Sibylle Bergs "Wonderland Ave." am Schauspiel Köln

Jeder gegen jeden

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Regisseur Ersan Mondtag bringt Sibylle Bergs neues Stück "Wonderland Ave." im Schauspiel Köln auf die Bühne © Birgit Hupfeld
Ulrike Gondorf im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 08.06.2018
Der Mensch dankt ab und lässt sich von Maschinen dominieren, darum geht es in Sibylle Bergs Stück "Wonderland Ave.". Am Schauspiel Köln ist das Stück jetzt uraufgeführt worden, in der Regie von Ersan Mondtag. Die Begeisterung über das Ergebnis der Zusammenarbeit hält sich bei unserer Kritikerin aber in Grenzen.
"Wonderland Ave." – wohlklingende Adresse, was gibt es da? Ein Lager, in dem überflüssige Menschen entsorgt werden. Welche Menschen sind überflüssig? Mehr oder weniger alle, prophezeit Sibylle Berg in ihrem neuen Stück, dessen Uraufführung Ersan Mondtag am Schauspiel Köln inszeniert hat. Die Maschinisierung und Digitalisierung unseres Alltags ist ebenso rapide wie schleichend fortgeschritten in dieser rabenschwarzen und gleißend komischen Dystopie.

Gnadenloser Konkurrenzkampf

Nicht nur einfache Arbeit braucht keine Menschen mehr, irgendwann werden selbst die großen Internet-Gurus und genialen Programmierer überflüssig. Die Künstliche Intelligenz optimiert sich selber. Und kümmert sich darum, die traurigen Subjekte von der Straße zu holen, die erst ihren Job, dann ihre Wohnung und schon lange ihre Selbstachtung verloren haben. Und weil die Roboter gut gelernt haben, was Menschen eigentlich brauchen, ist das Wonderland genauso organisiert wie die Welt: in einem gnadenlosen Konkurrenzkampf jeder gegen jeden um einen nebulösen Preis, den "perfekten Zustand".
Und – das ist Sibylle Bergs traurigste Pointe – den können sich die früheren Menschen gar nicht anders vorstellen als so, wie ihr Elend angefangen hat: der totale Komfort mit den neuesten Apps, die gern genommen werden ohne jeden Gedanken an die Preisgabe der Informationen, Streaming ohne Ende, WLAN, Flat Rates und in jedem Zimmer einen ebenso flachen Screen.
Die Schriftstellerin Sibylle Berg nimmt an der Internetkonferenz "re:publica" teil.
Die Schriftstellerin Sibylle Berg nimmt an der Internetkonferenz "re:publica" teil.© dpa/Jens Kalaene
Sybille Berg teilt ihr Stück in zwei Textstränge. Einen weist sie der "Person" zu, dass sind die nicht sehr intelligenten "Biomenschen", und den anderen dem "Chor", den Vertretern der künstlichen Intelligenz. Der Text ist, wie man Sibylle Berg kennt: sarkastisch, trocken, witzig und gemein. Man liest das Stück mit Vergnügen.

Extreme, skulpturenartige Kostüme

Leider gibt es wenig Synergie-Effekte mit dem Theater von Ersan Mondtag, das ja geradezu reflexhaft mit dem Wort "bildgewaltig" etikettiert wird. Und da sind sie auch in Köln wieder: die extremen, skulpturenartigen Kostüme, mit denen er die Roboter zu Zombies aus den Kindertagen des Frankenstein-Films macht. Ein fast naiver Einfall, denn bei Sibylle Berg sind sie natürlich längst die perfekteren, die wendigeren, die überzeugenderen Menschen.
Ersan Mondtag baut auch wieder magisch bunt beleuchtete Bilder, in denen sich lange choreographisch-musikalische Sequenzen abspielen. Diese gewichtigen Kunstanstrengungen lässt Sibylle Bergs boulevardeskes Parlando ins Leere, wenn nicht ins Lächerliche laufen. Und Mondtags Desinteresse an der Sprache schwächt das Stück auf seiner stärksten Seite.
Berg lebt von Pointen, Untiefen, entlarvendem Wortwitz. Mondtag entscheidet sich dafür, als eine seiner beiden "Personen" die Performerin und ehemalige Forsythe-Tänzerin Kate Strong zu besetzen, deren körperliche Qualitäten natürlich eindrucksvoll sind. Aber ihr Deutsch reicht bei Weitem nicht aus, um den Text auch nur verständlich ans Publikum zu bringen. Was immer Mondtag gesucht haben mag, das kann Sibylle Berg nicht liefern; und was sie liefern kann, das nutzt er nicht.
So hat man mehr Erkenntnis und bei Weitem mehr Spaß davon, Sibylle Bergs "Wonderland Ave." zu lesen als auf der Bühne zu sehen. Aber das könnte sich ändern. Denn es sieht ganz so, als würde diesem erschreckend komischen Stück seine Aktualität nicht so bald abhanden kommen. Und vielleicht nimmt es ja mal jemand an die Hand, der genug von Konversationsstücken versteht, um sie subversiv zu machen.
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