Serie "Mein Freund im Todestrakt" - Teil 3

Kreativ im Knast

06:37 Minuten
Auf dem Fenster eines typischen Büros kleibt eine stilisierte Bleifstiftzeichnung von Jesus Christus am Kreuz.
Kunst in San Quentin. Viele Insassen entdecken im Gefängnis ihre kreative Ader. Auch Reno widmet sich der Malerei. © picture alliance/AP/Eric Risberg
Von Arndt Peltner · 01.04.2020
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San Quentin ist das älteste und gefährlichste Gefängnis westlich des Mississippi. Doch auch an diesem Ort des Todes ist Kreativität möglich. Die einen singen, die anderen schreiben. Und Reno, der Todeskandidat D-63100? Er malt.
"So lebt jeder Häftling, der in San Quentin untergebracht ist. Die Zelle ist vier mal neun Fuß groß, es gibt ein Stockbett, ein paar Regale, hinten ein Waschbecken und daneben eine Toilette, die quasi direkt gegenüber dem Eingang ist."
Sam Robinson ist der Pressesprecher von San Quentin. Mit ihm stehe ich in einer kleinen Zelle, einen Meter zwanzig mal zwei Meter siebzig groß, in der im normalen Strafvollzug zwei Gefangene untergebracht sind.
Ich stelle mir das vor, mit jemandem auf diesen vier Quadratmetern zu leben. Nicht rauskönnen, essen, schlafen, auf die Toilette gehen, immer in Anwesenheit eines anderen, manchmal für Tage und Wochen im "Lock Down", wenn das Gefängnis aus Gesundheits- oder Sicherheitsgründen abgeriegelt wird. Und dabei nicht durchzudrehen.

Ein Anruf pro Woche

Nur auf Death Row, im Todestrakt, in dem mein Freund Reno lebt, sind die Häftlinge alleine in der Zelle. Renos Zelle kenne ich nicht. Wenn ich ihn besuche, dann sehen wir uns im Besuchertrakt.
Außerdem ruft er mich an, auf meine Kosten, ein "collect call". Das macht er häufig, mindestens einmal die Woche. Er will dann meistens wissen, wie mein Leben draußen aussieht. Mit einem Lachen fragt er immer, bei was er mich gerade stört. Nun zeigt mir der Pressesprecher seine Lebenswelt hier drinnen.

Viel Stahl, kahle Betonwände

San Quentin ist das älteste Staatsgefängnis in Kalifornien, erbaut 1852. Einige der Gebäude stammen noch aus diesen ersten Jahren. Viel Stahl, kahle Betonwände, an einigen Stellen bröckelt der Putz, von den Wänden hallt der Lärm und das Geschrei der Gefangenen zurück.
Raymond Estrada, ein ehemaliger Häftling in San Quentin, berichtet mir nach seiner Entlassung von seinem ersten Tag dort:
"Die Wärter im Erdgeschoss zeigten nach oben und sagten, ´im vierten Stock ist deine Zelle´ Ich schaute hoch, und da waren nichts als Gitter und Stacheldraht. Dann der Wachturm, auf dem ein Wärter mit Gewehr in der Hand stand. Gefangene warfen brennende Zeitungen vom dritten und vierten Stock. An Schnüren seilten sie Zigaretten ab. Und überall Geschrei, einige haben gesungen, andere gepfiffen. Ein paar Typen redeten. Es war irre. Ich kam in diese sehr kleine Zelle. Wenn ich da saß mit dem Rücken an der Wand und meine Beine ausstreckte, konnten meine Füße die Wand gegenüber berühren. Das alles war surreal für mich. Ich war wie taub."

Johnny Cash schreibt hier Musikgeschichte

Lange Zeit galt San Quentin als das gefährlichste Gefängnis westlich des Mississippis. Johnny Cash sang "San Quentin you’ve been living hell to me" – du bist die Hölle auf Erden für mich. Das Konzert, das er 1969 im Gefängnis gibt, geht in die Musik-Geschichte ein. Johnny Cash spricht den Gefangenen aus der Seele.
Johnny Cash war nicht der einzige, der hinter den dicken Mauern San Quentins sang. Es gab Sessions bekannter Jazzmusiker und der Komponist Henry Cowell, der selbst einsaß, ließ sich von San Quentin sogar musikalisch inspirieren. Todeskandidaten dürfen bis heute an Konzerten nicht teilnehmen.

Malen als Fluchtraum

Im Speisesaal von San Quentin gibt es ein gigantisches Wandbild, gemalt von einem Häftling, 1953. Ein Monumentalwerk auf sechs Wänden - niemand hat es jemals im Original gesehen, außer den Gefangenen und den Wärtern. Jazzmusiker, die hier zueinander finden, Gefangene, die mit aufgelöstem Tabak ihre Wände bemalen, um sie regelmäßig von den Wärtern übertüncht zu bekommen.
An dieser Endstation und diesem Ort des Todes, hinter den dicken Mauern von San Quentin ist Kreativität möglich. Die einen singen, die anderen schreiben und mein Freund Reno, seit 1980 im Todestrakt, malt.
"Mein Malen hilft mir nicht durchzudrehen, in all diesem Irrsinn und dieser Idiotie hier um mich herum. Wenn nicht für meine Kunst, hätte ich wahrscheinlich schon längst aufgegeben. Es hilft klar zu bleiben, aber es ist auch ein Art Fluchtraum, denke ich. Wenn ich male, dann bin ich gedanklich woanders, es hilft Dinge zu erhellen, meine eigene kleine Ecke in der Welt zu erschaffen."

Eine erste Ausstellung in Nürnberg

Wir sprechen bei Besuchen oder am Telefon oft über sein Malen. Eines Tages beschließe ich Ausstellungen mit Renos Bildern zu organisieren. Ich will zeigen, dass der Mensch, auch wenn er in San Quentin im Todestrakt sitzt, etwas zu sagen und zu geben hat, wie sich Reno mit seinen farbenfrohen Bildern Fenster nach draußen erschafft.
2002 ist es soweit – in Nürnberg findet die erste Ausstellung statt. Renos Bilder sind Anlass, über die Todesstrafe zu sprechen, aber nicht nur über die düstere Seite, sondern ich kann eben auch über die Menschen dort, über Reno reden. Amnesty International, Die Grünen, die SPD interessieren sich für das Thema, weitere Ausstellungen folgen. Einige seiner Bilder kann ich verkaufen, der gesamte Erlös geht an ihn.
Reno ist elektrisiert – die Welt draußen nimmt ihn wahr. Deshalb will er immer mehr davon.