Serie: Wiederauferstehung (2)

Das Comeback des Heimat-Begriffs

Ein Gartenzwerg vor Bergkulisse steht mit dem Rücken zum Betrachter und blickt über einen Bretterzaun
Lange galt das wort Heimat als "kontaminiert", nun erlebt es ein Revival. © imago/Photocase
01.04.2018
Lange wurde in Deutschland der Begriff Heimat eher vermieden. Seit einiger Zeit hat er wieder Hochkonjunktur. Eine Art "Abwehrreflex" gegen Neuankömmlinge? Oder ist dies der Beginn einer modernen Identitätsdebatte?
"Bei Heimat geht es um die Verankerung und Verwurzelung, um ein kulturell angestammtes Umfeld in einer globalisierten Welt. Es geht schlicht und einfach um Zusammenhalt, um Geborgenheit, um den Halt, den jeder Mensch in unserem Lande braucht." - Ich weiß nicht, ob es ihnen aufgefallen ist, aber als Bundesheimatminister Seehofer gerade das Wort "Geborgenheit" aussprach ließ sein Frosch im Hals ein wenig offen, ob er nicht doch eher "Gebrochenheit" meinte. Auch der Lapsus mit dem "Heimatmuseum", dem er vorstünde, ist ihm schon öffentlich unterlaufen. Besser wär es, man spräche von Heimat so emotionslos, dass Freud'sche Fehler keinen Nährboden finden. Dieses Wording beherrscht unser Bundespräsident meisterlich: "Heimat ist der Ort, den wir als Gesellschaft erst schaffen."
Darüber brüte ich jetzt mit der einen Seite meines Gehirns, während die andere Ihnen etwas über meine Heimatentbundenheit erzählt. Vor ein paar Jahren meldete sich der DIBB bei mir. Keine von Ankara gesteuerte Religionsgemeinschaft, sondern die Gruppe "Dürener in Berlin-Brandenburg". Ob ich nicht gewillt wäre ihr beizutreten?

Das Wort galt als kontaminiert

Richtig: Düren ist mein Heimatort. Vielmehr: Ich bin dort geboren, verließ die Stadt zwischen Aachen und Köln aber mit anderthalb Jahren, lebte später in Erbach in Württemberg, Ulm, Köln, Bielefeld, Hamburg und Berlin. Keiner dieser Orte ist meine Heimat, wiewohl ich in meinem Erbacher Grundschulzeugnis durchgängig eine Eins in Heimatkunde hatte.
1973 etwa, als die Begriffshäufigkeit des Wortes "Heimat" – das verrät Google – auf dem Tiefpunkt des 20. Jahrhunderts angelangt war. Das Wort galt als kontaminiert. Auch im konservativen Schwaben hieß die "Heimatkunde" alsbald nur noch "Sachkunde" und zog keinerlei "Empfindungsfülle" mehr nach sich, wie sie Karl Kraus einst der Heimat attestierte.
Es wird niemanden wundern, dass zu Krausens intellektueller Hochzeit – nämlich 1918 – die Heimat eine erste mediale Hochkonjunktur erlebte (Rückkehr der Soldaten von der Front), dann 1942 (die Goebbels'sche Propaganda) und noch einmal Mitte der 90er-Jahre zur Gesamtdeutschlandzusammenfindung.

Ein flirrender Begriff

Das ist eine interessante Mischung zwischen körperlicher Erfahrung und Gemeinschaft mit anderen Menschen, denen man sich zugehörig fühlt, definierte Regisseur Edgar Reitz als Heimat-Experte den flirrenden Begriff, der sich mir dennoch weiterhin entzieht: Nicht nur hat sich kein Ort meiner Biografie in meinem Körpergefühl niedergeschlagen, sondern es sträuben sich auch beim Wort "Gemeinschaft" mir alle Nackenhaare. Oder um Karl Kraus zu variieren: Das Wort Gemeinschaft hat einen Beigeschmack von Wahrheit.
Warum die Heimat plötzlich wieder Hochkonjunktur erfährt? Zwei Thesen dazu. Die pessimistische: Es ist ein – eher niedriger – Abwehrreflex gegen Neuankömmlinge. Heimat muss verteidigt werden! Die, die kommen, werden nie eine neue Heimat kriegen. (Bezeichnenderweise ging das gleichnamige Wohnungsunternehmen dereinst skandalös pleite.) Meine familiäre Erfahrung legt solchen Pessimismus nahe. Die als Kind heimatvertriebene Mutter blieb zeitlebens rastlos, wechselten mehrfach die Lebensorte und schlugen nirgendwo Wurzeln.
Die optimistische Annahme wäre, Heimat stünde für eine moderne Identitätsdebatte, die weniger der Globalisierung geschuldet ist als den Entgrenzungen durch Digitalisierung. Wäre die Politik für diese Entwicklung sensibel, hätten wir allerdings einen Digital- statt eines Heimatministers bekommen.

"Ich, der Heimat treuer Hasser"

Am besten kennen sich allerdings die Österreicher mit der Heimat aus. Nicht nur, weil der größte Heimatzerstörer aller Zeiten aus Braunau am Inn kam, sondern weil Heimatgefühlszermarterung stets die Basis des k.u.k-Intellekts gewesen ist. Karl Kraus reimte es sich so zusammen: "Ich, der Heimat treuer Hasser / will aus dieser Gegend weg / blau war nie das Donauwasser / doch die Spree hat noch mehr Dreck!" Das grenzt an die entschlackte, nachgerade antibajuwarische Heimatdefinition des gemeinen Ruhrpottbewohners von heute: "Anderswo ist auch scheiße!" Ich glaube, das meinte Bundespräsident Steinmeier wirklich.
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