Show „Springsteen On Broadway “

Bruce Springsteen berührt mit seiner Geschichte

Bruce Springsteen singt bei einem Auftritt 2016 in Chicago auf der Bühne in ein Mikrofon. Hände recken sich ihm entgegen.
Bruce Springsteen bei einem Auftritt 2016 © picture alliance / dpa / Nuccio DiNuzzo
Von Harald Mönkedieck · 17.12.2018
In seiner Show am Broadway in New York gelingt dem 69-jährigen Bruce Springsteen Erstaunliches: Er erzählt seine Geschichte, spielt seine Songs leise und eindringlich - und bewirkt damit eine stille Verbindung der Menschen im Publikum untereinander. Bei nicht wenigen fließen Tränen.
Es war eine intime Veranstaltung, in der das Charisma des Künstlers den Theaterraum mühelos füllte, schon nach den ersten selbstironischen Worten. Springsteen gab sich dabei als Mann der Täuschung aus, als Schwindler mit einem Zaubertrick: Wie man aus vielen Einzelnen eine Gemeinschaft macht.
"1972 war ich kein Rebell mit einem Rennwagen, kein Punk von der Straßenecke. Ich war ein Gitarrist auf den Straßen von Asbury Park. Aber ich hatte vier Asse in der Hand: meine Jugend, ein Jahrzehnt harter Bar-Band-Erfahrung, eine tolle Gruppe von Musikern und Freunden, die meinen Stil gut kannten - und ich hatte einen Zaubertrick…"
Bruce Springsteen agierte in seiner Show - bis auf zwei Duette mit Ehefrau Patti Scialfa - ganz allein. Schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans, schwarze Stiefel. Zwei Drittel Wort, ein Drittel Musik, auch am Flügel intoniert. Dazu ein schwarzgraues minimalistisches Bühnendesign: dunkle Backsteinwand, ein paar Equipment-Koffer, wenig Beleuchtung. Wie eine Black Box, aus der der Künstler seine Geschichte erzählt, mit dramatischem Geschick und dem Talent eines Schauspielers. Der Anfang rein autobiografisch: Kindheit, Erweckungserlebnisse mit Elvis Presley, Heimatort, Vater, Mutter, Katholizismus, Freiheitsstreben, Rock’n’Roll-Utopien der formativen Jahre. All das ist Springsteen - Fans gut bekannt. Genau wie die alles prägende Perspektive aus der Provinz von New Jersey - im Angesicht der großen Stadt New York.

Aus dem "Ich" wird das "Wir"

"New York war eine Million Meilen entfernt von der Jersey-Küste. In meinem kleinen Ort kannten wir als Kinder keinen, der jemals in New York gewesen wäre. Obwohl es nur eine Stunde entfernt war! Man hätte genauso gut zum Mond fahren können. Wir waren Provinzler. Jeder hatte Angst. Angst vor der großen Stadt."
Bruce Springsteen spielt seine Songs dann sehr leise und eindringlich. Im Lauf des rund zweieinhalbstündigen Abends gelingt Springsteen Erstaunliches: Seine Geschichte wird auf einer weiteren Ebene auch die seiner Hörer. Er ist offenbar wirklich das, was man in ihm sehen möchte: beständig, ehrlich, wahrhaftig, charakterstark. Aus dem "Ich" des Anfangs wird allmählich das "Wir". Der Mann aus New Jersey wird zu einer Stimme für alle, die auf seiner Seite stehen. Im Konflikt mit den aktuellen politischen Verhältnissen und mit Teilen des eigenen Erbes. Der Rockstar Springsteen reduziert sich auf eine Essenz als Mensch, als Suchender, als aufgebrachter liberaler Amerikaner. Mit all dem Hass auf den Straßen und Unmenschlichkeit an der Grenze.
"Dinge, von denen ich dachte, sie nie wieder in meinem Leben sehen zu müssen. Dinge, von denen ich dachte, sie seien für immer tot und vergangen. Wir sind zu weit gekommen und haben zu hart dafür gearbeitet, zu viele gute Leute haben einen zu hohen Preis mit ihrem Leben gezahlt, als dass wir das jetzt wieder zulassen könnten."

Springsteen spart Niederlagen nicht aus: Depressionen, Verluste, Konflikte. Gemeinsam mit Ehefrau Patti beschwört er in zwei Songs den Wert einer langen Partnerschaft - und nach zwei Dritteln des Abends liegen die Emotionen im Publikum frei. Bei nicht wenigen fließen Tränen. Wie ein Schamane bringt Springsteen Geister der Vergangenheit in den Raum. Die Familie, das Erwachsen- und Älterwerden, die Macht der Erinnerung. Es führt zu einer stillen Verbindung des Auditoriums untereinander. Springsteen weiß von der vereinigenden Macht dieser Gefühle, erzählt vom eigenen Streben nach vertrauter Kommunikation mit seinen Geistern, der übergeordneten Motivation als Sänger.

"Zaubertrick" des Performers

"Die Seele ist eigensinnig. Sie löst sich nicht so schnell auf. Seelen bleiben. Hier in der Luft, im leeren Raum, in den verstaubten Wurzeln. Auf den Bürgersteigen, von denen ich jeden Zentimeter kannte als Kind, wie meinen eigenen Körper… Darum singen wir. Für unsere Blutsbande und unsere Leute, denn das ist alles, was wir haben am Ende des Tages. Wir haben einander… und vielleicht suche ich danach, wenn ich jetzt wieder dorthin gehe. Ich möchte mit den alten Geistern verkehren, in ihrer Gegenwart sein, ihre Hände noch einmal auf mir spüren."
Und wenn der 69-jährige Bruce Springsteen am Ende seinen wichtigsten Song "Born To Run" singt, geschrieben mit 24, dann hat der Abend sich längst zu einem intensiven Erlebnis entwickelt, ohne das athletische Pathos einer E-Street-Band-Show. Es ist der "Zaubertrick" des Performers: Eins und Eins macht Drei. "Ich" plus "ihr" gleich "wir".
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