Shitstorm für Schweizer Hotel

Duschhinweis für jüdische Gäste - ein antisemitischer Akt?

Ein alter Duschkopf einer Dusche an einem Pool, im Hintergrund blauer Himmel mit Wolken
Ein Schweizer Hotel hat einen Shitstorm ausgelöst, als es sich mit dem Hinweis speziell an seine jüdischen Gäste wandte, vor dem Baden im Pool doch bitte duschen zu gehen. © imago/Westend61
Von Arno Orzessek · 20.08.2017
Die Aufforderung "an unsere jüdischen Gäste, sich vor dem Swimmingpool-Besuch zu duschen" in einer Appartementanlage in der Schweiz hat scharfe Kritik und einen sogenannten Shitstorm ausgelöst. Dieser Fall offenbart die Tücke von Vorurteilen, kommentiert Arno Orzessek mit Immanuel Kant.
Gewiss war es unsensibel, den Hinweis an den Eingang zum Hotel-Pool zu kleben. Womöglich war es auch eine Dummheit. Auf keinen Fall aber handelte sich um einen "antisemitischen Akt übelster Art", wie ihn die israelische Vize-Außenministerin Tzipi Hotovely beklagt. Denn Antisemitismus ist pauschale Judenfeindlichkeit beziehungsweise Judenfeindlichkeit aus rassistischen, nationalistischen oder sozialdarwinistischen Gründen.
Dass eine solche Haltung der Hotelleitung fern liegt, kann als gesichert gelten. Das Haus ist seit langem unter jüdischen Gästen beliebt. Tatsächlich offenbart der Fall die Tücke von Vorurteilen. Immanuel Kant unterschied in seinen Logik-Vorlesungen zwischen den bloß "vorläufigen Urteilen" und den echten Vorurteilen. Vorläufige Urteile, der Name sagt es, beanspruchen keine letzte Gültigkeit.
Ein Vorurteil dagegen ist nach Kant ein vorläufiges Urteil, das fälschlicherweise für endgültig - im Sinne von 'endgültig richtig' - gehalten und zum Prinzip erhoben wird. Und genau das macht die israelische Vize-Außenministerin. Sie unterstellt dem Schweizer Hotel letztlich, ein solches Vorurteil gegen Juden zu pflegen. Ausformuliert würde es lauten: Juden halten sich per se nicht an die Bade-Ordnung! Das wäre in der Tat Antisemitismus – und Hotovely im Recht.

Das Vorurteil liegt auf Seiten der israelischen Vize-Außenministerin

Die Hotelleitung jedoch hat die jüdischen Gäste angesprochen, weil einige von ihnen wiederholt ungeduscht im T-Shirt in den Pool gestiegen sind. Sie hätte sich klugerweise an sämtliche Hotel-Gäste wenden sollen, keine Frage. Aber sie hat nicht Juden generell als Dusch-Muffel diffamiert - was eine verwerfliche Fortschreibung des Klischees vom unreinen Juden gewesen wäre. Nein, das Vorurteil liegt viel eher auf Seiten Hotovelys.
Denn sie geht einfach davon aus, dass der Hinweis auf die konkrete Missachtung der Bade-Ordnung durch einige Juden nur ein feindlicher Akt gegen alle sein kann. Laut Kant entstehen solche irrigen Urteile schlicht "aus Mangel an Überlegung". Und in der Tat scheint es so, als habe Hotovely ihren Vorwurf nicht nach Studium der Sachlage, sondern unüberlegt und reflexhaft ausgesprochen. Nolens volens der unhaltbaren Maxime folgend: Wer Juden zur Ordnung ruft – egal warum –, ist ein Antisemit.

Forderung, das Hotel schließen zu lassen

Noch weniger Überlegung als Hotovely hat das Simon-Wiesenthal-Zentrum investiert. Dessen Forderung, das Schweizer Hotel sofort zu schließen, ist angesichts der Gelassenheit der jüdischen Gäste selbstherrlich und ignorant. Hier verursachte das Vorurteil eine absurde Überreaktion.
Jedoch ist der negative Charakter des Vorurteils, der durch Kant und das Zeitalter der Aufklärung geprägt wurde und bis heute dominiert auch philosophisch hinterfragt worden. Insbesondere von Hans Georg Gadamer. Für ihn bezeichnet "Vorurteil" den Umstand, dass Menschen neuen Erfahrungen stets mit einem vorstrukturierten Bewusstsein entgegentreten. Wie sie die Erfahrung verstehen, ist abhängig von ihrer individuellen Lebensgeschichte inklusive ihrer Bildung.

Vorurteile als Grundbedingung allen Verstehens

Für Gadamer sind Vorurteile also keine Fehler im System korrekter Urteile, sondern die produktive Grundbedingung allen Verstehens. Nimmt man Gadamers Begriff von Vorurteil, lässt sich gut erklären, warum Tzipi Hotovely und das Wiesenthal-Zentrum alarmiert waren, als die Nachricht aus dem Schweizer Hotel umging. Ihr Vorurteil besagte, dass sich auf Schildern mit einer direkten Ansprache von Juden schon oft Antisemitismus ausgedrückt hat.
Doch nach dieser ersten plausiblen Reaktion wäre es nötig gewesen, nachzufragen und nachzudenken, anstatt auf den Putz zu hauen. So wie es gelaufen ist, muss man zu dem vorläufigen Urteil kommen, dass Hotovely und das Zentrum empfindliche Vorurteile haben – und zwar von der negativen Sorte im Sinne Kants.
Mehr zum Thema