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Konfliktlinien auf Zypern
Warten auf Wiedervereinigung oder endgültige Teilung

Die Coronakrise verstärkt auf Zypern die Teilung. Die Checkpoints wurden geschlossen, sodass auch in der Hauptstadt Nikosia niemand mehr auf die jeweils andere Seite kommt. Zudem sind die Wahlen im Norden verschoben. Die könnten entscheiden, ob es eine endgültige Teilung oder eine Wiedervereinigung gibt.

Von Manfred Götzke und Christian Buttkereit | 01.05.2020
Schriftzug "Your Wall Cannot Divide US" - "Eure Mauer kann uns nicht trennen" - an der Grenze zwischen Nord- und Südzypern, die durch die Stadt Nicosia verläuft
Die Stadt Nikosia ist inzwischen die einzige geteilte Stadt Europas (Deutschlandradio/ Manfred Götzke)
Macht keinen Schwachsinn, macht die Grenzen auf", rufen knapp 50 Menschen auf beiden Seiten Nikosias – der letzten geteilten Hauptstadt Europas. Nur ein paar Meter sind die Demonstranten voneinander entfernt – und doch sind diese paar Meter nun wieder unüberwindbar. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren.
Zwischen den Protestierenden stehen Eisenbarrieren und fast doppelt so viele UN-Soldaten und Polizisten. Der Checkpoint an der Ledra-Straße im Zentrum Nikosias, wo seit 2008 Zyprer wie Touristen nach flüchtiger Ausweiskontrolle die Seiten wechseln – er ist zu.
Angst vor der endgültigen Teilung
Noch Tage bevor es den ersten Coronafall auf Zypern gab, hat die griechisch-zyprische Regierung vier der neun Checkpoints auf der geteilten Insel dicht gemacht. Einseitig, ohne sich mit der türkischen Seite abzusprechen. Die offizielle Begründung der zyprischen Regierung: das Coronavirus. Die Friedensaktivistin Christina Valanidou hält das für einen Vorwand.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

"Wir sind hier, weil wir gegen die Schließung der Checkpoints sind. Griechische wie türkische Zyprer. Das wird nicht gemacht, um gegen das Coronavirus zu kämpfen, das hat politische Gründe. Wir wollen nicht, dass die Kommunikation, der Austausch zwischen beiden Volksgruppen jetzt gestoppt wird – wir versuchen, miteinander zu sprechen – unsere Probleme zu lösen."
Valanidou und ihr Mitstreiter Sener Elcil fürchten, dass die Insel endgültig geteilt werden könnte. Die beiden engagieren sich in der "Friedensinitiative für ein vereintes Zypern". Beide stehen auf der griechisch-zyprischen Seite der Grenze. Der türkische Zyprer Elcil hat über eine Stunde gebraucht, um über Umwege hierher zu kommen.
Christina Valanidou (rechts) und Sener Elcil am geschlossenen Checkpoint an der Ledra-Straße in Nicosia
Christina Valanidou (rechts) und Sener Elcil am geschlossenen Checkpoint an der Ledra-Straße in Nikosia (Deutschlandradio/ Manfred Götzke)

"Wir haben so lange unter außergewöhnlichen Bedingungen gelebt. Wir wollen, dass das Leben hier auf der Insel wieder normal ist, dass unsere Insel wieder vereint ist."
"Rassismus und Nationalismus nehmen auf beiden Seiten zu"
Nach einem von der griechischen Militärjunta unterstützten Putsch gegen die zyprische Regierung und Massakern an der türkischen Volksgruppe marschierten Truppen aus der Türkei 1974 in den Nordteil der Insel ein. Tausende Soldaten und Zivilisten kamen bei den Kämpfen um, bis heute werden Hunderte vermisst.
Seitdem teilt eine 180 Kilometer lange Pufferzone Nikosia und die gesamte Insel. In die türkische Republik Nordzypern, die nur von der Türkei anerkannt ist - und die Republik Zypern. Erst seit 15 Jahren gibt es überhaupt Checkpoints, an denen die Bürger auf die jeweils andere Seite gelangen können.
Elcil blickt zu seinen Landsleuten auf der anderen Seite, schüttelt den Kopf. Seit Jahren kämpfen sie für eine Wiedervereinigung Zyperns, es scheint vergeblich: "Nationalismus und Rassismus nehmen auf beiden Seiten zu – was hier passiert, stärkt nur die Leute, die eh für die endgültige Teilung der Insel sind, für eine Zweistaaten-Lösung. Das steckt wirklich dahinter."
Kampf um die Gasvorkommen vor der Küste
Seit Wochen brodelt der Konflikt um Gasreserven vor der Küste der Insel. Ohne sich mit den türkischen Zyprern zu beraten, hat die griechisch-zyprische Regierung Gaslizenzen an internationale Energiekonzerne vergeben. Der Norden wie dessen Schutzmacht Türkei fühlen sich übergangen. Nun suchen türkische Erkundungsschiffe, eskortiert von der Kriegsmarine, ebenfalls nach Gas. Und zwar auch in Küsten-Gebieten, die der Süden für sich beansprucht.
Demetris Samuel hat nur wenig Zeit in diesen Tagen. Der Bürodirektor des zyprischen Außenministers muss gleich zur nächsten Corona-Krisensitzung des Kabinetts. Wegen der Pandemie hat die Regierung die Flughäfen dicht gemacht, alle Einreisen auf die Insel verboten. Auch die Schließung der Checkpoints Anfang März habe ausschließlich mit Corona-Prävention zu tun: "Erstens ist diese Schließung nur temporär. Die Checkpoints wurden nur aus einem Grund geschlossen: Um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen – der griechischen und der türkischen Zyprer."

Samuel hat tiefe Augenringe, er sieht blass aus. Die letzten Tage seien hart gewesen. Nicht nur wegen der Corona-Krise: "Türkische Kriegsschiffe verletzten unsere Wirtschaftszone, sogar unsere einheimischen Seegebiete. Natürlich fühlen wir uns davon bedroht. Dabei machen wir nichts anders als unsere souveränen Rechte auszuüben, wie jedes andere Land, wenn wir nach Gas in unserer exklusiven Wirtschaftszone suchen."
Ein Bohrschiff vor der zyprischen Küste bei Limassol
Ein Bohrschiff bei Limassol: Die zyprische Regierung hat internationale Energiekonzerne beauftragt, die Gasfelder vor der Küste auszubeuten (Getty Images/ Athanasios Gioumpasis)
Istanbul schickt Flüchtlinge per Flugzeug
Seit einigen Wochen kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Seit die Türkei Flüchtlinge an die Grenze Griechenlands schickt, kommen auch immer mehr Flüchtlinge aus dem Norden in den Süden der Insel. Nur dass der türkische Präsident die Migranten eben nicht mit Bussen schicke - sondern mit Flugzeugen, sagt der Beamte.
"Das passiert seit den letzten drei Jahren, Zypern hat pro Kopf die meisten Flüchtlinge in der EU. Und das Ganze ist orchestriert von den türkischen Behörden. Wenn man sich die Zahlen anguckt und die Routen, ist völlig klar, dass da politischer Wille hinter steckt, Probleme an den Grenzen der EU zu schaffen, in Griechenland und hier auf der Insel."
Die Regierung wolle eine Lösung für die geteilte Insel, betont Samuel immer wieder. Unbedingt. Doch momentan sei an Verhandlungen nicht zu denken: "Zurzeit können wir die Verhandlungen nicht wieder aufnehmen. Es macht keinen Sinn, während wir mit Kriegsschiff-Diplomatie unter Druck gesetzt werden. Denn genau das ist es, was die Türkei macht."

Hubert Faustmann zweifelt am Verhandlungswillen der zyprischen Regierung. Der Politologe leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nikosia. Nikos Anastasiadis, der Präsident der Republik Zyperns, favorisiere statt einer Einigung den Status quo – oder gar eine finale Spaltung der Insel, behauptet Faustmann:
Der zyprische Präsident Anastasiades steigt nach der Stimmabgabe in seinem Wahllokal in ein Auto.
Zyperns Präsident Anastasiades spricht nicht offen über eine Zwei-Staatenlösung (AMIR MAKAR / AFP)
"Das bestreitet er aber, wir haben ein offizielles Dementi, wir haben aber – und Zypern ist ein kleines Dorf – relativ glaubwürdige Aussagen von Leuten, die ihn privat das Gegenteil haben sagen hören. Es ist auch so, dass eine Zweistaaten-Lösung innenpolitisch nicht zu verkaufen ist. Wir sind hier in einem Konflikt, wo alle Auswege politisch so teuer sind, dass man am Status quo festhält als dem am wenigsten tragischen Zustand."
Präsidentschaftswahl wegen Corona-Pandemie verschoben
Eine Vorentscheidung über eine endgültige Teilung der Insel wäre unter normalen Umständen womöglich in diesem Frühjahr gefallen: Im Norden stand eigentlich die Wahl des Präsidenten bzw. Volksgruppenführers an, die nun wegen der Corona-Pandemie um sechs Monate verschoben wurde.

Neben dem Amtsinhaber Mustafa Akinci hat Ersin Tatar gute Chancen auf den Sieg. Er ist der Ministerpräsident der nicht anerkannten Republik Nordzypern. Akinci kämpft seit Jahren ernsthaft für eine Wiedervereinigung – und kritisiert offen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für die Aushöhlung der Demokratie. Tatar ist ein Günstling Erdogans und klarer Verfechter einer Zweistaatenlösung.
"Man kann Anastasiadis schon unterstellen, dass es ihm leichter fallen würde, keine Verhandlungen zu führen, wenn er ein Gegenüber hat, der noch hardliniger drauf ist als es bei ihm selbst der Fall ist. Und das ist bei dem einzigen Gegenkandidaten mit Aussichten, Ersin Tatar, der Fall. Das ist ein klassischer Hardliner, der keine Lösung will, der eine Zweistaaten-Lösung für Zypern bevorzugt. Und das unterstellt man dem griechisch-zyprischen Präsidenten auch. Dass er sagt, die Vereinigung, die wir haben können, ist so schlecht, im Rahmen dessen, was wir bei Verhandlungen erreichen können, dass wir uns über Alternativen Gedanken machen müssen, und da ist eine Zweistaaten-Lösung eine."
Dass die Fronten inzwischen so verhärtet sind, hat vor allem mit dem Konflikt um das Gas im östlichen Mittelmeer zu tun. Und hier liege die Verantwortung hauptsächlich eben nicht auf Seiten Nordzyperns und der Türkei, hält Faustmann fest: "Es war immer klar, dass die türkischen Zyprer, die sich als Miteigentümer dieser zu findenden Rohstoffe sahen, irgendwo beteiligt werden mussten. Und es war klar, dass sie davon ausgeschlossen waren, zumindest von der Entscheidungsfindung."
Die Fehler der Europäischen Union
Die Europäische Union hätte sich zudem vorschnell die Position der zyprischen Regierung zu eigen gemacht. Dass die Seegebiete, in denen Zypern Bohrlizenzen an internationale Energiekonzerne verkauft hat, wirklich zu Zypern gehören, das sei keineswegs so eindeutig, wie die zyprische Regierung behauptet.

"Da hat die EU auch einen Fehler gemacht, weil man das Narrativ der griechischen Zyprioten übernommen hat, obwohl es nicht internationalem Recht entspricht. Und dadurch hat sich die EU auf die Seite der griechischen Zyprioten geschlagen. Es wurden auch Sanktionen verhängt, wenn auch milde, weil man nicht in eine offene Konfrontation mit der Türkei reingeraten will. Aber gleichzeitig aus Solidarität mit dem EU-Mitglied Zypern handeln musste. Und jetzt zwischen den Stühlen steht und jetzt in den Konflikt reingezogen wird, ohne in den Konflikt reingezogen werden zu wollen."
Der Krisenstaat Zypern, fotografiert aus dem All
Ein Blick von oben auf die geteilte Insel (imago images / UIG)
Der politische Streit schaukelt sich hoch
Die Türkei, Schutzmacht Nordzyperns, sieht sich deshalb im Recht, wenn sie in diesen Gebieten ebenfalls mit Erkundungsschiffen nach Gas sucht. Dabei geht es gar nicht mal um viel Geld. Die bislang gefundenen oder vermuteten Vorkommen sind gering. Zudem wäre die Förderung sehr kostspielig, das Gas liegt sehr tief im Mittelmeer.
Dass hier jemals Gas gefördert und mit Schiffen oder neuen Pipelines nach Europa gebracht wird, ist recht unwahrscheinlich. In dem Konflikt gehe es inzwischen mehr um Gesichtswahrung, denn um Profite:
"Die politischen Auswirkungen sind viel schwerwiegender. Gerade durch die Eskalation mit Griechenland. Wenn die Türkei da weiter eskaliert...die griechischen Zyprioten haben keine Marine, sie können auf eine militärische Provokation durch die Türkei nicht militärisch antworten. Griechenland kann und wird das tun, sollte die Türkei so dumm sein, ihre Karten zu überreizen und wirklich anzufangen zu bohren. Das wäre der Punkt, wo die griechische Regierung nicht mehr still sitzen kann. Damit sind Dynamiken und Gefahren rein gekommen – um es klar zu sagen: kein Mensch will hier Krieg – aber da wird immer höher gepokert. Und der Einsatz wird immer heftiger und die Seiten haben sich so eingegraben, dass es immer schwieriger wird, das Ganze konstruktiv aufzulösen."
Umstrittenes Abkommen zwischen Libyen und der Türkei
Zumal sich die Türkei in der Frage der Ausbeutung von Bodenschätzen im Recht fühlt. Sie bezieht sich dabei auf den so genannten Festlandssockel Anatoliens. Über die dortigen Ressourcen könne sie allein verfügen, so die Auffassung der Regierung in Ankara. Durch ein höchst umstrittenes, bilaterales Abkommen mit Libyen über die Seegrenzen im östlichen Mittelmeer wurde dieser Festlandssockel erheblich ausgeweitet, unter anderem auf Gebiete nahe der griechischen Insel Kreta. Die Türkei werde auf diesem Recht beharren, so Staatspräsident Erdogan erst kürzlich:
"Die Türkei wird ihre Rechte schützen und weiterhin alle Spiele, die im Mittelmeer gespielt werden, beenden. Das mit der legitimen und international anerkannten Regierung Libyens unterzeichnete Memorandum über die Seegrenzen im Mittelmeer scheint einige Staaten immer noch zu stören. Dabei wurde dieses Memorandum auch den Vereinten Nationen mitgeteilt und somit ist dieser Prozess abgeschlossen."
Mevlüt Cavusoglu, Außenminister der Türkei bei einem Treffen in Moskau im März 2020 in Moskau im März 2020
Mevlüt Cavusoglu, Außenminister der Türkei, zeigt sich gesprächsbereit, wenn die Türkei an der Ausbeutung der Gasfelder beteiligt wird (picturealliance/Mikhail Klimentyev/Sputnik/dpa)
Wirtschaftliche und politische Interessen vermischen sich
Erdogan fährt einen rhetorisch harten Kurs, indem er stets auf die Rechte der Türkei pocht. Gleichzeitig zeigt sich sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu gesprächsbereit, sofern garantiert wird, dass die Nordzyprer an der Ausbeutung der Bodenschätze angemessen beteiligt werden. Auch Cavusoglus nord-zyprischer Amtskollege, Kudret Özersay, sieht die griechischen Zyprer in der Pflicht: "Sie haben mit uns mehr als 50 Jahre lang über die Lösung der Zypernfrage verhandelt, aber sie sagen, sie könnten mit uns nicht über die Frage der fossilen Bodenschätze sprechen. Was ist der Unterschied zwischen beidem? Wenn wir die Zypern-Frage lösen, wird dadurch auch das Problem der Bodenschätze gelöst."
Das Interesse der griechischen Zyprer an einer schnellen Lösung scheine nicht besonders groß zu sein, meint Rasih Resat, Chefredakteur der linksliberalen nordzyprischen Zeitung Kibris Postasi. Bei der türkischen Regierung habe er einen anderen Eindruck: "Die Türkei möchte das Zypern-Problem vom Tisch haben. Sie will nicht, dass wir uns erneut in langen und unfruchtbaren Verhandlungen verstricken, wie wir es in den letzten 40 Jahren getan haben. Die Türkei will Ergebnisse. Möglichst eine souveräne Insel mit zwei Bundesstaaten. Aber wenn das nicht geht, dann z.B. auch eine dauerhafte Teilung als Ergebnis von Verhandlungen. Eine Annexion ist aber kein Thema, weder in der Türkei noch in Nordzypern."
Die Ungeduld der Türken teilte der Ministerpräsident Nordzyperns, Ersin Tatar Anfang des Monats in einem Interview mit dem türkischen Staatssender TRT World. Von einem gemeinsamen Föderalstaat mit den südlichen Nachbarn sprach er schon gar nicht mehr: "Wir haben 50 Jahre lang verhandelt, ohne Ergebnis. Wir glauben, dass wir zwei Staaten haben sollten, die Seite an Seite miteinander leben. Dafür müssen wir natürlich auch verhandeln, etwa über die territorialen Fragen und die internationale Anerkennung."
Präsidentschaftswahl voraussichtlich Anfang Oktober
Dass sich die Regierung in Ankara in der Zypernfrage derzeit still verhält, hat zwei Gründe: Die ungewissen Machtverhältnisse im Norden Zyperns aufgrund der verschobenen Präsidentschaftswahlen und die Corona-Krise, die sämtliche Aufmerksamkeit fordert. Auch wenn die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl, die nun voraussichtlich am 11. Oktober stattfinden soll, noch nicht nominiert sind, versucht vor allem einer der mutmaßlichen Bewerber, die Corona-Krise für sich zu nutzen.
Während der nordzyprische Staatspräsident Mustafa Akinci den türkischen Staatspräsidenten Erdogan schriftlich um Hilfe bat, griff Premierminister Ersin Tatar gleich zum Telefonhörer und berichtete sodann im Fernsehen darüber: "Im Telefonat mit dem Herrn Staatspräsidenten haben wir über die Corona-Bekämpfung und die hiesigen Entwicklungen gesprochen. Unsere Beziehungen zur Republik Türkei sind wie immer Beziehungen wie zwischen Mutter und Tochter."
Eine klare Provokation im Kampf um die Gunst der türkischen Regierung, könnte man meinen. Schließlich war der nordzyprische Präsident Akinci mit Erdogan in der letzten Zeit mehrfach aneinandergeraten, auch weil er der Türkei vorwarf, sie behandle Nordzypern wie ein kleines Kind. Türkische Zeitungen erweckten daraufhin den Eindruck, Erdogan würde es bevorzugen, wenn der nationalkonservative Premierminister Tatar bei der Präsidentschaftswahl den Sozialdemokraten Akinci ablösen würde.
Doch ganz so sei das nicht, sagt Journalist Rasih Resat. Zunächst müssten sich Tatar und seine Regierung in der Coronakrise beweisen: "Die Regierung von Premierminister Tatar hatte schon vor Corona mit Finanzproblemen zu kämpfen und war politisch unter Druck geraten. Wenn Erdogan ihn favorisieren würde, hätte er ihm einen Blankoscheck ausgestellt und für Investitionen in Nordzypern gesorgt, so dass Tatar davon bei den kommenden Wahlen profitieren könnte. Das aber war nicht der Fall."

Vielleicht auch, um einen Wahlsieg Tatars gegen Akinci nicht zu gefährden. Denn, wie die Zypern-Expertin Rebecca Bryant von der Universität Utrecht schreibt: Immer wenn Ankara einen Kandidaten offen unterstützt hatte, verlor dieser die Wahl.
Absperrgitter am geschlossenen Checkpoint an der Ledra Straße in Nicosia im Süden Zyperns
Auch in Südzyperns Hauptstadt Nikosia haben Checkpoints geschlossen (Deutschlandradio/ Manfred Götzke)
Das Scheitern der Wiedervereinigung im Kleinen
Der Checkpoint in der Nähe der nordzyprischen Hafenstadt Famagusta ist verlassen. Nur ein UN-Jeep passiert die Grenze. Sie ist dicht, offiziell wegen Corona. Bis vor einigen Wochen sind hier Touristen und Südzyprer in den Nordteil der Insel gekommen. Vor knapp zwei Jahren wurde diese Verbindung zum ersten Mal nach mehr als 40 Jahren Trennung geschaffen. Der Friedensaktivist und Arzt Okan Dagli hat jahrelang dafür gekämpft:
"Die griechischen Zyprer kamen erst nur zum Einkaufen oder zum Tanken auf diese Seite, wegen des günstigen Lira-Kurses. Aber da sind Freundschaften entstanden. Wenn du alle drei Tage zum Tanken kommst, dann fängst du an, dich zu unterhalten, du schüttelst Hände, machst Witze. Und du bleibst länger hier. Alles ist jetzt wieder kollabiert. Es macht mich einfach traurig – nur die Nationalisten freuen sich jetzt."
Dass die Wiedervereinigung im Kleinen wie hier in Famagusta – und auf der gesamten Insel immer wieder scheitert, es liege an den Eliten – und den Großmächten, der Türkei, Griechenland, meint Dagli. Die meisten Bürger auf beiden Teilen wollten die Einigung, betont der Friedensaktivist. Jedenfalls die Zyprer. Denn mittlerweile leben mehr als 100.000 Siedler aus Anatolien auf der Insel. Tendenz steigend. Außerdem sind mehr als 10.000 türkische Soldaten auf der Insel, nach offiziellen Angaben sogar dreimal so viele. Die 150.000 türkischen Zyprer könnten bald eine Minderheit sein.
"Früher haben sich die neuen Siedler angepasst. Sie wurden wie wir: lockere Insulaner. Aber seit die türkische Regierung fundamentalistisch-islamische Ideen vertritt, exportiert sie ihre Ideen auch hierher. Die Zugezogenen schicken ihre Kinder jetzt auf islamische Schulen. Wenn wir nicht bald eine Lösung finden, dann wird der fundamentalistische Islam Nordzypern für immer verändern."
Eine Lösung des Zypern-Konflikts – sie wird mit jedem Jahr, schwieriger – mit jedem Jahr, unwahrscheinlicher.