Serienkritik "Babylon Berlin"

Eine Serie der Superlative

Babylon Berlin Visual.
Babylon Berlin Visual. © Frédéric Batier / X Filme
Von Anna Wollner · 13.10.2017
Sieht groß aus, fühlt sich groß an: die neue Serie "Babylon Berlin". Nach zweieinhalb Jahren Arbeit am Drehbuch und Ausgaben von 38 Millionen Euro geht das Mammutprojekt der drei Regisseure Tykwer, von Borries und Handloegten heute an den Start.
Berlin, Ende der 1920er, ein opulent ausgestatteter Nachtclub voller tanzender und feiernder Menschen. Es ist nicht das Berghain, der Club heißt Moka Efti, aber die Stimmung ist ungefähr ähnlich pulsierend.
Es sind Bilder, die sofort in ihren Bann ziehen und elektrisieren. Denn "Babylon Berlin" erzählt im nahezu perfekten historischen Setting eine ausufernde Geschichte in einer pulsierenden Stadt zwischen Drogen, Politik, Mord, Kunst, Emanzipation und Extremismus. Eine Geschichte mit einem Kabinett von über 15 Figuren. Im Mittelpunkt der verschiedenen Handlungsstränge stehen der aus Köln strafversetze Kommissar Gereon Rath und die Stenotypistin Charlotte Ritter, gespielt von Volker Bruch und Liv Lisa Fries.

Zweieinhalb Jahre gemeinsam im Writers Room

Zu Beginn des 38 Millionen Mammutprojektes stand für die drei Regisseure Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten vor allem die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach einem filmischen Projekt über die Weimarer Republik und die wilden Zwanziger Jahre in Berlin. Es fehlte nur der Aufhänger, der mit Volker Kutschers Kriminalroman "Der nasse Fisch" gefunden wurde, so Tom Tykwer.
"Unser Dilemma war dabei, dass ein Sittengemälde noch keine Story ist, aber man natürlich immer einen Anker braucht und als dann die Romane auftauchten und wir das lasen war das wie ein Geschenk, weil Kutscher einen sehr konzentrierten Plot hat, und vor allen ein Genre voraussetzt. Wir haben plötzlich gesagt, wir könnten einen Polizeifilm machen und dann haben wir ein Sittengemälde im Gewand eines Kriminalfilms, Polizeithrillers."
Tom Tykwer, Achim von Borries and Henk Handloegten, die Regisseure der TV-Serie "Berlin Babylon".
Tom Tykwer, Achim von Borries and Henk Handloegten, die Regisseure der TV-Serie "Berlin Babylon". © picture alliance / Ekaterina Chesnokova/Sputnik/dpa
Kutschers Roman "Der Nasse Fisch" ist dabei nur ein loses Gerüst. Das vielschichtige Figurenensemble um Rath und Ritter, die Geschichte um den Toten im Landwehrkanal, und den mysteriösen, russischen Zug voll Gold haben Tykwer, von Borries und Handloegten studiert, umgeschrieben, erweitert und ausgebaut. Zweieinhalb Jahre haben die drei gemeinsam im Writers Room gesessen und geschrieben. Grenzen gab es erstmal keine, so von Borries.
"Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir beim Schreiben schon mal keine Limitation zulassen werden. Wenn wir das Gefühl hatten beim Schreiben, es muss jetzt auf die Straße gehen oder wir wollen einen neuen Ort erkunden, wir wollen die irrsten Sachen mit unseren Helden erleben, dann dürfen wir beim Schreiben noch nicht auf das Budget gucken."

Berlin wie es noch nie gesehen wurde

Zwei Tage vor Drehbeginn mussten sie dann das Skript noch einmal aus Budgetgründen kürzen. Um volle 115 Seiten, die Länge eines eigenen Spielfilms. Die Dreharbeiten selbst haben sich die drei Regisseure untereinander aufgeteilt nach Drehorten. Es gibt keine Folge, an der nur einer gearbeitet hat, die unterschiedlichen Handschriften verschmelzen zu einer großen. Im Mittelpunkt und als heimlicher Hauptdarsteller steht dabei immer die pulsierende Metropole: die "Rote Burg" am Alexanderplatz, das frühere Polizeipräsidium in dem hinter verschlossenen Türen die Beamten ihre Machtspiele vollführten, die Enge und das Elend der Arbeitermilieus, der protzige Reichtum der Großindustriellen, die Spießigkeit des Kleinbürgertums, die Abgründe des Nachtlebens, das Aufeinanderprallen von Lebenswelten, die schleichende Politisierung der Stadt.
"Babylon Berlin" profitiert von Volker Kutschers präziser Recherche, der detaillierten Beschreibung der atmosphärischen Stadt, der dynamischen Inszenierung und den fast schon unheimlichen Parallelen zur Gegenwart. Gedreht an Originalschauplätzen und der neuen Außenkulisse der Filmstudios Babelsberg, die von Szenenbildner Uli Hanisch konzipiert wurde. Die Serie sieht groß aus, fühlt sich groß an und hat einen unterhaltsamen Lerneffekt über die Umbruchsphase der Weimarer Zeit hin zum Nationalsozialismus, ohne sich als historisch verbürgte Geschichtsstunde zu verstehen. Genau das war die Absicht der Macher, so Henk Handloegten.
"Es ist nicht bis ins allerletzte Fitzelchen authentisch wie es damals wohl war, weil das geht auch nicht und das interessiert im Grunde genommen auch keinen. Wir zeigen Berlin so wie es noch nie gesehen wurde, weil wir es erfunden haben."
"Babylon Berlin" wird die deutsche Serienwelt nicht revolutionieren, die ersten vier Folgen legen die Messlatte aber hoch.
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