Sharleen Spiteri

"Früher dachte ich, ich wäre ein totaler Rebell"

Sharleen Spiteri, Sängerin der schottischen Band Texas, bei einem Konzert in Madrid am 17. November 2015
Sharleen Spiteri, Sängerin der schottischen Band Texas, bei einem Konzert in Madrid am 17. November 2015 © Foto: Kiko Huesca
Sharleen Spiteri im Gespräch mit Andreas Müller · 03.11.2017
In knapp 30 Jahren Bandgeschichte haben Texas rund 40 Millionen Tonträger verkauft. Hits wie "Halo", "Summer Son" oder "Say What You Want" gehen auf ihr Konto. Im Interview spricht Sängerin Sharleen Spiteri über die Motivation, weiterzumachen, das neue Album – und die Zusammenarbeit mit Rammstein.
Andreas Müller: Fast 30 Jahre Texas – es gab viele Höhen und ein paar Tiefen. Sie machen immer weiter. Warum? Was lässt Sie immer weitermachen in diesem verrückt gewordenen Musikgeschäft?
Sharleen Spiteri: Die Liebe. Die Liebe zur Musik, zum Schreiben, die Fans, von denen es immer mehr gibt. Jede Band, die über einen längeren Zeitraum besteht, erlebt Höhen und Tiefen. Dass es uns noch gibt, liegt, denke ich, daran, dass wir alle immer noch an unsere Musik glauben. Etwas anderes als Musikmachen können wir auch gar nicht. Das spricht auch fürs Weitermachen.
Müller: Aber wie fühlt es sich denn an im heutigen Geschäft, wenn Streaming-Services herrschen und das Geld nur noch reinkommt, wenn man auf Tournee geht?
Spiteri: Die Wahrheit ist doch: Technik hat etwas Fantastisches. Genauso die Art, wie wir heute Musik konsumieren. Bei Streaming-Diensten stößt man immer wie auf tolle Titel, von denen man sonst nirgendwo etwas mitbekommen hätte. Das eigentliche Problem für uns Musiker ist also nicht Spotify oder die Technik an sich, sondern eine Gemengelage aus verschiedenen Entwicklungen: der Niedergang der alten Musikindustrie, das Verschwinden der Superstars, und dass manche Musiker Spotify geradezu in den Hintern kriechen. Was klar sein muss: Ohne Musiker gäbe es keine Musik, um sie bei Spotify abzuspielen.
Der Respekt vor uns Musikern ist zuletzt generell stark gesunken, und er muss unbedingt wieder hergestellt werden. Wir müssten heute beim Komponieren eigentlich auf so viele Dinge achten: wie unsere Songs produziert werden, wie lang sie sein sollen, wie lang die Pausen zwischen zwei Titeln sein dürfen ... Es gibt etliche Leute, die uns Vorgaben machen wollen. Als Band müssen wir uns überlegen, ob wir da mitmachen wollen. Aber ich glaube, in diesem Bereich tut sich gerade etwas: Es gibt eine neue Generation von Musikern, die sich nicht reinreden lassen. Für die bietet Spotify neue Möglichkeiten. Letztlich werden aber die Nutzer entscheiden, wer und was sich durchsetzen wird.

"Wir machen nur das, was uns gerade passt"

Müller: Als Sie angefangen haben, waren Sie ziemlich jung. Die Musik aber war eher in Erwachsenen-Geschichten gegründet. Man hörte Blues-Zitate und so etwas. Das war ja nicht typisch zu der Zeit. "Jump On Board" ist wieder eine Geschichte, die nicht mit unserem zeitgenössischen Sound zusammenpassen will. Es geht offensichtlich nur ums Songwriting, die Qualität der Lieder, die da entstanden sind. Was ist eigentlich das Geheimnis, Sie zu sein?
Spiteri: Dass es keine Regeln gibt. Innerhalb der Band haben wir uns nie irgendwelche Beschränkungen auferlegt. Wir machen nur das, was uns gerade passt, entdecken alte und neue Musik, von der wir uns beeinflussen lassen. Vorhin haben Sie den Wu-Tang Clan erwähnt, und dann gibt es meine Aufnahmen mit Rammstein. Manche Leute fragen sich, wie das alles zusammenpassen soll. Das Tolle ist, es passt nicht, und trotzdem funktioniert's – solange wir Musiker untereinander eine gemeinsame Basis finden. Solche Kollaborationen sind interessant für uns, weil sie uns auf Ideen bringen, auf die wir von alleine nie gekommen wären.
Als ich jung war, wollte ich bei einer Band einsteigen, weil ich nirgendwo sonst einen Platz für mich gesehen habe. Ich hatte diesen verrückten Traum, Songs schreiben zu wollen. Ich wollte unbedingt kreativ sein, weil es in der Welt der Kunst keine Regeln gibt. Und das gilt bis heute für mich. Warum sollte sich das auch ändern?
Müller: Glasgow hat eine interessante Szene. Wenn Sie sagen, es gibt keine Gesetze, keine Regeln in der Musik von Texas – ist das vielleicht auch etwas Typisches für den Sound von Glasgow, wenn so ein Sound überhaupt existiert. Ich habe ja ein bisschen Orange Juice in der Musik gehört, aber das ist nur so eine Vermutung.
Spiteri: Johnny McElhone schreibt mit mir zusammen die Songs und ist außerdem Bassist der Band. Wir haben Texas gemeinsam gegründet. Er spielte vorher schon in anderen Formationen, die ziemlich stark vom Glasgow-Sound der frühen Achtziger beeinflusst waren. Zum Beispiel hatten die diese typischen Jangle-Pop-Gitarren, die ja auch zu Orange Juice und der ganzen Szene drum herum gehörten. Und auch, als sich dann noch der Funk zum Glasgow-Sound mischte, war Johnny mittendrin. Und lustigerweise – es kommt ja alles wieder im Pop – lustigerweise hatte der alte Glasgow-Sound tatsächlich großen Einfluss auf unser aktuelles Album "Jump On Board".

"Ich gehe viele Dinge langsamer an"

Müller: Ich kann es verraten, weil es auch bei Wikipedia steht, jeder kann es sehen: In ein paar Tagen werden Sie Ihren 50. Geburtstag feiern. Angst?
Spiteri: Alle sind sich unsicher, ob sie mich darauf ansprechen können. Ich antworte dann: aber auf jeden Fall! Ich freue mich total auf meinen Geburtstag. Ich bin sowieso im Moment sehr zufrieden: Alle Konzerte in Großbritannien waren ausverkauft, jetzt sind wir noch bis zum 20. Dezember unterwegs. Wir spielen drei Nächte hintereinander in Paris, und das erste Konzert davon fällt auf meinen 50. Geburtstag. Ich mache heute das, wovon ich als Teenager geträumt habe. Seit 30 Jahren trete ich zusammen mit Texas auf. Ich bin sehr stolz darauf, was wir gemeinsam erreicht haben. Es ist eine Ehre für mich, das immer noch machen zu dürfen.
Wissen Sie, wenn man alt wird, sieht man manche Dinge anders denn als Teenager. Früher dachte ich, ich wäre ein totaler Rebell, ein Punk – und das war mir wichtig. Heute ist mir das komplett egal. Ich gehe viele Dinge langsamer an und habe dafür mehr Spaß an ihnen. Zurzeit mehr als je zuvor.
Müller: Damals haben Kritiker gesagt: Texas, das ist eine One-Hit-Wonder-Band. Sie haben diese Kritiker Lügen gestraft. Aber wie lange wird diese Band noch weitergehen?
Spiteri: Ich weiß es nicht. Es könnte morgen schon vorbei sein. Es gibt überhaupt keinen Plan. Und was Kritiker sagen oder gesagt haben, ist mir sowieso egal. Wir machen mit Texas die Musik, auf die wir Lust haben, wir sind alle beste Kumpels und können ein schönes Leben führen. Und das, wissen Sie, ganz außerhalb irgendwelcher Gesetzmäßigkeiten.
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