Sicht der USA auf Merkel

Kanzlerin als oberste Krisendiplomatin

Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama im Oval Office. Beide lachen in die Kameras.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama im Oval Office. © SAUL LOEB / AFP
Von Stephan Detjen, Washington · 10.02.2015
Die Wirklichkeit der außenpolitischen Verantwortung Deutschlands lässt sich in Washington besichtigen, bilanziert Stephan Detjen die USA-Reise der Kanzlerin. Die Europäer haben das Ruder in die Hand genommen - und aus amerikanischer Sicht ist klar, wer die Steuerfrau ist: Angela Merkel.
Deutschland müsse mehr außenpolitische Verantwortung in der Welt übernehmen, hatte der Bundespräsident auf der Münchener Sicherheitskonferenz des letzten Jahres gesagt. Die schärfsten Kritiker Joachim Gaucks argwöhnten damals, es gehe dem Staatsoberhaupt allein darum, das Land im Schulterschluss mit der Regierung in immer neue Auslandseinsätze der Bundeswehr zu treiben.
Genau ein Jahr später lässt sich die Wirklichkeit der neuen außenpolitischen Verantwortung Deutschlands in Washington besichtigen: Im East Room des Weißen Hauses steht die Bundeskanzlerin als oberste Krisendiplomatin der westlichen Welt neben dem US-Präsidenten und wirbt für einen Frieden in der Ukraine ohne amerikanische Waffen.
Während Merkel ihre diplomatische Verhandlungsoffensive vorantreibt, die am Mittwoch zum Gipfeltreffen von Minsk führen soll, zeigt sich Barack Obama abwartend und zögernd. Er habe noch nicht entschieden, ob die USA die ukrainische Armee mit Waffen unterstützen werde, erklärt der Präsident.
Obama will keine neue rote Linie ziehen
Dann überbietet sich Obama in Respekts- und Solidaritätsbekundungen für Merkels Gesprächsdiplomatie. Scheitere der Gipfel von Minsk, werde man in jedem Fall die Sanktionsschraube weiter anziehen, warnt der US-Präsident Richtung Moskau. Was die militärische Unterstützung der Ukraine angehe, könne er keinen bestimmten Punkt festlegen, an dem er sich für Waffenlieferungen entscheide.

Obama vermeidet es, noch einmal wie im Syrien-Konflikt rote Linien zu definieren, die sich am Ende als innenpolitische Stolperschwellen und offen sichtbare Grenzen seines außenpolitischen Handlungsradius erweisen könnten. Zumindest bis Mittwoch kann sich Obama auf eine für amerikanische Präsidenten ungewohnte Beobachterrolle in einem der weltpolitischen Konflikte dieser Tage zurückziehen.

Es sind die Europäer, die im Augenblick das Ruder in die Hand genommen haben und aus amerikanischer Sicht gibt es keinen Zweifel daran, wer auf der anderen Seite des Atlantiks die Steuerfrau auf dem Dampfer der westlichen Verbündeten ist: Angela Merkel.

Obama kann sich mit Blick auf die Ukraine erst einmal darauf beschränken, seiner Besucherin den Rücken zu stärken und die Seele zu massieren. Fürsorglich wie zuletzt bei der Verleihung der Freiheitsmedaille im Jahr 2011 bot er seiner Besucherin das exklusive Gästehaus des Präsidenten direkt gegenüber vom Weißen Haus als Nachtquartier an. Merkel sei eine große politische Führerin, schwärmt der Präsident. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung sei ihre persönliche Lebensgeschichte ein Lehrbeispiel dafür, welche Veränderungen der Gang der Geschichte immer wieder ermögliche.
NSA-Affäre bleibt Hintergrundmusik
Vor neun Monaten war der letzte Besuch Merkels noch überschattet von den transatlantischen Verstimmungen nach dem Bekanntwerden der NSA-Überwachungsaktivitäten. Gefragt, ob die Angelegenheit das Verhältnis nach wie vor belaste, gibt Merkel so knapp wie möglich zu Protokoll, bestimmte Meinungsunterschiede über die Balance von Freiheit und Sicherheit blieben. Erkennbar aber will die Kanzlerin die Wunden des letzten Jahres nicht noch einmal aufreißen.

Es ist Obama, der ausführlicher als die Kanzlerin auf die Frage antwortet und sich noch einmal um gegenseitiges Verständnis bemüht. Er habe "beispiellose Maßnahmen" ergriffen, um die Transparenz amerikanischer Geheimdienstaktivitäten zu erhöhen, erklärt Obama. Vor dem Hintergrund ihrer Geschichte habe er zugleich Verständnis für die Sensibilität, mit der die Deutschen auf die Snowden-Enthüllungen reagiert hätten. Offenheit, Transparenz und Solidarität schweißen das transatlantische Bündnis zusammen. Das sollte die Botschaft dieser Begegnung sein, die sich an diesem Tag besonders an Wladimir Putin in Moskau richtete.
Stephan Detjen, Leiter des Deutschlandradio-Hauptstadtstudios in Berlin, vor dem Weißen Haus, dem Amtssitz des amerikanisches Präsidenten
Stephan Detjen, Leiter des Deutschlandradio-Hauptstadtstudios in Berlin, vor dem Weißen Haus, dem Amtssitz des amerikanisches Präsidenten.
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