Sicherheitsbericht der Bundesregierung

Keine Grundlage für eine sinnvolle Kriminalpolitik

07:53 Minuten
Auf einem Zettel in der Tür eines Telefongeschäfts steht "Einbruch zwecklos".
Verbrechen verlagern sich ins Internet: Weil es online bequemer und anscheinend sicherer ist, gibt es weniger Einbrüche, aber mehr Betrug im Netz. © picture alliance / dpa / Martin Schutt
Arndt Sinn im Gespräch mit Julius Stucke · 05.11.2021
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Bekannte Zahlen und ein bekanntes Ergebnis: Der Sicherheitsbericht der Bundesregierung sei "enttäuschend", urteilt der Strafrechtsexperte Arndt Sinn. Um aus dem Report eine geeignete Kriminalpolitik abzuleiten, müsste er hinterfragt werden.
Deutschland sei eines der sichersten Länder der Welt, sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer und bezieht sich dabei auf den am Freitag vorgelegten "periodischen Sicherheitsbericht". Demnach sind die zwischen 2005 und 2019 registrierten Straftaten um 15 Prozent zurückgegangen, vorwiegend bei Eigentums- und Vermögensdelikten. Indes zugenommen haben laut dem Bericht die Cyberkriminalität und rechtsextreme Straftaten.

Auf 180 Seiten eingedampft

"Enttäuschend" sei der vom Bundesinnen- und Justizministerium vorgelegte Bericht, urteilt der Strafrechtswissenschaftler Arndt Sinn. Der Report sei mit großer Spannung erwartet worden, doch enthalte er "nicht ansatzweise eine Beschreibung unserer derzeitigen Sicherheitslage", so der Professor an der Universität Osnabrück. Eine Grundlage für eine Sicherheitsstrategie könne der Bericht somit nicht sein.
Der Rechtswissenschaftler weist zudem darauf hin, dass der aktuelle Bericht auf gerade einmal 180 Seiten eingedampft worden sei. Der vorherige habe einen Umfang von 700 Seiten gehabt. Auch sei bei der Erstellung die Wissenschaft nicht beteiligt gewesen. "Das sieht man allein schon am Umfang des Fußnotenapparats", so Sinn. Weiter moniert er, dass sich in dem Report keine Daten befinden, "die man nicht schon anderweitig finden könnte".
Viele Fragen blieben zudem offen, wenn es darum gehe, den Rückgang der erfassten Kriminalität zu erklären. Einen der wenigen Erklärungsversuche finde man beim Rückgang der Eigentumskriminalität hin zu Betrug, erläutert Sinn. Dabei spiele die Verlagerung ins Internet eine wichtige Rolle. Im Netz sei es für die "die Akteure" bequemer und sie würden sich dort zudem sicherer fühlen, "als das vielleicht im Offline-Bereich möglich war". Zudem hätten die Behörden auf Einbrüche reagiert, was Wirkung gezeigt habe.

Altbekannte Feststellung

Sinn hält es für das grundlegende Problem des Sicherheitsberichts, dass nicht hinterfragt worden sei, was dessen Rolle sein soll. Eigentlich sollte es dabei darum gehen, "die Sicherheitslage im Zusammenhang mit Kriminalität – auch vor dem Hintergrund organisatorischer, strategischer und operativer Maßnahmen – zu evaluieren und anzuschauen, wo wir in unserer Sicherheitsstrategie stehen".
Dafür müsste auch untersucht werden, "wie die einzelnen Sicherheitsbehörden miteinander arbeiten oder eben nicht miteinander arbeiten". Nur wenn dies geschehe, könne von einer sinnvollen Kriminalpolitik, die Präventions- und Repressionsstrategien umfasst, gesprochen werden, so der Strafrechtsexperte.
Sinn vermutet, dass der Bericht jetzt noch "auf den letzten Drücker" vorgelegt wurde, weil er im Koalitionsvertrag der scheidenden Bundesregierung vereinbart worden war. Zwar stimme die darin enthaltene Aussage, dass Deutschland eines der sichersten Länder der Welt ist. Doch im Hinblick auf die vorherigen Sicherheitsberichte sei dies auch nichts Neues.
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