"Sie ist ein Mensch, dem Macht gut tut"

Moderation: Jürgen König · 22.11.2007
Die US-amerikanische Philosophin Susan Neiman leitet das Einstein Forum in Potsdam, ein Zentrum kritischen Denkens. Zur Halbzeit-Bilanz der Großen Koalition lobte sie Merkels Einsatz für den Klimaschutz. Allerdings wünscht sie sich von ihr stärkere Kritik an der Politik George W. Bushs und Chinas.
Jürgen König: Gast im Studio ist Susan Neiman. In den USA in Atlanta geboren, studierte sie Philosophie an der Harvard Universität und an der Freien Universität Berlin. Sie war Professorin für Philosophie an der Yale Universität und an der Tel Aviv Universität. Seit 2000 leitet sie das Einstein Forum in Potsdam. Das ist ein Zentrum kritischen Denkens, 1993 gegründet, in der geistigen Tradition der Stadt, in der einst Friedrich der Große einen Voltaire empfing, wo ein Albert Einstein seine Sommer in Caputh, also bei Potsdam, verbrachte und mit seinen Gästen über die großen Fragen seiner Zeit nachdachte. Frau Neiman, schön, dass Sie bei uns sind!

Susan Neiman: Ich freue mich!

König: Heute ist Angela Merkel zwei Jahre im Amt, wie hat sie das Bild Deutschlands im Ausland verändert? Diese Frage soll uns beschäftigen. Hat sie denn überhaupt das Bild Deutschlands im Ausland verändert?

Neiman: Ich glaube, um die Frage zu beantworten, muss man wissen, wie Schröder das Bild Deutschlands verändert hatte. Und leider wissen viele Deutsche immer noch nicht, dass Schröder dem Deutschlandbild erheblich geholfen hatte seinerzeit. Das war das erste Mal, dass man das Gefühl hat, dass Deutschland eine moralische Leitung in der Politik übernahm.

König: Mit Schröders Nein zum Irakkrieg?

Neiman: Ja. Das war sehr hoch angesehen, auch in USA, außer natürlich in Regierungskreisen. Ich habe sehr viele Amerikaner damals kennengelernt, die mir gesagt hatten, bitte sag Schröder Danke schön von uns.

König: Sie haben während des Bundestagswahlkampfes 2005 ein Buch geschrieben und haben sich da sehr für Schröder stark gemacht. Haben Sie denn jetzt den Eindruck nach zwei Jahren Kanzlerschaft Merkel, dass sich das Bild nur zum Schlechteren verändert hat?

Neiman: Es hat sich nicht nur zum Schlechteren verändert natürlich, und sie hat Stärke gezeigt, die nicht nur ich damals nicht vermutet hatte. Also offensichtlich ist sie ein Mensch, dem Macht gut tut. Die Frage ist, ob sie wirklich etwas Sinnvolles mit dieser Macht tut. Und da bin ich leider eher skeptischer. Sie macht nichts Schreckliches natürlich, sie hat keine großen Fehler gemacht, aber ich sehe leider eine geschicktere, eine sanftere Version von dem, was wir schon bei Frau Merkel 2002 gesehen haben, als sie nach Washington geeilt ist, um Bush zu unterstützen.

König: Bush haben Sie immer sehr kritisiert. Das heißt, Angela Merkel, die immer die Nähe zu dieser US-Regierung gesucht hat, auch um diesen, wie sie es empfand, Affront des Gerhard Schröder zu korrigieren, diese Nähe war Ihnen immer viel zu dicht, zu unsympathisch?

Neiman: Und zwar nicht nur mir. Ich glaube auch die Menschen, die die Bush-Regierung, selbst den Irakkrieg vor einigen Jahren unterstützt haben oder wenigstens offen dafür waren, haben inzwischen gesehen, dass das auf einer Mischung aus Lügen, schlechtem Kalkül und Messianismus gebaut worden ist.

König: Für die EU-Ratspräsidentschaft wurde Angela Merkel sehr gelobt. Sie gilt inzwischen als Weltmeinungsführerin in Sachen Klimaschutz. Findet sie damit Gnade vor Ihnen?

Neiman: Natürlich freue ich mich über jeden Schritt, der getan worden ist in Richtung Klimaschutz. Und da hat sie meines Wissens nach auch innerhalb Europas einiges getan. Nur wiederum, bei dem G8-Gipfel hatten mehrere das Gefühl, dass sie sich von Bush ziemlich über den Tisch ziehen ließ. Das heißt, sie hätte mehr machen können.

König: Inwiefern mehr, in welche Richtung?

Neiman: Also Bush hat ihre – es war geschickt, da ist er fähig –, er hat sein angebliches Programm gleich vor dem Gipfel annonciert, damit ihr eigenes, viel kräftigeres, vorangekündigtes Programm einfach kein Gehör mehr fand.

König: In Sachen Klimaschutz?

Neiman: Genau. Wiederum, ich begrüße jeden Schritt, den sie da machen könnte, aber ich würde mir mehr Kritik wünschen.

König: Sie hat ja zu Putin ein deutlich distanzierteres Verhältnis eingeschlagen, als Schröder das gemacht hat. Hat sie damit nicht geholfen, die Beziehung zu allen Staaten Ost-, Mitteleuropas so zu entspannen?

Neiman: Wie gesagt, da freue ich mich sehr, ohne Wenn und Aber. Dass sie eine kritischere Position zu Putin einnimmt als ihr Vorgänger, kann uns allen nur zugute kommen. Das ist ohne Zweifel auch, würde ich sagen, ihren Empfang des Dalai Lama hatte ich zunächst begrüßt. Symbolische Gesten sind wichtige Gesten in der Politik. Und da habe ich mich zum ersten Mal gefreut. Nur, man muss sich da auch überlegen, ob nicht andere Gesten den Chinesen gegenüber hilfreicher und wichtiger gewesen wären. Zum Beispiel den Genozid in Sudan, in Darfur, wäre unmöglich ohne die Unterstützung der Chinesen. Es wäre wunderbar, wenn ein Weltführer oder -führerin, die sie wirklich zweifellos ist oder sein könnte, auch da ein wirklich starkes Wort den Chinesen gegenüber sagen würde. Denn mit allem Respekt, die Tibetaner sind nicht zurzeit die, die am meisten unter den Chinesen leiden oder unter chinesischem Einfluss leiden. Und da finde ich, da muss ich mich fragen, a) ob sie nur auf symbolische Gesten setzt, ohne wirklich wirkungsvolle Opposition zu betreiben, und b), und das war immer mein Verdacht, ob sie nur Tyrannei, Unrecht, Rechtsbruch aus kommunistischen oder ehemaligen kommunistischen Ländern sehen kann. Ich fürchte, dass sie einfach nicht glaubt – und das kenne ich leider aus vielen, vielen Erfahrungen mit Bürgern ehemaliger sozialistischer Länder –, da fehlt einfach die Wahrnehmung für das Unrecht, das aus Amerika kommt. Da muss ich einfach jetzt dazu sagen, so leid es mir tut, zum gleichen Moment, wo sie diesen Crawford-Besuch gemacht hat, kam in den "New York Times" ein verheerendes Feuilleton heraus, das Bush mit Musharraf verglichen hatte. Es sagte, was für ein Coup, wir haben schon einen Coup …

König: … Pakistans Staatschef …

Neiman: Ja, ja, wir haben schon unsere Gerichte und unsere Richter schon so entkräftet.

König: Es gibt ja viele – ich muss Sie mal unterbrechen – es gibt ja viele in Deutschland, die sagen, Angela Merkel hat dieses alte, transatlantisch gute Verhältnis zwischen Deutschland und den USA wieder sozusagen auf seine eigentlichen Füße gestellt. Was würden Sie denen sagen?

Neiman: Was ich denen sagen würde? Ich habe gerade ein Forschungsjahr in Amerika verbracht, ich kam vor zwei Monaten zurück. Und was mich erstaunt, war der Unterschied in den Medien. Ich traute meinen Augen nicht, weil die Kritiklosigkeit, mit der die Bush-Regierung von hier aus betrachtet wird, ist wirklich atemberaubend. Wie gesagt, dort wird – und nicht von irgendwelchen Randgruppen, sondern "New York Times" gleich "FAZ", es ist so –, da wird Bush als a) Musharraf oder ein zweiter, ein Vorführer Musharrafs und gar mit den Anfängen der Nazis in den "New York Times" verglichen. Und hier sagt man, ja, wir sind vielleicht ein bisschen skeptisch gegenüber dem Irakkrieg, aber ein Glück, dass Merkel diesen Frieden wieder mal geschlossen hat.

König: Sie haben vorhin gesagt, Macht tut ihr gut. Hat die Macht Angela Merkel verändert?

Neiman: Sie ist sicherlich selbstbewusster geworden. Ich glaube, Sie werden sich daran erinnern, was für einen Eindruck sie gemacht hatte, gerade am Wahlabend, wo kein Mensch ihr wirklich zugetraut hätte, dass sie ein wichtiges Land führen könnte. Und da kann man sich nur freuen. Wiederum, ich glaube, sie könnte viel mächtiger werden, wenn sie tatsächlich eine Richtung setzen würde. Ich glaube, dass Deutschland auch an sich mächtiger werden könnte, das glaubt auch die SPD nicht.

König: Wie beurteilen Sie, was innenpolitisch in diesen zwei Jahren geschehen ist? Ich meine, Sie kriegen, das ist nicht eigentlich Ihr Thema, aber dennoch, Sie leben hier und haben ja Eindrücke von dem, was passiert.

Neiman: Also wie gesagt, es überschreitet wirklich meine Kompetenz, aber ein paar Eindrücke: Erst mal, Deutschland ist zufriedener, das freut mich. Ich fand das Land erstaunlich jämmerlich. Deshalb habe ich das kleine Buch geschrieben, weil ich das auch nicht verstanden habe. Deutschland ist zufriedener. Allerdings muss man sich fragen, weshalb. Und da glaube ich, dass man wirklich sagen müsste, vielleicht jedem Land seine eigene Form der Irrationalität.

König: Inwiefern sind wir da so irrational?

Neiman: Ja weil, was hat sich da geändert? Die Früchte der Agenda 2010 sind getragen worden, schön wäre es, wenn man sich daran erinnern würde, dass das Programm, wofür Schröder bestraft worden ist, wird jetzt bei Merkel gefeiert. Da hat sie kaum etwas geändert. Und dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist, ist natürlich eine wunderbare Sache, aber ob die Große Koalition dafür verantwortlich ist, kann man in Zweifel ziehen. Allerdings begrüße ich, wie glaube ich jeder Mensch, der Kinder hat, die Familienpolitik. Das ist ohne Wenn und Aber ein Plus. Es ist witzig natürlich, dass es aus einer CDU-Regierung kommt. Wo es herkommt auch immer, muss man sich drüber freuen.

König: Angela Merkel, zwei Jahre im Amt. Wie sie das Bild Deutschlands im Ausland verändert hat, ein Gespräch mit Professor Susan Neiman, Leiterin des Einstein Forums in Potsdam.