Sexualassistentin Nina de Vries

"Mein Angebot ist Berührung"

Die Sexualassistentin Nina de Vries steht in einem Garten und blickt in die Kamera.
Nina de Vries arbeitet als Sexualassistentin mit Menschen mit schweren physischen und psychischen Beeinträchtigungen. © Deutschlandradio / Ute Zauft
Von Ute Zauft · 12.06.2017
Gehört Sex zu den menschliche Grundbedürfnissen? Ja, sagt Nina de Vries. Die 56-Jährige hilft denjenigen, für die körperliche Nähe und sexuelle Befriedigung nicht selbstverständlich ist - weil sie körperlich oder geistig eingeschränkt sind.
"Es ist eine bezahlte sexuelle Dienstleistung für Menschen mit einer Beeinträchtigung."
Nina de Vries arbeitet als Sexualassistentin.
"Mein Angebot ist Massage, Berührung, Streicheln, Hautkontakt, nackter Körperkontakt, Menschen halten."
Zu ihren Klienten gehören Autisten, Demenzkranke und Menschen, deren Gehirn seit Geburt oder durch Krankheit oder Unfall geschädigt ist.
"Auch Menschen zum Orgasmus bringen, wenn sie das wollen oder wenn das irgendwie wichtig ist. Aber dann mit meiner Hand. Ich biete keinen Oral- oder Geschlechtsverkehr an."
Denn auch diese Menschen haben sexuelle Bedürfnisse, aber als Pflegebedürftige meist keine Möglichkeit, sie sich zu erfüllen, sagt Nina de Vries.
Die gebürtige Niederländerin hat ihre Haare zum Pferdeschwanz gebunden. In zwei Stunden hat sie einen Termin bei einem ihrer Klienten: Der 63-jährige Mann kann seit seiner Kindheit nicht sprechen, leidet unter epileptischen Anfällen und lebt in einem Pflegeheim. Bei den ersten Terminen ging es zunächst um langsame Annäherung.
"Ich versuche, ihm mit der ganzen Tonlage, mit der Stimme, mit dem was ich sage und auch durch das Nonverbale, zu signalisieren, es ist alles in Ordnung und ich bin hier zu Besuch und schauen wir mal. Und dann habe ich ein bisschen Musik angemacht und dann habe ich mich einfach neben ihn gesetzt und vielleicht mal eine Hand auf seinen Arm gelegt. Eigentlich würde ich sagen, ganz behutsam, aber eigentlich würde ich auch sagen ganz normal, wenn man sich einem Menschen nähert."

Berührung um des Berührens willen

Menschen wie er werden ständig berührt: Hände, die ihn aus dem Bett heben; Hände, die seine Windel wechseln und Hände, die den Mund abwischen. Aber es sind nie Hände, die einfach nur berühren, um des Berührens willen. Beim ersten Mal saß der 63-Jährige im Sessel und sie hat ihm die Füße massiert. Beim zweiten Mal lag er auf dem Bett, beim dritten Mal im Bett – ohne Windel. All das geschieht nur, wenn sie sich sicher ist, dass das Gegenüber es genießt und die Nähe will.
Die 56-Jährige hat bei ihrer Arbeit immer eine kleine Tasche dabei – rot mit weißen Punkten. Darin: Desinfektionsmittel, Massageöl, Duftpapier. An ihren Arbeitsorten riecht es meist nicht nach Romantik, sondern im besten Fall nach Desinfektionsmittel, im schlechtesten nach Urin.
Zu vielen ihrer Klienten wird Nina de Vries gerufen, weil es vorher Probleme in den Pflegeheimen gab.
"Meist arbeite ich mit Menschen, die auf sich aufmerksam gemacht haben durch Autoaggression, Aggression, endlose missglückte Versuche zu masturbieren. Oder durch Übergriffig-Sein auf Menschen, die dann immer wieder sagen müssen, nein, das geht nicht, das kann ich Dir nicht geben."
Gerade bei Demenzkranken ist sexuelle Enthemmung ein großes Thema – und gleichzeitig noch immer ein Tabu. Pflegende sind überfordert, wenn sie von ihren Patienten bedrängt werden. Inzwischen hält Nina de Vries auch in Pflegeheimen und auf Konferenzen immer häufiger Vorträge zum Thema Sexualität.

"Menschen mit Behinderung willkommen"

Beim Rausgehen schiebt sich Nina de Vries ihre Sonnenbrille auf die Nase, schließt ihr Fahrrad auf.
In den 90er Jahren hat sie viel ausprobiert, als Künstlerin mit Grafik, Cartoons und Skulpturen experimentiert. Auf der Suche nach einem Job zum Geldverdienen fing sie schließlich als Betreuerin in einer Einrichtung für Menschen mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung an.
"Nach drei Wochen hatte ich das Gefühl: Das schaffe ich nie. Das geht einfach nicht. Das fand ich alles so … Immer diese Angst, es nicht richtig zu machen, Fehler zu machen oder den Menschen wehzutun, solche Sachen."
Doch sie blieb – und verlor ihre Berührungsängste. Gleichzeitig wurde ihr klar: Langfristig ist die Arbeit im Pflegeheim nichts für sie. Sie machte sich selbstständig. Ihr Angebot: erotische Massagen – mit dem Zusatz: Menschen mit Behinderung willkommen. Die Resonanz war enorm.
Ihre Motivation für ihren Job sei nicht Mitleid, betont sie, sondern das Gefühl, dass ihre Arbeit Sinn macht.
"Dass ich das Gefühl habe, an der Stelle kann ich etwas Ureigenes von mir geben, und das tut mir gut. Ich brauche das auch, ich weiß nicht, ob das bei jedem Mensch so ist. Ich brauche schon das Gefühl, ich konnte jetzt etwas geben, etwas Eigenes von mir."
Der Blick anderer auf ihre Arbeit sei meist schwarz oder weiß – entweder werde Sexualassistenz als etwas Anrüchiges gesehen oder überhöht als selbstloser Dienst an hilflosen Menschen. Beides sei falsch, sagt Nina de Vries. Es gehe um Dienstleistung und um ihr täglich Brot.
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