, meint der Literaturkritiker der "Welt", Elmar Krekeler.
Stephan Karkowsky: Der neue "Harry Potter"-Film kommt heute in die Kinos, und besorgte Eltern fragen sich: Kann ich meine Kinder da eigentlich bedenkenlos reinschicken? Nach allem, was man so liest, sind die Filme immer gruseliger geworden. Horrorelemente tauchen auf, bei denen sich sogar die Großen erschrecken. Dabei sind die Ur-"Harry Potter"-Fans selbst längst keine Kinder mehr. Sie wurden mit den Hauptfiguren älter, manche sogar erwachsen. Elmar Krekeler ist der Leiter der "Literarischen Welt", der samstäglichen Bücherbeilage der Tageszeitung "Die Welt", und er kennt die Filme, auch den jüngsten: "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes", Teil eins. Herr Krekeler, wie erwachsen muss man denn sein, um sich vor dem neuen Film nicht zu fürchten?

Elmar Krekeler: Na ja, ich würde sagen, eine "Tatort"-gestählte 14-Jährige wird es schon überleben, die Trailer sind ja im Internet zu sehen, die hat ja jeder, der sich irgendwie damit beschäftigt, schon mal gesehen. Und viel mehr, als in den Trailern zu sehen ist, ist auch in dem Film nicht zu sehen. Ein doch ziemlich erwachsener Filmkollege, der neben mir in der Pressevorführung saß, hat sich aber trotzdem nur heftigst erschreckt. Aber dazwischen gibt es wunderbarerweise auch immer wieder zehnminütige Pausen, wo man nichts als schöne Landschaften sieht. Dafür erschreckt man dann natürlich auch umso mehr, wenn es dann wieder mal zu irgendwelchen Explosionen kommt, aber im Ganzen genommen ist, na ja, eine durchschnittliche Halloweenparty von 15-Jährigen wahrscheinlich gruseliger als dieser Film.

Karkowsky: Steige ich denn überhaupt noch durch, wenn ich jetzt erst einsteige, oder muss ich eine bestimmte Anzahl von Filmen davor gesehen haben, um das Geschehene überhaupt verstehen zu können?

Krekeler: Na ja, da fragen Sie jetzt natürlich den Literaturkritiker falsch. Sie müssen natürlich die Bücher gelesen haben. Also wenn Sie die Filme gesehen haben, ist das Einsteigen wirklich schwierig, da muss man sich wirklich vorher schon mal die Wikipedia-Seite zumindest mal durchgelesen haben, weil die Filme nicht mehr viel erklären. Die Filme sind Filme für die Fangemeinde. Wer da nicht vorher das Buch gelesen hat oder eben die Wikipedia-Seite – oder im "Kindler" steht’s ja noch nicht –, der blickt einfach nicht mehr durch. Also warum da jetzt welche Dinge gesammelt werden und mit welchen Folgen, das ist da schon wirklich schwierig zu verstehen.

Karkowsky: Dann gehen wir doch noch mal zurück an die Anfänge. Wie unterscheidet sich die Ästhetik des ersten vom bislang letzten Potter-Film, was ist da passiert?

Krekeler: Na ja, es sind zehn Jahre passiert, in denen die Darsteller älter geworden sind und der Plot natürlich ein ganz anderer geworden ist. Also am Anfang ging es letztlich darum, dass in der ersten Folge Harry Potter in dieses Internat reinkam, erst mal diese ganzen Zauberdinge kennenlernte, dass am Ende irgendwie die Welt gerettet werden musste, davon hatte er noch keine Ahnung und die Leute, die den ersten Teil gesehen hatten oder gelesen hatten …

Karkowsky: Die Autorin wahrscheinlich auch nicht.

Krekeler: Nein, die Autorin behauptet ja, dass sie das schon gewusst hat – ob man es ihr glauben darf, weiß ich nicht, ist Spekulation. Aber auf jeden Fall war das am Anfang schon so eine Art Zauberei-Kindergeburtstagsding. Also es waren da schon gruselige Sachen dabei, wie diese kopflosen Gespenster und so weiter und so fort, aber es ging halt überwiegend dann doch um die Vorführung von Kunststücken. Jetzt im siebten Teil Komma eins – den siebten Band haben sie ja in zwei Filme geteilt – ist das Ganze schon ziemlich düster und apokalyptisch, und da fliegen halt diese finsteren Dementoren rum, die die Seele aussagen und so weiter und so fort. Aber es ist alles doch so abgemildert und so geschnitten, dass man da wirklich nicht erschreckt. Also mit einer Siebenjährigen würde ich da vielleicht nicht reingehen, aber alles, was über zwölf ist, hat, glaube ich, keine größeren Probleme damit.

Karkowsky: Würden Sie denn sagen, dass den verschiedenen Regisseuren dieser Filme eine behutsame Anpassung gelungen ist, von der fantastischen, aber eher harmlosen Kinderzimmerästhetik der ersten beiden Teile bis zum, ja, Horrorschocker, wie ihn Ihr Kollege erlebt hat?

Krekeler: Ja, eigentlich schon, also man merkt an diesen jetzt inzwischen sieben Filmen schon eine Entwicklung. Die ersten beiden wurden von Chris Columbus gedreht, und das ist schon so eine Kindästhetik, das ist schon … Da sind die noch klein, die Darsteller auch, und es ist alles noch so ein bisschen kindlich, bisschen verspielt. Und das Problem, was der dritte Teil hatte, den ich für den besten, den eigentlich einzigen richtigen Film halte, den Alfonso Cuarón gedreht hat, war genau das, dass er eben eine Ästhetik, eine Geschichte erzählt hat und eine bestimmte Ästhetik hatte und nicht einfach nur ein möglicherweise hinterher vom Merchandising ausschlachtbares Gimmick vorgeführt hat, sondern halt wirklich einen geschlossenen Film erzählt hat. Das hat ihm ziemlich viel Ärger eingebracht mit der Fangemeinde. Desgleichen der fünfte Teil, eines der dicksten Bücher überhaupt, den sie auf anderthalb Stunden zusammengekürzt haben, wo eben auch eine Geschichte erzählt wurde und wo der Held eigentlich auch schon erwachsen war. Und ansonsten, die Zwischenfilme sind dann schon so, dass man merkt, dass es so langsam erwachsen wird.

Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" den Literaturkritiker Elmar Krekeler zur Entwicklung der "Harry Potter"-Filme. Herr Krekeler, reden wir über das Bild, das uns diese Filme vermitteln. Junge Menschen wachsen auf unter einem strengen Regiment, kaserniert in einem Internat. Was für ein Weltbild wird damit eigentlich bedient?

Krekeler: Na ja, das kann man daran erkennen, wie global erfolgreich dieser Film war. Also es ist eigentlich kein, es ist zwar schon ein Internatsfilm, weil Internatsfilme oder Internatsgeschichten international ganz gut funktionieren, aber es ist ja jetzt kein Film über eine bestimmte Generation oder über einen bestimmten Internatszusammenhang. Es spielt halt an so einem geschlossenen Ort, weil es da am leichtesten zu erzählen ist. Und die Generation, von der dieser Film handelt, ist eigentlich – also kann man schwer sagen, dass es jetzt irgendwie eine Generation Praktikum oder eine Generation Rebellion, sondern es ist eben im Prinzip die Internet-Generation. Weil diese ganzen Tricks, wie man sie auch im Film sieht, sind Tricks, wo der Film oder die Geschichte eigentlich im technischen Fortschritt vorausgegangen ist. Also das, wasman zum Beispiel in den ersten Filmen … Es gibt eine Zaubererzeitung, die heißt "Eulenpost", und auf der sieht man Bilder, die sind aber nicht starr wie auf jeder Zeitung, sondern die bewegen sich. Und das war lange vor dem iPad. Also diese Geschichten, die man jetzt sozusagen auf dem iPad hat, die hatte J. K. Rowling schon in ihren Büchern. Insofern war sie schon in gewisser Weise Visionär. Und auch dieser ganze Erfolg, der sich dann um dieses Phänomen Harry Potter herum drehte, war nur Internetgeschichte sozusagen.

Karkowsky: Die Figuren entwickeln sich, nun wäre Kindbleiben in einer Zauberwelt doch eigentlich gar nicht so schlecht. Was macht denn für die Helden das Erwachsenwerden eigentlich attraktiv?

Krekeler: Attraktiv macht sie es eigentlich gar nicht, sie würden, glaube ich, auch gerne weiter Quidditch spielen, sie werden einfach nur erwachsen, und sie werden immer mehr in diese Rolle dieses Weltenretters hineingedrängt. Ob es ihnen nun behagt oder nicht, ist dahin…, da können sie sich ja nicht gegen wehren, das ist halt so.

Karkowsky: Also weil Harry Potter zum Beispiel kriegt ja mehr Macht, je älter er wird.

Krekeler: Nee, das eben nicht. Es ist so ein klassischer Held, der eigentlich von der Umgebung gespielt wird. Er lernt seine Kräfte besser einzusetzen, einzuschätzen und …

Karkowsky: Wie im wahren Leben.

Krekeler: Die Wahrnehmung, klar, sicher.

Karkowsky: Da wäre die Parallele. Zu Beginn des Potter-Zyklus faszinierten ja noch fantastische Ideen wie die vom Gleis neundreiviertel – man steigt ins Nichts ein und kommt an der Zauberschule an –, das ist zauberhafter Kinderkram. Später dann beobachtet die Filmkritik Analogien zur NS-Diktatur, Rassenideologie, das Askaban-KZ für Schlammblütler, Luftschlachten wie im Zweiten Weltkrieg – all das konnte man lesen. Werden auch die fantastischen Elemente erwachsener, ernster?

Krekeler: Ja klar. Es wird auch alles düsterer – der siebte Teil ist so ein bisschen wie beleuchtet wie mit so einer Energiesparlampe, also da ist nicht viel mit Licht. Klar, muss auch werden, weil es spitzt sich auch immer mehr zu, also dieser Krieg zwischen diesen protofaschistischen Totessern, wie sie da heißen, und den Guten, die immer weniger werden, also im siebten Teil jetzt sind es eigentlich nur noch drei: Hermine, Harry und Ron, also die Freunde, die da durch diese wunderschönen Landschaften der britischen Tourismusindustrie laufen. Und das spitzt sich immer mehr zu und es wird natürlich immer dunkler, klar, weil es geht dem Finale entgegen.

Karkowsky: Was raten Sie denn nun Eltern eines Elfjährigen, der jetzt vielleicht zu Weihnachten – oder sagen wir eines Achtjährigen – mit Teil eins der DVD anfängt und am liebsten gleich die anderen Teile hinterherschieben möchte – geht das?

Krekeler: Also ich würde es, ehrlich gesagt … Also es ist so: Die lange Harry-Potter-Nacht mit einem Achtjährigen würde ich, glaube ich, lieber lassen. Meine Tochter hat mit sieben den zweiten Teil überstanden und hat sich über die Spinnen, die in diesem Film vorkamen, totgelacht, aber die war auch schon gestählt sozusagen. Also das muss eigentlich jeder mit seinem Kind selber wissen, wie weit er schon ist. Also wenn der jetzt nun sein ganzes Leben lang nur Kinderbücher vorgelesen bekommen hat und sonst keinen Realfilm gesehen hat, dann würde ich es wirklich lieber lassen oder es zumindest mal so dosieren, dass immer ein Kissen in der Nähe ist, wo das Kind dann einfach sagen kann, so, das will ich nicht mehr sehen, halt ich das Kissen davor.

Karkowsky: Über die Entwicklung der "Harry Potter"-Filme zum Start von "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes", Teil eins, hörten Sie Elmar Krekeler, den Leiter der "Literarischen Welt" der samstäglichen Beilage der Tageszeitung "Die Welt". Ihnen vielen Dank für das Gespräch!

Krekeler: Bitte!