Sie brauchen keinen Liebestrank

Von Uwe Friedrich · 28.04.2013
In Bonn dürfen Tristan und Isolde einander verfallen, sie sind keine Einzelgänger auf dem Egotrip. Regisseurin Vera Nemirova zeigt die Geschichte einer übergroßen Emotion, die nur im Schutzraum überleben kann - in einem Gewächshaus.
In langen Opern verstecken Sänger gerne Wasserflaschen in allen Ecken des Bühnenbildes, um während der kräftezehrenden Gesangspartien unauffällig trinken zu können. Im Bühnenbild von Klaus W. Noack wird daraus kein Geheimnis gemacht, die Flaschen stehen ganz offen rum, aus einer von ihnen kommt dann auch der vermeintliche Todestrank, der sich schnell als Liebestrank entpuppen wird.

Selbstverständlich ist auch der Regisseurin Vera Nemirova klar, dass Tristan und Isolde eigentlich keinen Liebestrank brauchen, dass sie einander schon längst verfallen sind. Nicht der Schluck Wasser führt zur Erkenntnis der bis dahin uneingestandenen Liebe, sondern ein langer Kuss. In Bonn dürfen die beiden einander lieben, werden nicht als egoistische Einzelgänger auf dem Egotrip gezeigt. Nemirova zeigt die Geschichte einer übergroßen Emotion, die nur in einem Schutzraum überleben kann.

In einem Gewächshaus spielen der zweite und dritte Aufzug, hier treffen sich die Liebenden, um schließlich entdeckt zu werden, hier pflegt auch Kurwenal den tödlich verwundeten Tristan ebenso hingebungsvoll wie seine tropischen Pflanzen. Damit verlegt sie die Handlung radikal ins Private, blendet völlig aus, dass gerade die Rücksichtslosigkeit des Paares gegenüber der Gesellschaft das Skandalon in der Erzählung von Tristan und Isolde ist.

Zentrales Requisit ist ein Bett, das während der gesamten Oper in der Bühnenmitte steht, ohne dass es als Symbol genutzt würde. Beide schreiben zentrale Begriffe des Librettos auf die Gewächshausscheiben oder nach Schülerart auf die Arme des anderen. Isoldes Gefährtin Brangäne wird als verhärmte Oberstudienrätin gezeichnet, auch Tristans Vertrauter Kurwenal bleibt blass. Große Momente unfreiwilliger Komik ergeben sich, wenn im dritten Akt nach Stummfilmmanier das allgemeine Sterben an der Rampe beginnt.

Annäherungen an die notierte Tonhöhe
Robert Gambills Tristan ist eine Zumutung. Nur mit viel Kraft spricht die Stimme überhaupt noch an, klingt rau, stumpf und unausgeglichen. Über weite Strecken bietet Gambill mit ausuferndem Vibrato lediglich Annäherungswerte an die notierte Tonhöhe und von einer detaillierten Textgestaltung kann unter diesen Bedingungen keine Rede sein. Bewundernswert, wie die kurzfristig eingesprungene Sabine Hogrefe von der Seite sowohl die Intonation wahrt als auch mit differenzierter Gestaltung zeigt, dass Wagnergesang nicht in strapaziöses Brüllen ausarten muss, sondern auch im Piano noch voll und rund klingen kann.

Die übrigen Rollen sind ordentlich besetzt, und wenn da nicht Stefan Blunier und das grandios spielende Beethoven Orchester Bonn wären, man würde sich ernsthaft fragen, warum "Tristan und Isolde" (abgesehen vom Jubiläumsanlass) überhaupt an der Bonner Oper aufgeführt wurde.

Der Generalmusikdirektor findet dunkel glühende Töne, eine geheimnisvoll-faszinierende Atmosphäre für die traurige Geschichte. Die bis an den Rand gedehnte Generalpause im Vorspiel des dritten Aufzugs wird ebenso in Erinnerung bleiben wie die klangliche Bandbreite zwischen schwebendem Piano und niemals lärmendem Forte. Die schillernde Klangwelt dieser faszinierenden Partitur wurde vom Orchester mustergültig umgesetzt.

Informationen der Oper Bonn zu "Tristan und Isolde"
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