Sibylle Lewitscharoff über die "Göttliche Komödie"

"Ein Großwerk der Poesie"

Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur.
Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur. © Deutschlandradio - Andreas Buron
07.07.2016
Sibylle Lewitscharoff lässt in ihrem neuen Roman "Pfingstwunder" 34 Dante-Gelehrte aufeinander treffen und über die "Göttliche Komödie" philosophieren. Das Literaturarchiv Marbach widmet dem Entstehungsprozess dieses Romans jetzt eine Ausstellung. Dante sei ein Großmeister der Poesie, sagt die Autorin.
Das Literaturarchiv Marbach zeigt die Ausstellung "Im Labyrinth der Kreise. Aus einer Dante-Roman-Werkstatt". Thematisiert wird darin die Entstehungsgeschichte von Sibylle Lewitscharoffs neuem Roman "Pfingstwunder", der im September erscheinen wird. Das Buch steht im Kontext zu Dantes "Göttliche Komödie" und beschreibt 34 Dante-Gelehrte bei einem Treffen in Rom. Die Autorin hat für das Ausstellungsprojekt Phantasieräume zu Dantes Dichtung in Papier geschnitten und so zum Leben erweckt. Gezeigt werden auch einige ihrer Notzbücher zum Projekt.

Was fasziniert Lewitscharoff an Dante?

"Zum einen ist es einfach eine hinreißende poetische Leistung. Das ist schon wirklich ein Großwerk der Poesie schlicht und ergreifend. Es ist unglaublich komplex, was Dante reingezogen hat in den gesamten Stoff. Das ist eigentlich das Welttheater der Zeit, sagen wir mal, von Florenz aus gesehen. Das ist wirklich riesig, was darin vorkommt. Und zum Zweiten ist das einer der ganz wenigen Stoffe, die im 20. Jahrhundert absolut virulent wurden."
Darstellung von Dantes "Göttlicher Komödie"
Zeitgenössische Darstellung von Dantes "Göttlicher Komödie" um 1900. Die Qualen der Verdammten in der Hölle.© imago/UnitedArchives
Auch von verweifelten Nazi-Opfern in Konzentrationslagern seien Dantes Verse rezitiert worden:
"Es gibt ja diese verrückten Geschichten, dass die Italiener im Konzentrationslager, also zum Beispiel Primo Levi, plötzlich, weil sie das in der Schule hatten, also reihenweise ihnen diese Dante-Verse aus der Hölle natürlich nur einfielen, und sie die den anderen Gefangenen rezitiert haben. Ein völlig unwahrscheinlicher Vorgang."
Sie hoffe, mit ihrem Roman viele neue Dante-Fans gewinnen zu können, die danach das Original lesen wollten.

Das Interview im Wortlaut

Dieter Kassel: Seit Jahren beschäftigt sich die Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff mit Dante Alighieris "Göttlicher Komödie". Im September erscheint ihr Roman "Das Pfingstwunder", in dem 34 Dante-Gelehrte aus aller Welt bei einem Treffen in Rom selbst tief hineingezogen werden in die Abgründe, die Dante beschreibt. Bereits heute aber wird im Deutschen Literaturarchiv in Marbach eine Ausstellung eröffnet mit dem Titel "Im Labyrinth der Kreise. Aus einer Dante-Romanwerkstatt". Diese Ausstellung zeigt fünf Notizbücher und fünf Szenenbilder, die Sibylle Lewitscharoff im Rahmen ihres Dante-Projekts selbst angefertigt hat. Schönen guten Morgen, Frau Lewitscharoff!
Sibylle Lewitscharoff: Guten Morgen!
Kassel: War das für Sie von Anfang an klar, dass eine Beschäftigung mit der "Göttlichen Komödie" nicht nur eine Beschäftigung mit Worten sein kann für Sie, sondern auch mit Bildern oder bildlichen Darstellungen?
Lewitscharoff: Das war mir insofern klar, als ich das fast immer mache bei größeren Romanprojekten. Und da ist es nun wirklich verlockend, weil Dante hat ja nicht nur eine Unmenge von Kommentaren und Übersetzungen weltweit hervorgerufen, sondern auch bildende Künstler en gros inspiriert. Da gibt es sehr viel und gute Sachen auch.

Gedanken zum Roman – handschriftlich

Kassel: Die Notizbücher, die zu sehen sind ab heute – heute Abend ist die Eröffnung, ab morgen regulär in der Ausstellung, die sahen für mich – ich habe sie nur auf Fotos gesehen – aber schon so aus, als seien es Werke, die Sie extra dafür angefertigt haben. Sind das echte Notizbücher aus Ihrer Arbeit?
Lewitscharoff: Die Notizbücher habe ich nicht für die Ausstellung angefertigt. Das mache ich eigentlich immer, bei jedem Romanprojekt. Die sehen auch, na ja, verschieden aus, aber das mache ich immer. Nur, ich habe speziell für die Ausstellung richtige Objekte gefertigt. Das war ein Auftrag von Marbach, und da gibt es fünf spezielle Objekte. Die sind dann noch eigens in Vitrinen größer ausgestellt.
Kassel: Aber selbst bei diesen Notizbüchern hatte ich das Gefühl, na ja, das sieht fast zu ordentlich aus für so ein Arbeitswerkzeug.
Lewitscharoff: Ja, das stimmt ein bisschen. Ich mache meistens noch so handschriftlich vorher auf Blättern so ein bisschen Notizen und übertrage das dann. Aber es ist trotzdem eine vorläufige Form. Das ist nie die ganz passende Romanform, die ich dann ans Lektorat liefere. Das ist es nie. Es sind auch Vorstudien, die gar nicht reinkommen in den Roman.
Kassel: Zu diesen Vorstudien, so sagt es zumindest Ihr Verlag, gehörte es für Sie auch, alle 50 mit Mühe und Not besorgbaren deutschen Übersetzungen der "Göttlichen Komödie" zu lesen. Wirklich? 50?
Lewitscharoff: Ja. Also nicht ganz durchlesen. Das muss man nun wirklich nicht. Aber ich hatte sie alle auf dem Tisch, ich hatte auch noch 20 Teilübersetzungen auf dem Tisch, also wirklich Stücker ungefähr, und habe dann nur Stichproben gemacht. Ich wusste so ungefähr natürlich, was ich ganz lesen muss, was ich ganz vergleichen muss. Aber ich habe natürlich nicht alle 70 durchgelesen. Da genügt es, wenn man bei einem Canto, den man nun wirklich, mit dem der Roman sich befasst, dass man mal kurz den durchgeht. Das geht dann schon schneller.
Kassel: Aber hatten Sie trotzdem das Gefühl – man sagt ja auf Englisch auch Interpreter zu Übersetzer –, hatten Sie das Gefühl, da gibt es eigentlich zumindest auf Deutsch 50 verschiedene "Göttliche Komödien"?

Glänzende Übersetzung aus dem 19. Jahrhundert

Lewitscharoff: Ja. Und es gibt ein paar glänzende, zehn Stück sind wirklich ganz ausgezeichnet. Und dann gibt es natürlich ziemlichen Mist auch, ist klar, oder Dinge, die dann zu Recht auch vergessen sind. Wenn ich eine vielleicht erwähnen darf, die ich ganz toll finde, das ist nämlich eine frühe aus dem 19. Jahrhundert, da hat König Johann von Sachsen, genannt Philalethes, eine wunderbare Übersetzung geleistet, eine Arbeit, die wirklich hochverdient ist, und es ist einer der ganz großen frühen Dante-Forscher auch im Deutschen – eine Glanzleistung.
Kassel: Ich glaube, dass in Deutschland, anders als in Italien natürlich, wo das zum Teil noch Schullektüre ist, viele Menschen, die über die "Göttliche Komödie" reden, die ungefähr wissen, worum es geht, sie nie gelesen haben. Und ich glaube, einer der Gründe ist auch, dass viele Angst davor haben, ein Buch zu lesen, das sie für so durch und durch düster halten. Nun wird Ihr Roman angekündigt als unterhaltsamer Roman über Dantes "Göttliche Komödie". Ist die also gar nicht so durch und durch düster?
Lewitscharoff: Nein. Die heißt ja auch nicht umsonst "Commedia", das heißt ja wirklich "Komödie", das darf man nicht ganz vergessen. Der Titel ist ja mit Bedacht gewählt. In der Hölle geht es finster zu, ganz klar, das ist ein sadistisches Kabinett, und meistens zitieren die Leute auch aus der Hölle, weil das irgendwie doch aufregend scheint zunächst. Im Purgatorium wird es leichter, also in der zweiten Abteilung, und in der dritten Abteilung, im Himmlischen Aufflug, sind es ja Glücksräusche, die da zelebriert werden. Also das stimmt nur in Bezug auf die Abteilung der Hölle, dass es da so finster und sadistisch auch zugeht.

Menschen für den Roman begeistern

Kassel: Aber wieso können Sie denn – natürlich könnten Sie jetzt einfach aus Werbegründen sagen, wer sich nicht ans Original traut, kann Ihren Roman lesen ab September – aber wieso würden Sie – und das würden Sie doch – den meisten Menschen empfehlen, auch mal wirklich die echte "Göttliche Komödie" zu lesen?
Lewitscharoff: Ja, das hätte ich gern, weil ich weiß, dass sehr viele auch gebildete Leute die "Commedia" nicht gelesen haben, sehr viele. Auch in meinem Umfeld tummelt sich ja da viel Volk, das sehr belesen ist. Aber die "Commedia" haben sie nicht gelesen. Homer natürlich, aber Dante eben nicht. Und ich möchte doch, ich finde es – es wäre mein heftiger Wunsch sogar, dass Menschen über meinen Roman ein bisschen begeistert werden, doch da mal selbst hineinzuschauen.
Kassel: Aber warum? Weil das eines der größten Werke unserer Literaturgeschichte ist, also unserer gemeinsamen, natürlich der italienischen im Besonderen, oder weil es auch heute, im Jahr 2016, uns noch etwas sagt über das Leben und die Menschen?

Hinreißende poetische Leistung

Lewitscharoff: Zum einen ist es einfach eine hinreißende poetische Leistung. Das ist schon wirklich ein Großwerk der Poesie schlicht und ergreifend. Es ist unglaublich komplex, was Dante reingezogen hat in den gesamten Stoff. Das ist eigentlich das Welttheater der Zeit, sagen wir mal, von Florenz aus gesehen. Das ist wirklich riesig, was darin vorkommt. Und zum Zweiten ist das einer der ganz wenigen Stoffe, die im 20. Jahrhundert absolut virulent wurden, und zwar, es gibt ja diese verrückten Geschichten, dass die Italiener im Konzentrationslager, also zum Beispiel Primo Levi, plötzlich, weil sie das in der Schule hatten, also reihenweise ihnen diese Dante-Verse aus der Hölle natürlich nur einfielen, und sie die den anderen Gefangenen rezitiert haben. Ein völlig unwahrscheinlicher Vorgang.
Kassel: Das Buch – also Ihr Buch, nicht das – Dantes "Komödie" gibt es schon ganz schön lange –, Ihr Buch erscheint im September, und in Anbetracht der Ausstellung, die heute in Marbach eröffnet wird, habe ich natürlich die Frage, wird es denn Illustrationen enthalten? Das ist ja bei diesem Text relativ üblich gewesen in vielen Ausgaben. Wird man zum Beispiel die Szenenbilder, die Sie angefertigt haben, die es in Marbach zu sehen gibt, als Abbildungen auch sehen in Ihrem Buch?
Lewitscharoff: Nein. Das war auch insofern gar nicht möglich, weil ich erst den Roman geschrieben habe, dann ging der ins Lektorat, und dann erst habe ich die Objekte für Marbach gefertigt. Das hätte der Verlag gar nicht machen können. Das war so ein bisschen hintereinander. Und mit den Notizbüchern wollte ich da jetzt nicht rein, weil die haben etwas so Unfertiges. Ich wollte wenn, dann – aber es könnte sein, dass der Verlag mal eine kleine illustrierte Sache dann noch macht.
Kassel: Und wenn er es nicht macht, kann man diese Ausstellung, die heute eröffnet wird, immerhin bis zum 27. November sehen im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar. Und das Buch, der neue Roman von Sybille Lewitscharoff, "Das Pfingstwunder", erscheint am 11. September. Frau Lewitscharoff, ich danke Ihnen sehr und wünsche uns allen, dass jetzt Leute sowohl Ihren Roman als auch die Original-"Komödie" lesen.
Lewitscharoff: Ich danke Ihnen fürs Gespräch. Adieu!
Kassel: Danke schön, schönen Tag, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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