"Sie lernen ihr Genital besser kennen"

Ada Borkenhagen im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 05.08.2009
Nach einer Umfrage des Leipziger Universitätsklinikums bekennen sich immer mehr junge Frauen zur Intimrasur. "Am häufigsten ist es dieses ästhetische Motiv", sagte dazu die Psychotherapeutin Ada Borkenhagen.
Liane von Billerbeck: Im Studio ist jetzt die Psychotherapeutin Ada Borkenhagen, Mitautorin einer repräsentativen Studie der Leipziger Uniklinik über die Zunahme von Intimrasuren und veränderten Schönheitsvorstellungen junger Frauen und Männer, auch für den Bereich unter der Gürtellinie. Herzlich Willkommen!

Rund die Hälfte der deutschen Frauen zwischen 18 und 25 Jahren machen sich die Scham nackt, bei den Männern tun das etwas über 20 Prozent. Was sagt uns das?

Ada Borkenhagen: Das sagt uns, dass sich für den Schambereich oder den Intimbereich wirklich eine Schönheitsnorm herausgebildet hat, die für breite Bevölkerungsschichten verbindlich geworden ist, und das ist etwas Neues. Vor 10 bis 20 Jahren hat man sich über diesen Bereich im Wesentlichen keine Gedanken gemacht, wie der aussieht – das ist für Männer etwas anders gewesen, aber zumindest für die Frauen gilt das –, weil man unter der schwarzen Wolke der Schamhaare eigentlich nicht so genau gesehen hat, wie das da unten aussieht und wie sich die Frauen auch unterscheiden. Dadurch ist auch eine Schönheitsnorm und ein Schönheitsideal entstanden und damit auch die Stigmatisierung, wenn man diesem Schönheitsideal nicht entspricht.

Von Billerbeck: Gab es so was schon bei früheren Kulturen oder ist das ein ganz neues Phänomen?

Borkenhagen: Das gab es in Ansätzen schon bei früheren Kulturen. Wir wissen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen sich auch in der Antike schon, bei den Frauen, vollrasiert haben. Das ist zum Beispiel bekannt dort von den Heteren. Es hat es auch in unserer Kulturgeschichte immer mal wieder gegeben, dass bestimmte Bevölkerungsschichten, beispielsweise der Adel, sich intimrasiert hat oder auch aus religiösen Vorstellungen wurden die Schamhaare rasiert, man kann aber nicht sagen, dass es ein für breite Bevölkerungsschichten so eindeutig verbindliches Schönheitsideal für die Genitalien und für deren Aussehen gegeben hat.

Von Billerbeck: Es gibt ja auch Motive dafür. Welche haben denn die Befragten in Ihrer Studie für die Intimrasur angegeben?

Borkenhagen: Am häufigsten ist es eben dieses ästhetische Motiv, dass sie es schöner finden, gefolgt von dem hygienischen Motiv.

Von Billerbeck: Nun könnte man ja aus der Rasiererei einige Gründe herausfiltrieren oder herausfiltern, einmal ein Trend zur Infantilisierung, zur Ungefährlichmachung der Frauen, also, im Feministenblatt "Emma" stand sogar ganz drastisch was von, Zitat, Kindermösen, die dadurch entstünden. Man könnte aber auch ganz anders interpretieren, nämlich: Selbstbewusste Frauen und Männer legen auch die bislang mit Haaren bedeckten, intimen Körperteile frei. Wo sehen Sie die Motive?

Borkenhagen: Ich denke, diese beiden Ansätze beschreiben das sehr genau. Es ist sicherlich so ein allgemeiner Trend, dass dadurch, dass man das weibliche Genital rasiert, es eher wie das eines kleinen Kindes oder jungen Mädchens wirkt, es wird dadurch praller, und der Schamhügel sieht praller aus. Das Gleiche kann man aber auch so verstehen, dass sich Frauen eben erstmals trauen, dieses Genital offensiv zu zeigen.

Auch das, was ich eben mit dem praller sein gesagt habe, spricht dafür. Die Frauen müssen sich, um sich zu rasieren, ja auch mit diesem Körperteil beschäftigen. Sie wenden sozusagen autoerotische Energie auf, sie lernen ihr Genital besser kennen, und sie trauen es sich wirklich offensiv zu zeigen.

Von Billerbeck: Nun gibt es ja immer Rollenmodelle für solche Veränderungen, die man an seinem eigenen Körper vornimmt. Ich will mal zwei Zitate bringen, die standen in der "Bravo", da sagte Franziska von Almsick, sie fände nichtrasierte Menschen unhygienisch, und Victoria Beckham, die verstieg sich sogar zu dem Satz, es sollte Pflicht für alle über 18-Jährigen sein, sich überall zu rasieren. Welche Rollen spielen denn solche Vorbilder?

Borkenhagen: Ich denke, solche Vorbilder sind ganz, ganz wichtig in diesem Zusammenhang, weil sie eben gerade bei Jugendlichen diesen Trend auch noch mal setzen und das zu einer Norm erheben. Für das Durchsetzen der Teilrasur oder Intimrasur, von Intimrasur war ganz maßgeblich auch die Softpornomagazine, beispielsweise hat 2001 das erste Mal der Playboy ein Playmate abgebildet, das vollrasiert war. Und das hat auch diesen Trend noch mal sehr befördert. und man muss ganz klar sagen, dass sicherlich im Moment diese Teilintimrasur, die sich bei den deutschen Frauen, vor allen Dingen bei den unter 30-Jährigen, durchgesetzt hat, dass das ein Modephänomen ist, und das, was im Moment modern ist, heißt nicht, dass es in 20 Jahren noch modern sein wird. Ich kann mir gut wieder vorstellen, dass es auch wieder sozusagen ein Zurück zur Natur, in Anführungsstrichelchen, geben wird, und dass dann sozusagen das naturbelassene Schamhaar als besonders schön gelten wird.

Von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, unten ohne, über den Trend zur Intimrasur und dessen Folgen sprechen wir mit der Psychotherapeutin Ada Borkenhagen. Folgen aus der Rasur möglicherweise weitere, gefährlichere Schritte?

Borkenhagen: Ja, das ist genau das Problem, dass durch diese Intimrasur dieser Bereich freigelegt worden ist und jetzt gestaltet werden muss, und dass daraus auch dann ganz häufig für einige Frauen folgt, dass sie sich einer Schönheitsoperation im Intimbereich unterziehen.

Von Billerbeck: Ihr Leipziger Kollege Professor Elmar Brähler, der hat das mal so genannt: Eine bis dato zur Privatsphäre zählende Körperzone, die Schamregion, unterliegt fortan dem Gestaltungsimperativ. Und früher gab es ja für Männer den Satz: Meiner ist größer als deiner, das war so ein eindeutiger Spruch auf das männliche Genital bezogen. Hat sich da was verändert, was die Bedeutung des Aussehens des weiblichen Genitalbereichs meint?

Borkenhagen: Ja, eben jetzt müssen Frauen auch mit den weiblichen Genitalen zeigen, dass ihres ein schönes ist, und das ist neu. Die Intimrasur der Männer dient auch eher dazu, dass der Penis größer aussieht, und bei den Frauen, die ziehen quasi jetzt nach, und früher unterlagen noch die Brüste sozusagen diesem Konkurrenzgebot, und jetzt ist es auch noch die Intimregion bei den Frauen. Und das ist wirklich etwas Neues.

Von Billerbeck: Ist es nicht so, dass da quasi psychische Probleme mittels Körperkorrekturen versucht werden, aus der Welt zu schaffen?

Borkenhagen: Das ist, glaube ich, ein sehr schwieriges Feld. Sicherlich kann man sagen, dass, wenn jemand ein starkes Selbstbewusstsein hat, er mit solchen Abweichungen ganz gut umgehen kann. Man kann aber nicht einfach den Rückschluss ziehen, dass jeder, der sich jetzt dieser Norm angleicht, automatisch auch nur ein ganz geringes Selbstbewusstsein hat.

Wir würden heutzutage jetzt – um mal einen anderen Bereich zu nehmen, der für uns normaler geworden ist – auch nicht davon ausgehen, dass wir sagen würden, ein Kind mit schiefen Zähen soll die Zähne nicht gerichtet bekommen, nur weil sozusagen es ein gutes Selbstbewusstsein entwickeln soll, sondern wir würden sagen, na, das ist heute möglich und dann sollte man es auch machen.

In diese Richtung geht dieser Schönheitsoperationstrend ganz allgemein. Das ist problematisch und muss auch problematisch gesehen werden, vor allen Dingen, weil man sich dann schon fragen muss: Wie weit wird das gehen?

Von Billerbeck: Und welche Konsequenzen haben möglicherweise auch solche Operationen? Die können ja auch schiefgehen.

Borkenhagen: Genau, die können schiefgehen. Sie sind auf keinen Fall ein Bagatelleeingriff, wie das häufig in der Werbung dargestellt wird, sondern man muss sich ganz klar sein: Das ist zwar ein Gewebe, was sich relativ leicht operieren lässt, es ist aber schwierig, wirklich eine gute Symmetrie hinzubekommen, und eben Nebenwirkungen hat jede Operation.

Von Billerbeck: Die Psychotherapeutin Ada Borkenhagen war das über die Gründe, warum junge Frauen und Männer ihren Intimbereich einer Schönheitsnorm anpassen. Danke Ihnen!