Sexuelle Gewalt im Kongo

Die Vergewaltigungshochburg der Welt

Vergewaltigungsopfer in der Demokratischen Republik Kongo
Vergewaltigungsopfer in der Demokratischen Republik Kongo © AFP / Tony Karumba
Von Linda Staude · 02.08.2017
In der Demokratischen Republik Kongo wird die Zivilbevölkerung seit Jahren mit Vergewaltigungen terrorisiert. Ganze Dörfer, aber auch Coltan-Minen werden deshalb verlassen. Damit haben die Täter ihr Ziel erreicht. Denn die sexuelle Gewalt ist eine Waffe im Krieg um die reichen Rohstoffvorkommen der Region.
Junge Frauen in farbenfroh bedruckten Kleidern und bunten Kopftüchern sitzen im hohen Gras vor einem gelb gestrichenen Haus. Sie schwatzen und lachen. Ein Bild wie auf jedem beliebigen Dorfplatz in der Demokratischen Republik Kongo. Aber die Normalität täuscht. Jede der Frauen in der kleinen Gruppe hat Schreckliches erlebt.
"Sie sind am Abend gekommen, gegen zehn. Sie haben uns aufgeweckt und angefangen mit Macheten auf die Kinder und den Vater einzuhacken. Fünf Männer haben mich vergewaltigt und dann mein Haus niedergebrannt."

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Die Männer, von denen Marie mit ausdrucksloser Stimme spricht, können zu jeder beliebigen Miliz gehören, die zu Dutzenden im Ostkongo Angst und Schrecken verbreiten. Das gelbe Haus ist ein Heim für Opfer von Vergewaltigungen.
"Milizen setzen Vergewaltigung als Kriegswaffe ein. Sie ziehen durch die Dörfer und greifen alle Frauen an. Damit demonstrieren sie ihre Macht gegenüber den Männern, die nichts dagegen unternehmen können."

Im Kongo sind Frauen zur Beute degradiert

Justine Masika hat das Heim am Rand der Provinzhauptstadt Goma aufgebaut. Sie und ihre Organisation Synergie kümmern sich seit 15 Jahren um die Opfer unfassbarer Gräueltaten.
"Wenn sie Dir gesagt haben, Du bist die schönste Frau der Welt, dann war das eine Katastrophe. Sie haben Dich an ein Kreuz gebunden, Mitten in einer Menschenmenge. Den Kopf nach unten, die Beine gespreizt. Und dann haben sie Dich in dieser Position vergewaltigt. Die Menge hat sie angefeuert und ist um Dich herumgetanzt."
Honorata Kizende war einmal glücklich verheiratet, Mutter von fünf Kindern und Lehrerin. Bis zur Katastrophe im Jahr 2001, über die sie heute so ruhig sprechen kann. Hutu-Rebellen aus Ruanda sind über ihr Dorf hergefallen und haben sie verschleppt.
In Afrika sind Frauen eigentlich die Stütze ihrer Familie und ihrer Dörfer. Sie bestellen die Felder, machen die Hausarbeit, versorgen Mann und Kinder. Aber im Kongo sind sie zur Beute degradiert für jeden Mann mit einer Waffe. So der Gynäkologe Dr. Denis Mukwege:
"Wenn man Vergewaltigung sagt, dann haben die Leute normalerweise ein Bild vor Augen, was eine Frau durchgemacht hat. Aber hier passt das Wort nicht. Vielleicht ist sexueller Terror besser? Ich weiß es nicht. Man muss ein neues Wort finden, weil Vergewaltigung nicht beschreibt, was hier passiert."
©PHOTOPQR/L'ALSACE/Strasbourg, le 26 novembre 2014./ Dominique Gutekunst Denis Mukwege, Prix Sakharov 2014, donne une conférence STRASBOURG 141126 Denis Mukwege is the laureate of the Sakharov Prize for Freedom of Thought 2014, following today's decision by EP President Martin Schulz and the political group leaders. Mukwege will be invited to Strasbourg on 26 November to receive the award during the plenary session. |
Denis Mukwege, Gynäkologe und Menschenrechtsaktivist, setzt sich für Vergewaltigungsopfer in der DR Kongo ein.© Dominique Gutekunst / picture alliance / dpa

"Ich habe Frauen behandelt, die vernichtet waren."

Honorata Kizende ist nach ihrer Entführung 18 Monate lang durch die Hölle gegangen. Ist unzählige Male vergewaltigt worden. Hat unbeschreibliche Grausamkeiten erlebt. Nach zwei Jahren kann sie ihren Peinigern entkommen.
Die damals 49-Jährige läuft 350 Kilometer durch den Busch – immer auf der Flucht vor den blutigen Kämpfen der so genannten Kongo-Kriege. Sie leidet an Syphilis und vier weiteren Geschlechtskrankheiten, die im Panzi-Hospital in Bukavu behandelt werden. Gründer Denis Mukwege:
"Ich habe Frauen behandelt, die vernichtet waren. Denen nach der Vergewaltigung, um sie zu foltern, in die Vagina geschossen wurde. Es ist schrecklich. Frauen, denen Bajonette in den Unterleib gestoßen, deren Genitalien verbrannt wurden."
Das Grauen hat mit dem Völkermord in Ruanda begonnen, als mit über einer Million Flüchtlingen auch schwer bewaffnete Milizen in den Kongo gekommen sind – und seither morden, brandschatzen und vergewaltigen. Vor allem Frauen, aber nicht ausschließlich.
Stephen Kigoma war noch ein Teenager, als er verschleppt und immer wieder missbraucht wurde.
"Als sie fertig waren, haben sie mich an einem anderen Ort ausgesetzt. Ich konnte kaum noch laufen. Damals habe ich mir nur gewünscht, dass sie mich getötet hätten, statt mir das anzutun."

Über 200.000 Vergewaltigungsopfer

Hilfsorganisationen schätzen, dass jeder vierte Mann im Ostkongo ähnliches durchgemacht hat. Doch genau lässt sich das nicht feststellen, denn viele Opfer schweigen, sagt Chris Dolan, der Leiter eines Flüchtlingsprojekts im benachbarten Uganda.
"Das Opfer erfährt totale Unterwerfung und Erniedrigung. Viele fühlen sich nicht mehr als Mann. Das ist besonders schwer in einer Gesellschaft, in der Männer überlegen sein müssen."
Der Kongo hat den traurigen Ruf, die Vergewaltigungshochburg der Welt zu sein. Die Zahl der überlebenden Opfer wird auf über 200.000 geschätzt. Sie brauchen Jahre, bis sie mit den psychischen und körperlichen Folgen fertig werden.
Tumaini war gerade 14, als sie einer obskuren Miliz mit dem Namen "Anhänger Jesu" in die Hände gefallen ist – als Gespielin für den Anführer. Nach ein paar Wochen ist sie schwanger. Aber die Geburt geht schief. Das junge Mädchen liegt Tage in den Wehen, bevor einer der Rebellen ihre Vagina mit der Machete aufschneidet und das Baby herausholt. Eine Totgeburt.
"Mein Gesundheitszustand wurde immer schlechter. Ich konnte Urin und Fäkalien nicht mehr halten. Mein Entführer hat dann beschlossen, mich in den Busch zu bringen. Wir sind ewig gelaufen, und dann hat er mich zurückgelassen. Ich bin allein weiter, bis nach Hause."

Das Stigma bleibt

Und dann ins Krankenhaus. Tumaini hat Fisteln im Genitalbereich entwickelt. Eine häufige Folge von Massenvergewaltigungen oder einem Trauma bei einer Geburt, erklärt Dr. Mukwege.
"Charakteristisch dafür ist ein unkontrollierter Fluss von Urin und Fäkalien. Sie können sich den strengen Geruch vorstellen, der damit einhergeht und der die Leute denken lässt: Was ist denn mit der Frau los? Das allein stößt schon ab. Wenn man dann noch von der Vergewaltigung weiß, was sofort mit HIV in Verbindung gebracht wird, dann wird das Opfer automatisch stigmatisiert."
Die Fisteln können erfolgreich operiert werden, aber das Stigma bleibt. Selbst die Kinder, die nach einer Vergewaltigung geboren werden, bleiben Ausgestoßene. Ganze Gemeinden werden so zerstört. Krankenschwester Nakasi Wivine:
"Der Krieg und die Gewalt fordern ihren Tribut von jedem von uns. Heute werden die Dörfer angegriffen, bald werden es die Städte sein. Wir sind alle traumatisiert. Wir fragen uns ständig: Werden wir morgen noch leben oder tot sein?"
Minova ist eine der größeren Städte im Ostkongo. Der Angriff auf die Menschen dort vor fünf Jahren hat internationale Schlagzeilen gemacht. Die Täter waren keine Angehörige irgendeiner Miliz, sondern reguläre Soldaten der kongolesischen Armee - frustriert nach ihrer Niederlage gegen die damals mächtige Rebellen-Bewegung M23.
epa03505525 YEARENDER 2012 NOVEMBER M23 rebels stand guard outside the Goma football stadium as the M23 rebel spokes person, Lt Col Vianney Kazarama, gives a speech to a crowd of thousands in Goma, Congo DRC, 21 November 2012. Kazarama declared Goma to be under the control of M23, urging civil servants to return to work. EPA/TIM FRECCIA |
Kämpfer der Rebellen-Bewegung M23 in der Demokratischen Republik Kongo.© Tim Freccia / picture alliance / dpa

"Ich weiß nicht, wie alt sie waren"

"Es ist wahr, dass wir dort Leute vergewaltigt haben. Sie konnten nicht entkommen. Du siehst eine Frau, fängst sie, nimmst sie mit und machst mit ihr, was Du willst. Manchmal bringst Du sie um, wenn Du fertig bist. Und dann tötest Du ihr Kind. Du vergewaltigst und machst weiter wie immer."
Unter dem Schutz der Anonymität erzählen die Soldaten ganz offen, wie sie in Minova gewütet haben. Mit Wissen oder sogar unter dem Befehl ihrer Offiziere.
"Ich allein habe 53 Frauen vergewaltigt. Ich weiß nicht, wie alt sie waren. Ältere zwischen 30 und 40. Jüngere, Babys von vielleicht drei und fünf oder sechs Jahre alte Kinder."
Nach der internationalen Empörung über die massenhafte sexuelle Gewalt wurden 39 Militärs demonstrativ vor Gericht gestellt. Der Schauprozess dauerte fünf Monate und war eine reine Farce: Zwei einfache Soldaten wurden schuldig gesprochen - für je eine Vergewaltigung. Alle Offiziere blieben auf freiem Fuß. Die Folgen dieser Straflosigkeit sind verheerend.

Genauso zerstörerisch wie eine Bombe

"Ganze Dörfer sind verlassen. Die Menschen fliehen, und die einzige Ursache sind die Vergewaltigungen. Sie lassen alles zurück, ihre Felder, ihr Vieh. Wer in den Minen arbeitet - egal ob Gold, Zinn oder Coltan – geht weg, weil er sagt: Ich kann nicht bleiben, weil ich fürchten muss, dass meine Frau und meine Töchter vergewaltigt werden."
Damit haben die Täter ihr Ziel erreicht. Denn die sexuelle Gewalt ist eine Waffe im Krieg um die reichen Rohstoffvorkommen in der Region. Billig und genauso zerstörerisch wie eine Bombe, sagt Dr. Mukwege.
Um das Image des Kongo wieder aufzupolieren, hat Präsident Joseph Kabila 2014 eine Sonderberaterin für sexuelle Gewalt ernannt. Jeanine Mabunda hat im vergangenen Oktober verkündet, dass die Zahl der Vergewaltigungen seither um die Hälfte gesunken ist. Helfer wie Justine Masika haben von diesem angeblichen Erfolg bisher allerdings nichts bemerkt
"Damit die Gewalt gegen Frauen gestoppt werden kann, fordern wir zwei Dinge: Frieden und Gerechtigkeit."
Von beidem ist der Kongo weiter entfernt als je zuvor.
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