Shirley Davis und Gizelle Smith

Karrieresprung in Europa

Gizelle Smith in Aktion
Gizelle Smith in Aktion © imago stock&people
Von Martin Risel · 12.04.2018
Wie klingt europäischer Deep Funk/Retro Soul? Die aufregendere Stimme hat Shirley Davis, das bessere Album Gizelle Smith. Beide sprechen über ihre Erfahrungen mit der europäischen Soul-Szene.
"Ich heiße Shirley."
Ein paar Brocken Deutsch, geboren in London, 20 Jahre in Down Under als "Diva des australischen Soul", jetzt drei Jahre in Madrid und schon wird sie "the soul queen of Europe" genannt: Shirley Davis. Die fast 44-jährige begnadete Soul-Röhre zehrt viel vom Ruhm großer Vorbilder, die sie persönlich gefördert haben: Marva Whitney und Sharon Jones. Letztere hat sie bei einem Konzert in Spanien auf die Bühne geholt.
So wurde Shirley Davis von der führenden spanischen Soul-Schmiede Tucxone Records entdeckt. Mit der großartigen Hausband The Silverbacks und produktionstechnischem Background ein bisschen wie Daptone Records in New York.

Für Shirley Davis ist Europa ein großer Karrieresprung

In Australien hat sie sich zuletzt auf Kreuzfahrtreisen verkaufen müssen. Der Sprung über den Ozean bedeutet …
"Also für mich jetzt: Mehr Geld! Es gibt hier aber auch mehr künstlerische Freiheit, mehr Zusammenarbeit. Und die Musik- und Festival-Szene boomt im Moment."
Shirley Davis nutzt die neue Freiheit: Ihr Debut vor zwei Jahren war grandios, der Nachfolger "Wishes and Wants" hat jetzt nicht mehr ganz so viele gute Songs. Der Thron der "europäischen Soulqueen" wackelt, wenn man noch nicht mal außerhalb von Spanien getourt hat. Und die iberische Halbinsel ist nicht gerade Kernland der Bewegung.
"Ich glaube, die Soul-Szene in Spanien kann und wird größer werden, diese soul vibrations breiten sich aus. Aber man schaut sehr auf die 60er und 70er zurück."

Soul in den USA ist individueller

"Meine stärkste Kritik an der Funk- und Soulszene in Europa ist: Viele Musiker arbeiten hier zu hart daran, einen bestimmten Sound zu reproduzieren. In den USA gibt es individuellere Ansätze. Und ich mag es, wenn sich etwas weiterentwickelt. Deshalb ziehe ich die US-Sachen dem Funk und Soul aus Großbritannien oder Europa vor."
Gizelle Smith, Riesentalent der britischen Soul-Szene, liebt die gleichen Vorbilder wie Shirley Davis, fordert aber Weiterentwicklung statt Stillstand. Kein Wunder: Großbritannien hat den größten Soul-Output in Europa. Da muss man sich behaupten. Und so sucht die "sister funk queen" aus Manchester auch den Markt jenseits der britischen Insel, spielt in Warschau, Sofia und Moskau, tourt durch Deutschland, Holland und vor allem Frankreich.
"Französische Soul-Künstler sind nicht so angesagt, weil die Leute das wohl nicht so gern in französischer Sprache hören. Man schaut lieber nach internationalen Künstlern. Deshalb bin auch ich da so erfolgreich. Frankreich ist bei mir Nummer 1."

Glaubwürdiger Soul aus Europa gelingt nicht immer

Auch in Deutschland war Gizelle Smith schon erfolgreich mit der Hamburger Soul-Institution Mocambo Records. Das Label und die Hausband leitet Björn Wagner. Sein Bruder Steffen ist in London Produzent und Komponist für Gizelle Smith und Kenner der europäischen Szene.
"Also in Frankreich hatte ich immer den Eindruck: Das ist schon der größte Markt. Und in England, klar, es gibt hier sehr viele Labels. Und die Szene selbst, da ist hier schon extrem viel los. Das hat ja auch ein bisschen mit der Sprache zu tun, es ist ja irgendwie ‘ne englischsprachige Musik. "
Tatsächlich: Glaubwürdiger Soul auf Deutsch, Französisch oder Spanisch gelingt nicht immer. Gizelle Smith textet auf Englisch sehr nah entlang eigener Erfahrungen. Auch deshalb klingt ihr Album so rund. Zum Geldverdienen muss sie aber heraus aus der britischen Szene mit ihren vielen Künstlern und Labels.
"Es ist immer so’n Denken: Ja, wir müssen nach Frankreich rein, weil da kann man recht schnell recht groß werden. Die kommen ja alle hierher nach England, die kontemporären soul artists. Aber es sind dann drei, vier Gigs und die spielen in Frankreich halt 30 amtliche Gigs."
Da kommen beide Sängerinnen, die mit ihren jetzt jeweils zweiten Alben die europäische Szene erobern wollen, noch nicht heran. Bis zum Titel als "soul queen of Europe" bleibt noch Eroberungspotenzial. Die aufregendere Stimme dazu hat Shirley Davis, das bessere Album Gizelle Smith.

Vor kurzem erschienen: "Wishes and Wants" von Shirley Davis and the Silverbacks. "Ruthless Day" von Gizelle Smith (am 24. Mai live im Hamburger Mojo Club).

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